Nie waren wir so glücklich wie am Donnerstag
Michiko Aoyama perpetuiert mit ihrem „Café unter den Kirschbäumen“ das Serendipitäts-Prinzip
Von Lisette Gebhardt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie intensive Suche nach dem Glück beansprucht mindestens seit vierzehn Jahren Aufmerksamkeit in den japanischen Printmedien. Als anschauliches Beispiel für den Beginn des Trends mag ein Artikel der bekannten Autorin Banana Yoshimoto (*1964) aus dem Frauenmagazin Gracia vom August 2010 dienen. Betitelt war der Kommentar mit „Yoshimotos Glücksdiskurs.“ Hier hält die Schriftstellerin fest, Japan sei neuerdings erfüllt von einer unangenehmen Atmosphäre, alle seien müde und geistig-seelisch erschöpft (Stichwort kokoro no tsukare), kaum einer besäße noch Hoffnung und man müsse sich fragen, was man nun unter Glück verstehen solle. Yoshimoto war, wie man argumentieren könnte, Pionierin einer Literatur der Heilung (iyashi) und des Trosts.
Schicksal in zwölf Kapiteln
Michiko Aoyama (*1970) vertritt die literarische Wellness-Strömung in ihrer Ausprägung als Literatur der Beratung und der Motivation, ein Lebensziel (ikigai) zu finden und Träume nicht aufzugeben. Dabei geht sie in dem Text Mokuyôbi ni wa kokoa o, ins Deutsche übersetzt von Sabine Mangold unter dem Titel „Donnerstags im Café unter den Kirschbäumen“ nach dem bewährten Schema des Episodenromans vor. Die Handlung mit verschiedenen Charakteren, der als Motto jeweils eine Ortsangabe (Tôkyô; hier Tokio), eine Farbe (Braun) und eine inhaltliche Komponente (donnerstags im Café) zugeordnet wird, setzt mit dem ersten Kapitel am Donnerstag ein. Protagonisten sind die noch unbekannte Kundin mit dem Spitznamen „Kakao-san“ und der gegenwärtige Betreiber des Café Marble. Der junge Wataru, arbeitslos aufgrund einer Krise der Restaurantkette, bei der er beschäftigt war, übt seine Tätigkeit im Café erst seit zwei Jahren aus – nachdem ihm der Eigentümer, der „Master“, das Geschäft mehr oder weniger en passant überlassen hat. Wataru hegt Gefühle für Kakao-san, die stets lange Luftpostbriefe auf Englisch (an ihre Freundin Mary) schreibt. Obwohl er weiß, dass es nicht professionell ist, Privatkontakte mit Gästen anzubahnen, gesteht er:
Es ist wohl nicht besonders ratsam, als Angestellter eine Kundin anzuhimmeln, aber ich begnüge mich mit meiner einseitigen Zuneigung. Um es mit den Worten des Cafébesitzers auszudrücken: Ich gebe mich meinen Träumen hin. Meine Gefühle für sie sind also nicht verwerflich. Es sind nur Gefühle, weiter nichts, doch allein das gibt mir Kraft. Es motiviert mich, mein Bestes zu geben. Und so bereite ich ihr an jedem Donnerstagnachmittag einen leckeren heißen Kakao zu.
Das Interdependenz- und das Serendipitäts-Prinzip
Der etwas enigmatische Master, Wataru und Kakao-san (eigentlich Mako; sie spielt eine wichtige Rolle in der elften und zwölften Episode) tauchen dann erneut in wechselnden Konstellationen mit anderen Protagonisten in den Folgekapiteln auf. Es kreuzen sich die Wege von Mary, Teruya, Asami, Takumi, Ena, Yasuko, Risa, Hiroyuki, Moeka, Shinichirô, Yosuke, Cindy, Ralph und Grace zwischen Tôkyô und Sydney.
Das Bild sinnhafter Zusammenhänge wird konstruiert: Aoyama versteckt ihre Hinweise auf ein allen Begegnungen unterliegendes kosmisches Gefüge in einigen Nebensätzen, spielt jedoch manchmal – das Esoterische verneinend – direkt auf eine semi-esoterische Ebene an, wenn sie vom Wink des Universums oder dem Ruf des Schicksals spricht. Lebenskunst ist, diesen Zeichen als Vorboten des Glücks zu folgen und – ganz nach dem Serendipitätskonzept – bereit zu sein, die zufällige Fügung zu erkennen und sie aktiv zu nutzen.
Insgesamt scheint es die Absicht der Autorin, eine märchenhafte Atmosphäre voll Zauber und Romantik zu erzeugen. Zugleich beschwört sie Wohlfühlorte wie das Café Marble, an dem man zur Ruhe kommt, Kummer und Sorgen bald weniger belastend wirken und sich Lösungen für verschiedene Arten von Problemen ergeben. Die erfolgreiche Karrierefrau Asami erkennt etwa, dass die Birkin Bag alleine nicht das Ziel ihres Strebens sein kann und sie besser mehr Zeit mit ihrem kleinen Sohn Takumi und ihrem Mann Teruya verbringt. Und nach etlichen Monaten vollendet sich in Aoyamas literarischer Wundermaschine im zwölften Kapitel endlich, was mit der ersten Episode am Donnerstag angedeutet wurde: Mako geht einen entscheidenden Schritt auf Wataru zu und schreibt einen Brief mit ihrem Liebesgeständnis.
Magie und blaue Dessous
Michiko Aoyama setzte mit dem Café unter den Kirschbäumen (2017) ihren magischen Reigen, der über Schicksale einer repräsentativen demographischen Gruppe – Männer und Frauen verschiedener Altersstufen und Berufssparten – berichtet, in Gang. Nur drei Jahre später wurde er in Gestalt des 2020 publizierten japanischen Originals von Frau Komachi empfiehlt ein Buch (dt. 2023; besprochen in literaturkritik.de 11/2023) weitergeführt. Im Vergleich zu „Frau Komachi“ fällt das „Café“ ein wenig ab, zu skizzenhaft sind manche der Personen dargestellt und der Bezug zu Sydney erzeugt eher ein touristisches Flair, als dass man darin eine Öffnung Japans hin zur „Welt“ oder das sanfte Walten kosmischer Kräfte auf globaler Ebene erkennt. Viele Szenen echoen Klischees, einige Passagen grenzen nahe ans Kitschige – fast zu oft ist man „zutiefst“ gerührt. Was das besondere Band zwischen den Figuren anbelangt, heißt es für das Paar Risa/Hiroyuki zum Beispiel:
Es sind nicht nur Fädchen, die unsere kleinen Finger verknüpfen, sondern komplexe Blutlinien. Es geht nicht darum, bereits verknüpfte Fäden aufzudröseln, sondern die einzelnen roten Ströme, die jeden von uns durchfluten, zu synchronisieren. Vielleicht suchen wir deshalb nach einem besonderen Weggefährten in diesem Leben.
Eine musterhafte Prosa im J-Content-Format wie die von Aoyama birgt wider Erwarten manch originelle Szene, die auf ihren japanischen Ursprung hinweist. Ein humorvolles Zwischenspiel ergibt sich im vierten Kapitel bei Yasuko und Risa. Als Geschenk zur bevorstehenden Hochzeit mit Hiroyuki überreicht Yasuko der langjährigen besten Freundin edle blaue Unterwäsche mit den Worten:
Bewahre dir deine Sehnsüchte mit Leidenschaft, liebe Risa, und empfange dein Kind dort, wo du das Seidenhöschen trägst.
Verfolgt man derlei bodenständige Glückvisionen, dürfte es vielleicht auch im 21. Jahrhundert noch die eine oder andere Chance auf ihre Realisation geben.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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