Inside Zürcher Hausbesetzerszene
In ihrem Debütroman „Unser Haus“ taucht die Schweizerin Christina Hug in die kunterbunten Sphären der Subkultur ein
Von Elina Mandzyuk
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHerbst 2002. Der Protagonist von Christine Hugs Debütroman Unser Haus ist frustriert. Während seine alten Freunde alle auf Reisen sind, muss der 19-jährige Paul noch immer die Schulbank drücken. Das Jahr wird jedoch deutlich spannender als Paul zunächst denkt: Gemeinsam mit seinen Freunden Lucas und Lou sowie zehn weitere Personen besetzt er ein mittelgroßes Geschäftshaus im Herzen von Zürich. Das Besetzen des Hauses ist mehr oder weniger legal, denn das alte Geschäftshaus gehört der Alternativen Baugenossenschaft und soll ohnehin bald abgerissen werden. Die ABG und neue Bewohner des Hauses einigen sich deswegen darauf, dass die Besetzer die Liegenschaft rechtzeitig vor Beginn der Abrissarbeiten freiwillig verlassen werden. Dies wird frühstens in einem Jahr erwartet. Um das völlige Chaos im Haus zu vermeiden, werden Grundregeln für alle Bewohner eingeführt. Diese sorgen im anarchischen Leben für eine gewisse Ordnung und schaffen eine Verbindung zwischen den Bewohnern.
In diesem lebhaften Biotop begegnet Paul wilden Partys, endlosen basisdemokratische Diskussionen und unkonventionellen Freundschaften. Doch das Zusammenleben ist nicht ohne Herausforderungen. Die unterschiedlichen Charaktereigenschaften und Ideologien führen zu Konflikten, die Paulstetig in Atem halten. Zusätzlich muss er weiterhin zur Schule gehen, wo er bei den meisten Lehrern einen schlechten Ruf hat. Um keine weiteren Probleme mit seinen Lehrern zu bekommen und die Matura am Ende des Jahres erfolgreich abzuschließen zu können, muss er sein hitziges Temperament im Zaun halten. Paul verliebt sich außerdem in die Punk-Sängerin Ronja, was seine Geduld und sein Durchhaltevermögen ebenfalls auf die Probe stellt. Die Höhen und Tiefen des gemeinschaftlichen Lebens, die jugendlichen Kämpfe um persönliche und kollektive Freiheit sowie die Suche nach Identität und Zugehörigkeit erleben wir beim Lesen intensiv mit.
Unser Haus ist unterhaltsam und bietet tiefe Einblicke ins Jugendleben einer Generation, die sich gegen konventionelle Normen auflehnte und neue Lebensformen ausprobierte. Dabei bleibt der Roman recht kurzweilig. Das liegt vor allem an dem besonderen, lockeren Schreibstil, mit dem die Hauptfigur Paul und seine Freunde vom heterodiegetischen Erzähler beschrieben werden. Es werden hauptsächlich informelle und umgangssprachliche Ausdrücke verwendet, die den Ton und das Gefühl der jugendlichen Empörung einfangen. Am Ende des Buches gibt es zudem ein Glossar, das einige besondere Wörter aus dem schweizerischen Sprachraum erklärt, was dem Roman zusätzliche Lokalkolorit verleiht. Er beeindruckt durch die authentische Darstellung der Geschehnisse, die sich durch den biographischen Hintergrund der Autorin erklärt.
Christina Hug wuchs in einem links-grün bewegten Haushalt auf und war in ihrer Jugend selbst bei mehreren Hausbesetzungen involviert. Unser Haus ist dementsprechend von ihren persönlichen Erfahrungen und ihrer eigenen politischen Haltung geprägt. Wie die Schweizer Autorin in einem Interview mit nau.ch erklärt, seien die Handlungen und Figuren zwar frei erfunden, der Rahmen – beziehungsweise das besetze Haus im Zentrum der Geschichte – sei aber sehr nah angelehnt an eines der Häuser, in dem sie wohnte.
Das Buch richtet sich hauptsächlich an Jugendliche. Ein Erwachsener könnte die Geschichte ebenfalls amüsant finden, jedoch Pauls Verhalten aus einer anderen, eher strengeren Perspektive betrachten. Denn das jugendliche Streben sich selbst zu beweisen, erscheint zum Teil übertrieben und nur schwer nachvollziehbar. Die Konflikte innerhalb der besetzten Gemeinschaft eröffnen zwar neue Einblicke in die unterschiedlichen Perspektiven der Figuren, doch bleibt manchmal für die Leser oft unklar, welche Motivation für die Konflikten steht. Das offene Ende der Geschichte ermöglicht es dem Leser, selbst zu entscheiden, welchen Weg Paul weitergehen könnte. Nach dem Roman hat man definitiv das Gefühl, dass es für Paul richtig war, ein zusätzliches Jahr in der Schule zu verbringen, ins Gemeinschaftshaus zu ziehen und dort neue Erlebnisse zu sammeln. Die Abenteuer, romantischen Erfahrungen, Enttäuschungen und Selbstfindungsprozesse formen ihn zu einer erwachseneren Persönlichkeit.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2024 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2024 erscheinen.
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