Vor 120 Jahren: Der Genozid an den Hereros nimmt seinen Anfang
General von Trothas Kriegstagebücher aus dem Jahr 1904–1905
Von Franz Sz. Horváth
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904-1908 gehört zu den Themen, deren Erforschung in den letzten beiden Jahrzehnten immens in den Vordergrund der Wissenschaft und der Öffentlichkeit gerückt ist. Anfang des Jahres publizierten Matthias Häussler und Andreas Eckl, beide Spezialisten für deutsche Kolonialgeschichte, endlich das Tagebuch des Generalleutnants Lothar von Trotha (1848-1920), der zwischen Juni 1904 und Oktober/November 1905 für die brutale Niederschlagung des Hereroaufstandes und den im Oktober 1904 erlassenen Vernichtungsbefehl verantwortlich war. Das Tagebuch wird durch ein Fotoalbum Lothar von Trothas ergänzt, das 206 überwiegend vom Generalleutnant selbst gemachte Aufnahmen enthält.
Das Tagebuch, genauer: eine von der Witwe von Trothas redigierte Version, wurde bislang nur von einigen wenigen Historikern konsultiert. Die vorliegende Edition wurde von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) gefördert und stellt die erste Ausgabe dar. Obwohl die DFG es den Herausgebern unverständlicherweise untersagte, der Edition eine wissenschaftliche Einleitung zwecks Kontextualisierung und Einordnung voranzustellen, erfüllt die Ausgabe dennoch alle wissenschaftlichen Ansprüche. Die eher kursorischen „Anmerkungen zur Edition“ am Anfang des ersten Bandes liefern einführende Hinweise zur Überlieferungsgeschichte und einige Anhaltspunkte zu den Schwerpunkten des Tagebuchs. Der Anmerkungsapparat zum Haupttext klärt auf, wer sich hinter den vielen Namen und was sich hinter den Abkürzungen versteckt. Im Anhang publizieren die Herausgeber 46 teils höchst interessante und aufschlussreiche Quellen, zumeist aus der Feder von Trothas. Dabei handelt es sich um Briefe, Telegramme oder Artikel. Dass diese Anhänge nicht direkt mit passenden Tagebucheinträgen verbunden werden, stellt ein, allerdings leicht zu verschmerzendes Manko der Edition dar. Der zweite Band beinhaltet (auf einem hochwertigeren Papier als der erste) von Trothas Fotografien, deren wissenschaftliche Begleitung durch einen „Prolog“ und einen umfangreichen und gut gegliederten Abschlusstext (S. 261-313) sowie durch einen „Epilog“ ausfällt – und so wesentlich zufriedenstellender ist als beim ersten Band. Beide Bände werden durch je ein Inhaltsverzeichnis und einen Index abgeschlossen.
Weder von Trothas Tagebuch noch sein Fotoalbum sind „unschuldige“ Quellen, in dem Sinn, dass sie unvermittelt ein Bild der Ereignisse in der Kolonie vermitteln würden. Die Herausgeber betonen vielmehr, dass von Trotha vor allem durch die Fotos, die damals umfangreiche Inszenierungen darstellten, als standesbewusster Adliger ein bestimmtes Bild von sich und seiner Umgebung übermitteln, ein bestimmtes Narrativ der Überfahrt, der Landschaft und seiner Rückkehr auf die Nachwelt zurücklassen wollte. Auch die Tagebucheinträge verweisen auf einen dezidierten Willen, hatte doch deren Autor mehrere Notizbücher unterschiedlichen Formats. Diese nutzte er jeweils in anderen Umgebungen, so dass es die Herausgeber waren, die die Einträge in eine chronologische Reihenfolge brachten. Dies mag man zwar als einen kritikwürdigen Eingriff in die Authentizität der Einträge bemängeln, doch bietet dieses Vorgehen den Vorteil, eine Entwicklung im Denken, in der Einstellung, in den Beobachtungen ihres Verfassers besser nachvollziehen zu können. Am augenfälligsten sind diese Veränderungen in Bezug auf die Länge der Einträge (inmitten der Kämpfe und auf dem Höhepunkt der Frustration von Trothas wegen deren Langwierigkeit waren sie am kürzesten). Doch auch die Inhalte änderten sich weg von der minutiösen Beobachtung der Umgebung und dem Festhalten von geographischen oder meteorologischen Daten hin zum inneren Erleben und einer bestimmten Narrativität. Die Einträge zeigen also das Denken des Soldaten, seine Erwartungen an die Offiziere und seine Unzufriedenheit, seine Kritik an einzelnen Personen sowie seine Bewertung bestimmter Ereignisse. Die Herausgeber publizieren im Anhang des ersten Bandes von Trothas Vernichtungsbefehl vom Oktober 1904, in dem von Trotha letztlich die Tötung aller Hereros befahl. Das Tagebuch verdeutlicht nun zum Beispiel die Genese des Befehls, wenn bereits in den Aufzeichnungen vom September genozidale Absichten erkennbar werden. Generell wird das brutale, keinen Widerspruch duldende Verhalten und die Denkweise von Trothas durch das Tagebuch einmal mehr dokumentiert: Man beachte das mehrfache Vorkommen der Aufforderung „Basta!“. Wenn einer der letzten in Südwestafrika geschriebenen Einträge mit dem Ausspruch endet: „[…] geschlafen, gewaschen allen Staub von Afrika von Leib und Seele. Basta“ wäre man fast geneigt zu denken, der General sei sich dessen bewusst gewesen, dass er so etwas wie den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts hat durchführen lassen. Immerhin starben etwa 40-60.000 Hereros in Laufe seines Feldzuges. Dieses brutale Vorgehen war selbst Kaiser Wilhelm II. zu viel gewesen: Nach seiner Rückkehr aus Afrika wurde von Trotha am Hof nicht empfangen und bald musste er sich der Kritik an seiner Kriegsführung erwehren. Deren Brutalität einmal mehr zu bezeugen, ist das große Verdienst der vorliegenden Publikation, die den Weg nicht nur in die Universitätsbibliotheken, sondern auch in Schulbüchereien finden sollte. Außerdem bieten die hervorragend kommentierten und zueinander in Beziehung gesetzten Bilder des zweiten Bandes einen reichhaltigen Schatz an Quellen, der einen besonderen visuellen Zugang zu den Themen Kolonialismus, Rassismus und Herrschaft ermöglicht (auch und weil die Hereros so gut wie nicht vorkommen).
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