Frauen – überlebensgroß gezeichnet
Tatjana Kuschtewskaja porträtiert in „Stark – stolz – streitbar“ historische Ukrainerinnen
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn den kurzen, oft sehr persönlichen Essays ihres Bandes Stark – stolz – streitbar stellt Tatjana Kuschtewskaja zwanzig „berühmte Ukrainerinnen“ vor, wobei sie die Texte chronologisch nach der Folge der Geburtsjahre angeordnet hat. Zuvor aber räumt sie freimütig ein, dass die Auswahl der Frauen „ausschließlich von den Vorlieben und Leidenschaften der Autorin bestimmt“ ist, was sich auch in den Texten selbst niederschlägt. Und selbstverständlich sind einige unerwartete Lücken zu bedauern. Von den Frauen der zumindest als Gruppe denkbar bekannten Femen wurde beispielsweise keiner die Ehre zuteil, in die Auswahl aufgenommen zu werden, auch nicht Inna und Alexandra Schewtschenko oder die 2018 in Paris tot aufgefundene Oksana Schatschko.
Die meisten der vorgestellten Frauen sind in kreativen Bereichen tätig und dürften hierzulande völlig unbekannt sein. Oft handelt es sich um Schriftstellerinnen wie etwa Marija Wilinska, die im 19. Jahrhundert unter dem Pseudonym Marko Wowtschok veröffentlichte. Doch ist mit Oksana Lyniv auch eine Dirigentin vertreten. Bei einer anderen der Frauen, Marusja Tschuraj ist hingegen ungewiss, ob sie tatsächlich lebte oder es sich nur eine Legende handelt. Kuschtewskaja aber weiß sogar die genauen Lebensdaten der „Volksdichterin und Sängerin mit einer ungewöhnlich schönen Stimme“ anzugeben: 1625-1653.
Doch stellt die Autorin nicht nur verstorbene, sondern auch eine ganze Reihe noch immer lebender Ukrainerinnen vor. Unter ihnen natürlich Olena Selenska, die von der Autorin vor einigen Jahren interviewt wurde. Überhaupt lernte Kuschtewskaja die meisten der nach 1930 geborenen Frauen persönlich kennen und ist mit der einen oder anderen sogar befreundet. Den Porträts folgen in einem letzten Kapitel einige, jeweils wenige Zeilen umfassende Informationen über dreißig „Unbeugsame Frauen“ im Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg.
Eröffnet aber wird der Band mit einem Essay über die im neunten Jahrhundert geborene Fürstin Olga, die „fest entschlossen [war], ihr Volk zum Christentum zu bekehren“, was ihr – und später ihrem das Werk der Mutter fortführenden Sohn – auch gelang, wofür sie von der Autorin offenbar ganz besonders verehrt wird. Zwar weist Kuschtewskaja darauf hin, dass die Fürstin zu ihrer Zeit für ihre „Milde“ gepriesen wurde. Die aber galt offenbar nur ihren „Untertanen“. Denn „am Gedenktag für ihren ermordeten Gemahl ließ sie fünftausend feindliche Krieger vor ihren Mauern hinmetzeln“. Ob das mit dem Gedanken der christlichen Nächstenliebe vereinbar ist, sei dahingestellt.
Was auch immer von der Fürstin zu halten sein mag, Die Verdienste der meisten Frauen dürften weithin unbestritten sein, wie etwa diejenigen von Warwara Chanenko, einer im 19. und 20. Jahrhundert tätigen „Wohltäterin und Philanthropin“, die von der Autorin als „eine der erstaunlichsten und edelsten ukrainischen Frauen“ gewürdigt wird, die „in ihrem Leben nichts Unehrenhaftes getan“ habe. Dennoch wurde die 1922 Verstorbene in ihren letzten Lebensjahren von den kommunistischen Herrschern „auf jede erdenkliche Weise unterdrückt“. Vielleicht nicht zuletzt, weil sie eine „superreiche Frau“ war.
Olena Ptschilka, die von 1849-1930 lebte, wird von der Autorin wiederum als Allroundgenie gezeichnet. So sei sie nicht nur die „Begründein der ukrainischen Kinderliteratur“ und korrespondierendes Mitglied der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gewesen, sondern zudem
Dichterin, Prosaschriftstellerin und Dramatikerin, Übersetzerin und Publizistin, Lehrerin und Wissenschaftlerin, Volkskundlerin und Ethnografin, Verlegerin und eine aktive Persönlichkeit im öffentlichen Leben.
Ja, sie sei sogar „zu originell und zu klug [gewesen], um eine Anhängerschar oder eine Schule von Nachfolgern zu haben“. Dieser Logik zufolge dürften Philosophen wie Immanuel Kant oder Arthur Schopenhauer. nicht sonderlich originell und klug gewesen sein. Über all die bewundernswerten Eigenschaften hinaus, sei es Ptschilka gelungen, „ein Verhaltensmodell für einen neuen Frauentyp“ zu schaffen. Bedauerlicherweise führt die Autorin nicht näher aus, was es mit diesem neuen Typus der Frau auf sich hatte.
Ptschilkas Zeitgenossen Marija Sankowezka wiederum war „die erste Volkskünstlerin der Ukrainischen Republik“ und überdies eine „geniale Schauspielerin, die man einfach lieben muss“, da sie „bei ihrer Arbeit […] den spirituellen Reichtum der Ukrainerin [offenbarte]“. Allerdings musste sie hart darum kämpfen, auftreten zu können. Denn als Frau „hatte sie keinerlei Recht, Verträge zu unterzeichnen“. Ihr Vater und später ihr Ehemann verweigerten es ihr dennoch „unerbittlich“, die notwendigen Unterschriften zu leisten.
Ebenso großen Problemen sah sich die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebende Malerin Kateryne Bilokur gegenüber, als sie begann ihr Talent in Werken zu manifestieren, die „Verehrung und Bewunderung für die Gaben der Natur aus[strahlen]“. Der Autorin zufolge „gibt [es] kaum einen Fall in der Kunstgeschichte, in dem der Wunsch, Künstlerin zu werden, auf so viele Schwierigkeiten stieß“, wie im Falle dieses „Mädchen aus einer einfachen Bauernfamilie“. Bei unzähligen vielleicht ebenso talentierten Künstlerinnen dürften die ihnen in bereiteten Schwierigkeiten allerdings so groß gewesen sein, dass sie nie malen und somit gar nicht erst in die Kunstgeschichte aufgenommen werden konnten.
Auch Tetjana Jablonska wird von der Autorin als „einzigartige Künstlerin“ vorgestellt. Ihr „lange[r] und außergewöhnliche[r] Weg“ führte sie der Autorin zufolge „von der Alltagsmalerei zum Impressionismus“. In der kounion war Jablonska so erfolgreich, dass sie mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet wurde.
Unter dem Sowjetstern weniger angesehen dürfte die „schön und kluge Professorentochter“ Olena Teliha gewesen sein. Denn sie gehörte der Organisation Ukrainischer Nationalisten an, die für eine „eigene Staatlichkeit“ kämpften. Während des Zweiten Weltkriegs widerstand sie den Versuchen der Deutschen Besatzer, „die ukrainische Intelligenz dazu zu zwingen, die Idee einer spirituellen Wiederbelebung der Ukraine aufzugeben“. Im Alter von 35 Jahren wurde diese Vertreterin „jene[s] seltenen Frauentyp[s], der Stärke, Mut, Willenskraft und Furchtlosigkeit mit Weiblichkeit und Charme verband“, gemeinsam mit ihrem Mann und zahlreichen anderer Angehörigen des Schriftstellerverbandes von den Deutschen ermordet. Lange danach gab sich die Allukrainische Frauengesellschaft ihren Namen. Außerdem prägte die Ukrainische Nationalbank 2003 ihr zu Ehren eine Gedenkmünze. Und auch ihr Werk ist geblieben, namentlich ihr „programmatisches Gedicht“ Die Wende, das Kuschtewskaja für seinen „männliche[n], feste[n] Tonfall“ lobt.
Für die „weiblichen Emanzipationsbewegung“ in der Ukraine habe hingegen die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem Tod aktive Schriftstellerin Olha Kobyljanska eine wichtigere Rolle gespielt, denn in ihren Werken „[tauchten] die Themen Gleichberechtigung und weibliche Emanzipation zum ersten Mal in der ukrainischen Literatur auf“. So habe die Autorin „mit unglaublicher Ehrlichkeit […] ein Merkmal ihrer Zeitgenossen geschildert – eine Frau kann und darf nicht selbst entscheiden, wie sie leben möchte“. Obwohl Kobyljanska mit nur 40 Jahren einen Schlaganfall erlitt, in dessen Folge ihre linke Körperhälfte gelähmt blieb, unterstützte sie noch im hohen Alter die PartisanInnen im Kampf gegen die deutschen Besatzer. Nach ihrer Gefangennahme kam der natürliche Tod der zum Zeitpunkt 75-Jährigen ihrer Hinrichtung zuvor. Heute erinnert ein nach ihr benannter Literaturpreis an sie.
Die „Königin der ukrainischen Poesie des 20. Jahrhunderts“ aber ist Kuschtewskaja zufolge eine andere, nämlich die 1930 geborene Lina Kostenko. Mit Bedauern konstatiert die Autorin dass sie bis heute nicht den Literaturnobelpreis bekommen hat, denn ihre Lyrik sei ebenso gut wie die Bob Dylans. Vielleicht. Zumindest originell ist eines ihrer Gedichte über den Tod Ingeborg Bachmanns „aus der Perspektive des Rauchs“ des die österreichische Literatin tötenden Feuers. Kostenko werde zwar „häufig als ukrainische Feministin des 20. Jahrhunderts bezeichnet“, doch lehne sie „traditionelle Werte wie Mutterschaft, den häuslichen Herd, Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern“ keineswegs ab.
Die „berühmteste ukrainische Feministin“ sei jedenfalls die 1999 mit nur 41 Jahren viel zu früh verstorbene Solomia Pawlytschko, „eine talentierte Literaturkritikerin, Doktorin der Philosophie, Professorin, Übersetzerin englischer und amerikanischer Literatur“ und „eine wunderschöne Frau“. Wie Kuschtewskaja informiert, wurde ihr 1989 erschienener Roman Die Außerirdische „zum ersten wirklich feministischen Werk der ukrainischen Literatur erklärt“.
Tatjana Kuschtewskaja stellt nicht nur starke und streitbare Ukrainerinnen vor, sondern betreibt auch schon einmal, wenn es gerade passt, ein wenig Eigenwerbung und weist etwa darauf hin, dass sie „einmal ein ganzes Buch darüber geschrieben [hat], was die Klassiker der Literatur gerne aßen“. Auch flicht sie immer wieder eigene Erlebnisse und Erfahrungen ein, die auch schon einmal sehr persönlich sein können. So etwa, dass sie am Steinsarkophag der Fürstin Olga stehend eine „Erleuchtung“ hatte, „wie sie in der religiösen Literatur beschrieben wird“. Überhaupt tritt ihre religiöse und spirituelle Ader, in die sich gerne auch einmal etwas Aberglaube mischt, ein ums andere Mal hervor. Beispielsweise, wenn sie erklärt, dass sich „ein in Gott ruhender Mensch […] nie einsam fühlen [wird]“ oder mutmaßt, eine der porträtierten Frauen habe „vielleicht […] deshalb so energisch das Versteinerte aufbrechen [wollen]“, weil sie „laut Horoskop […] Schütze“ war. Womöglich sei ihr das aber „auch durch ihr westukrainisches Blut [ermöglicht]“ worden. Überhaupt scheint ‚das Blut’ eines Menschen eine gewichtige Rolle zu spielen. Denn die „erstaunliche Bescheidenheit, harte Arbeit und die Bereitschaft anderen zu helfen“, habe einer anderen der Frauen „im Blut“ gelegen. Von wieder einer anderen weiß die Autorin zu berichten, dass es „unter den Vorfahren“ der Frau „ausgewiesene Zauberer und Hexen“ gab. Eine ihrer Tanten sei zum Beispiel „in der Lage“ gewesen, „ohne technische Hilfsmittel Wasseradern unter dem Erdboden zu spüren“.
Auch scheint es sich bei allen Ukrainerinnen um ausgesprochene Schönheiten zu handeln. Zumindest betont die Autorin gerne, dass die von ihr vorgestellten Frauen außerordentlich schön seien. Marjia Sankowetzka etwa „war eine Schönheit mit wundervoller Haut, flauschigem Haar und Augen, aus denen ‚das innere Licht spiritueller Begabung in regelrechten Strömen floss’“. Nur von einer heißt es, „sie schien keine Schönheit zu sein“. Doch auch sie hatte „extreme Erfolge bei Männern“. Über die Amazonen wiederum ist Erstaunliches zu erfahren. Nämlich, dass sie „weibliche Spezialeinheiten des 10. Jahrhunderts“ waren, die „eine Art geschlechtsbezogener Völkermord“ begingen.
Bleibt noch zu monieren, dass Kuschtewskaja die Quellen ihrer Zitate nicht ausweist. Oft erwähnt die Autorin nicht einmal, wen oder was sie grade zitiert.
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