Ein Killer will nicht mehr
Auch mit „Der Profi“ bietet der japanische Autor Kotaro Isaka wieder beste Unterhaltung
Von Dietmar Jacobsen
Bullet Train (2010, deutsche Übersetzung 2022) heißt der Roman, mit dem der japanische Autor Kotaro Isaka – nicht zuletzt aufgrund der US-amerikanischen Verfilmung des Buchs mit Brad Pitt in der Hauptrolle – international für Furore sorgte. Nun ist nach Suzukis Rache (2004, auf Deutsch 2023) der im japanischen Original 2017 erschienene Roman Der Profi als drittes von bisher mehr als 20 Werken des 1971 geborenen Autors bei uns erschienen. Die Übersetzung verantwortet wie schon bei Suzukis Rache Sabine Mangold. Und auch im Mittelpunkt dieses Romans steht wieder ein Killer, den plötzlich schwere Gewissensbisse plagen.
Kabuto, wie er diesmal heißt, bekommt seine Instruktionen von einem Arzt, der von seiner Praxis aus die kriminellen Einsatzbefehle für ein paar der kaltblütigsten Auftragsmörder Tokios managt, und möchte sich fortan eigentlich lieber nur noch um seine kleine Familie kümmern. Die besteht aus einer ewig nörgelnden Frau, der man nichts recht machen kann, und Sohn Katsumi. Aber auch wenn Kabuto manchmal denkt, dass er es besser hätte treffen können im Leben – Familie ist nun einmal Familie.
Allein sein Auftraggeber weiß, was er an Kabuto hat. Der bereitete noch nie Probleme, war stets zufrieden mit dem, was er als Lohn einstrich, und tat, was immer ihm geheißen wurde, mit äußerster Präzision und Kaltblütigkeit. Dass der Doktor bereit ist, von jetzt auf gleich seinen besten Mann gehen zu lassen, ist deshalb ziemlich unwahrscheinlich. Denn auch in Japans kriminellen Kreisen gilt: mitgefangen, mitgehangen. Und deshalb hat sich Kabuto wohl über kurz oder lang auf Ungemach einzustellen.
Wie das aussieht, ahnt bereits, wer sich an die beiden zuerst ins Deutsche übersetzten Romane Isakas erinnert. Denn schon kurz nachdem Kabuto seinen Wunsch gegenüber dem Doktor geäußert hat, demnächst aus dem Geschäft aussteigen zu dürfen, um fortan nur noch für seine Familie da zu sein, erklärt dieser ihn zum Freiwild. Plötzlich kann jeder, dem Kabuto (der in seinem offiziellen Berufsleben ein kleiner, eher unambitionierter Angestellter im Außendienst eines Schreibwarenherstellers ist) beruflich oder privat über den Weg läuft, ein auf ihn angesetzter Killer sein. Selbst ein ganz harmlos beginnender Besuch in der Schule seines Sohnes bedeutet plötzlich Lebensgefahr.
Und weil der Arzt nie halbe Sachen macht, muss Isakas Held fortan nicht nur um das eigene Leben kämpfen. Auch seine nichtsahnende Familie ist vor den Nachstellungen eines Mannes nicht sicher, der selbst ein Phantom ist und nicht zu fassen scheint: Er hockt in seiner Praxis wie die Spinne im Netz und koordiniert von hier aus die Aktionen seiner Leute. Sollte es dennoch jemandem gelingen, dem Doktor Auge in Auge gegenüberzustehen, hat der alle Maßnahmen ergriffen, diese Person sofort unschädlich zu machen.
Auch in Der Profi vertraut Kotaro Isaka wieder jenem bewährten Rezept, auf dem sein bisheriger Erfolg als Schriftsteller beruhte: irrwitzige, nicht von ungefähr an die Filme von Quentin Tarantino erinnernde Dialoge, eine temporeiche Handlung voller abrupter Wendungen mit überaus blutigen Folgen und ein hauptsächlich aus Killern bestehendes, skrupelloses Personal, das über ganz eigene Vorstellungen von Moral, Recht und Ordnung verfügt. Allein die formale Geschlossenheit, die die beiden vorhergehenden Romane kennzeichnete, vermisst man diesmal ein wenig. Stattdessen entsteht im Laufe der Lektüre der Eindruck, dass der Autor seinen Roman im Nachhinein aus einer Reihe von Einzelerzählungen zusammengesetzt hat. Denn die fünf, mit kurzen, griffigen Überschriften versehenen Buchteile könnten bei einer deutlicheren Pointierung am jeweiligen Ende durchaus jeder für sich allein stehen.
Dass Kabuto sich im vierten Teil unter der Überschrift Exit an die Geschichte des zu einem Diebstahl angeheuerten Ganoven erinnert, der im Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen gleich von mehreren Gegnern durch die Waggons gejagt wurde, zeigt im Übrigen, wie selbstreferentiell es in der Romanwelt von Kotaro Isaka bisweilen zugeht. Denn jenen von einer heiklen Situation in die nächste geratenden Mann namens Nanao kennen die Leserinnnen und Leser natürlich bereits aus dem eingangs erwähnten internationalen Nummer-1-Bestseller Bullet Train. Und auch einigen der hochspezialisierten Killer, die in Suzukis Rache ihr Unwesen in Tokio treiben, können aufmerksame Leser in Der Profi wiederbegegnen.
Im letzten Drittel des Romans übernehmen dann Kabuto und Katsumi, der von der kriminellen Nebentätigkeit seines Vaters nichts ahnende Sohn des Auftragskillers abwechselnd die Rolle des Erzählers, wobei der eine aus der Vergangenheit heraus spricht, während der andere ganz gegenwärtig ist. Inzwischen ist ein Jahrzehnt vergangen und Katsumi besitzt selbst Frau und Sohn. Aber ihn beschäftigen immer noch die Ungereimtheiten rund um den plötzlichen Tod seines Vaters, den die zuständigen Behörden einst als Suizid ad acta legten. Aus welchem Grund sollte ein Mann wie Kabuto, der den zahllosen Demütigungen durch seine Frau mit fast ängstlich zu nennender Unterwürfigkeit begegnete, in den Freitod flüchten, fragt sich der Sohn. Also beginnt er nachzuforschen und seine Erkundigungen führen ihn zu einer Arztpraxis, in der Kabuto offensichtlich regelmäßig Termine wahrnahn – obwohl der Weg zu seinem angestammten Hausarzt wesentlich kürzer gewesen wäre.
Es ist tatsächlich ein Finale, mit dem Kotaro Isaka seinen Roman enden lässt. Der mit diesem Wort überschriebene fünfte und letzte Teil des Buches bietet noch einmal alles auf, was seine Leserinnen und Leser an dem japanischen Autor so schätzen: eine höchst gelungene Mischung aus raffiniertem Plot, sich steigernder Spannung und einer nicht erwarteten Überraschung: Ein von langer Hand vorbereitete Coup, den selbst so ein abgebrühter Gangster wie der Doktor nicht vorauszusehen vermochte.
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