Biografie eines außergewöhnlichen Paares
John Guy und Julia Fox haben ein Doppelporträt von Anne Boleyn und Heinrich VIII. vorgelegt
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Geschichte von Heinrich VIII. und Anne Boleyn ist eine der bemerkenswertesten in der englischen Geschichte: eine lange Brautwerbung, gefolgt von einer Schrotflintenhochzeit und schließlich einer Krönung. Doch dann verwandelte sich die Leidenschaft Heinrichs in solch einen Hass, dass er Anne zum Tode verurteilte. In Jagd auf den Falken untersuchen die beiden englischen Historiker*innen John Guy und Julia Fox die Beziehung zwischen Heinrich VIII. und Anne Boleyn, wobei Anne und ihr Einfluss auf den König im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Anne Boleyn war die zweite und gleichzeitig die bekannteste von den sechs Frauen des Königs von England. Zunächst schien die zukünftige Königin für eine konventionelle Laufbahn als Hofdame der Oberschicht vorbestimmt. Sie konnte damit rechnen, in den Adel einzuheiraten. Den größten Teil ihrer Jugend verbrachte Anne Boleyn mit ihrer Schwester Mary jedoch in Flandern und Frankreich, wo sie eine umfangreiche Ausbildung erhielt. Nach sieben Jahren kehrte sie 1521 zurück an den englischen Hof.
Ausführlich widmet sich das Autoren-Duo Annes Familiengeschichte: Die Boleyns hatten bereits vor Annes Aufstieg wichtige Positionen am englischen Hofe inne. Ob die hübsche junge Anne hier durch ihren französischen Lebensstil besonders attraktiv für die Männer am Hofe wirkte, lässt sich nur spekulieren. Irgendwann um 1525-26 verliebte sich Heinrich VIII. leidenschaftlich in sie. Er begann, Anne zu belagern, ihr mit Briefen und Geschenken oder überraschenden Besuchen den Hof zu machen. Durch ihre Distanziertheit wurde sein Ehrgeiz offenbar nur weiter gesteigert. Bald war der liebestolle Heinrich von ihr so besessen, dass er sich von seiner ersten Ehefrau Katharina von Aragon scheiden ließ und dazu den Bruch mit der römisch-katholischen Kirche vorantrieb. Mit der „Suprematsakte“ 1534, in der er sich zum Oberhaupt der Kirche in England machte, vollzog Heinrich dann die endgültige Trennung von Rom. Das alles als Folge der Liebe zu einer selbstbewussten Hofdame.
In einer stillen Zeremonie heirateten Heinrich und Anne am 25. Januar 1533, obwohl Heinrichs Ehe mit Katharina vor der Kirche immer noch Bestand hatte. Annes Krönung zur englischen Königin fand dann am 1. Juni statt, als sie bereits deutlich sichtbar schwanger war. Am 7. September erblickte die Tochter Elizabeth im königlichen Palast das Licht der Welt. Damals ahnte noch niemand, welche Bedeutung das kleine Mädchen später für England haben sollte. Doch Fehlgeburten und das Ausbleiben eines männlichen Erben führten bald zu zunehmenden Spannungen zwischen dem Königspaar. Außerdem machte sich Anne durch ihre Einmischung in finanzielle und außenpolitische Angelegenheiten zahlreiche Feinde, die nur darauf lauerten, sie mit einer in ihren Augen geeigneteren Kandidatin zu ersetzen. Also musste sich Minister Thomas Cromwell, die rechte Hand des Königs, um eine Lösung bemühen. So kam es zu einer Anklage wegen Ehebruchs gegen Anne, was Hochverrat bedeutete.
Guy und Fox untersuchen, ob Anne überhaupt eine Chance auf einen fairen Prozess hatte oder ob ihr Schicksal von Anfang an besiegelt war. Cromwell selbst überwachte den Prozess in der Westminster Hall. Obwohl Anne, die keinen Rechtsbeistand hatte, stets ihre Unschuld beteuerte, wurde die Ehe mit dem König für ungültig erklärt. Am 19. Mai 1536 wurde Anne Boleyn nur drei Jahre nach der Hochzeit zum Richtblock geführt und im Tower hingerichtet, um Platz für die nächste Frau zu machen.
Für keine seiner anderen Ehefrauen empfand Heinrich eine solch intensive Leidenschaft und keine andere Königin Heinrichs ist so tief im kollektiven Gedächtnis Englands verankert wie Anne. Ihr Schicksal übte über die Zeiten hinweg eine starke Faszination aus und lieferte Stoff für zahlreiche Biografien, Romane, Theaterstücke und Verfilmungen.
John Guy und Julia Fox stellen die Fakten in einen großen historischen Rahmen und vermitteln eine Würdigung dieser oft missverstandenen und unterschätzten Frau. Sie stützten sich dabei auf die neuesten Archivfunde und konnten so Lücken in der Biografie von Anne Boleyn schließen. Im Zuge der Forschungen wurden Briefe, Berichte und Protokolle durchforstet, und wo immer es möglich war, ließen sie Heinrich und Anne selbst zu Wort kommen. Die teilweise bisher kaum beachteten Archivfunde führten auch zu einer Neubewertung von Annes Rolle am englischen Hof, wo sie als intelligente, ehrgeizige und politisch interessierte Frau durchaus eigenständige Akzente setzte und eine gleichberechtigte Partnerin an der Seite ihres Mannes und des Königs sein wollte. Ausführlich werden auch die Vorgeschichte und die frühen Jahre der beiden Protagonisten geschildert; vor allem die sieben bedeutsamen Jahre, die Anne in Frankreich verbrachte.
Ausdruck dieser umfangreichen Recherchen ist ein 125-seitiger Anhang mit Anmerkungen, Familienstammbäumen, Quellen und Literatur. Außerdem wird die beeindruckende Biografie in einem Teil mit einigen historischen Abbildungen ergänzt.