Altes im Neuen oder: Alle Wege führen nach Rimini

Mit der Edition von Basinios da Parma „Hesperis“ liefert Christian Peters einen erweiternden Blick auf die frühe Renaissance Italiens

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Italien des fünfzehnten Jahrhunderts ist – auch wenn es angesichts vielfältiger Untergliederungen und divergierender Verhältnisse wie Entwicklungen in den verschiedenen Landesteilen des heutigen Staatsgebietes eigentlich nicht statthaft ist, von ‚dem‘Italien zu sprechen – überprägt von kulturellen und politischen Fortschritten beziehungsweise Momenten der Rückbesinnung auf die als idealtypisch angesehene Antike. Im Allgemeinen wird in diesem Zusammenhang vor allem an den Bereich der bildenden Kunst gedacht. Die (Wieder-)Entdeckung der Perspektive, vor allem aber die naturalistisch ausgeführten Großskulpturen, deren prominentestes Beispiel Michelangelo Buonarrotis David sein dürfte, sind die geläufigen Assoziationen mit dieser Epoche. Auch die Rivalitäten zwischen den ober- und mittelitalienischen Stadtstaaten erscheinen im Bewusstsein eines größeren Kreises sowie – im weiteren sprachgeschichtlichen Sinne – der Name Dante Alighieris. Dass es allerdings neben der ‚Erfindung‘ des modernen Italienisch auch konkrete Rückbezüge auf die italienische Antike und auf Latein als deren Sprache gab, ist weniger präsent. Hier kommt im Rahmen der Neulateinischen Bibliothek des Heidelberger Universitätsverlags Winter Christian Peters als Herausgeber eines faszinierenden Werkes dieser Zeit, Basinios da Parma Hesperis, ins Spiel.

Gerade angesichts der Zeitläufte, in denen kulturelle Traditionen, welcher Art diese immer auch sein mögen, verlorengehen, ist es immer wieder tröstlich, neben dem notwendigen Fortschreiten auch ein Innehalten zu ermöglichen und zu beobachten. Und im Meer des ‚Altbekannten‘ – die italienische Renaissance und ihre zuvorderst kulturellen, aber auch militärisch-politischen Komponenten sind schließlich recht gut erforscht – wieder ein neues Eiland entdecken zu können, das das Gesamtbild zwar nicht umstößt, wohl aber um unbekannte (oder vergessene) Aspekte erweitert, macht das vorliegende Buch bereits lesenswert.

Das edierte Werk selbst ist allein insofern schon spannend, als hier zu Beginn der Neuzeit das getan wird, was in der kulturgeschichtlich ausgerichteten Rezeption späterer Zeit als so typisch für diese Bewegungen, ganz gleich ob ‚Renaissance‘ oder ‚Humanismus‘, betrachtet wird: das Aufgreifen und Wiederbeleben antiker oder vielleicht oft auch antikisierender Formen und Vorgaben, die, so die eingängige Vorstellung, nach den dunklen Jahrhunderten des Vergessens wiederentdeckt und -belebt wurden. Dass die ‚politische Antike‘ auch im Mittelalter allgegenwärtig war, wird allein schon daran deutlich, dass seit der karolingerzeitlichen Translatio imperii die Vorstellung eines Fortbestehens des (West-)Römischen Reiches Staatsräson war. Aber auch kulturelle, etwa literarische, Motive waren keineswegs verloren, zu denken wäre hier an die Aeneas-Romane auch des deutschsprachigen Mittelalters. Gleichwohl ist in dieser Breite und Intensität erst mit der italienischen Renaissance zumindest für die politischen und kulturellen Eliten die Antike der Maßstab.

Dabei erlebten im italienischen Bereich auch politische Ideen eine Neubelebung; diese orientierten sich allerdings weniger an den imperialen Verhältnissen der Antike als an den Gegebenheiten und Idealen der republikanischen Zeit – und den Rivalitäten und Bürgerkriegen an deren Ausgang. In diesen Kontext gehören letztlich auch Basinio da Parma und sein Italischer Krieg. Dieses Buch widmete der Autor seinem Patron Sigismondo Malatesta als gewissermaßen literaturgewordenen Rechenschaftsbericht, weniger pragmatisch formuliert: als Apotheose seines Lebens und seiner Taten. In gewisser Hinsicht legte Basinio da Parma mit seiner Hesperis also einen heldenepischen Text vor, der sich von der Intention her mit mittelalterlichen Preisliedern vergleichen ließe, dessen qualitativer Anspruch jedoch in der klassischen Antike zu suchen ist.

Das auf eigenwillige und offenbar sehr ambitionierte Weise angegangene Epos kann als Markstein für eine offensive Aneignung antiker literarischer Formen angesehen werden; es ist einer der bemerkenswertesten Belege für die frühneuzeitliche Rezeption der homerisch-vergilischen Großform. Da die Protagonisten im Italischen Krieg jedoch nicht – wie etwa bei Homer und Vergil – in nachgerade mythischer Vergangenheit agieren, liegt überdies ein beredtes Zeugnis für eine Art ‚Kollaboration‘ von Literatur und Politik in jener Epoche vor – einer Phase politischer Selbstfindung und Selbst- wie Fremddarstellung, wie das thematisierte Epos belegt.

Venedig, Florenz, Mailand, ja. Aber ausgerechnet Rimini? Christian Peters formuliert diese Frage nach dem Wirk- und Sterbeort Basinios zwar nicht explizit, unterschiebt sie aber Leserinnen und Lesern insofern, als er sie in seiner Einleitung beantwortet. Bereits hier deutet sich die hohe Qualität der Gesamtpublikation an. Philologie im Allgemeinen und der Altphilologie im Besonderen wird immer noch tendenziell zumindest mit Sprödigkeit oder noch deutlicheren despektierlichen Attributen in Verbindung gebracht. Gleichwohl gibt es dafür keine Allgemeingültigkeit, und das vorliegende Buch dient als exzellenter Gegenbeweis. Christian Peters jongliert geschickt zwischen den Erwartungen, die im Rahmen von Bade- und Kulturtourismus geweckt werden, bietet einen charmanten Brückenschlag und erweckt damit die Aufmerksamkeit, die der besonderen Konstellation zwischen realer Politik, architektonischer (Selbst-)Darstellung und literarischer Eulogie angemessen ist.

Die Interessierten (und gewiss auch die zunächst weniger Interessierten) werden in diesen einleitenden Passagen in eine Welt entführt, die bei grundsätzlich adäquaten Strukturen, was Motive, Emotionen und Lebenstaktiken betrifft, doch in ihrer Ausprägung eine ganz andere ist. Dass Peters das Interesse zu fokussieren hilft, macht sicherlich nicht den geringsten Teil des Lesegenusses aus, der sich mit der Hesperis verbinden lässt. Wie sehr der Herausgeber für sein Werk brennt, wird daran deutlich, dass ein Großteil der für das Verständnis des Werkes und seines Verfassers zwar nicht notwendigen, aber bereichernden illustrierenden Fotografien von Peters selbst angefertigt wurden. Diese fügen sich in den umgebenden Textfluss ein und – vielleicht ein Aufgreifen der einleitenden Formulierungen hinsichtlich des Tourismus – bergen durchaus die Möglichkeit, bei einem Besuch der Stadt auf den Spuren Basinios zu wandeln.

Nach den hinführenden Absätzen werden die Person Sigismondos, also des Protagonisten der übersetzten panegyrischen Dichtung, dessen familiäre Wurzeln, aber auch die allgemeine politische Situation während dieser turbulenten Phase der Frührenaissance beleuchtet. Aber auch Basinio da Parma wird – als Dichter wie als Mensch – in den Blick genommen, und manche der detaillierten Beschreibungen sind in der Tat geeignet, den Beschriebenen wie eben auch seine Umgebung vor dem inneren Auge lebendig werden zu lassen.

Erkennbar wird die Tragik seines viel zu kurzen Lebens auch daran, dass von Basinio circa 18.000 lateinische Verse und einige griechischsprachige Fragmente bekannt sind. Es ist also davon auszugehen, dass seine Produktivität sich nicht nur quantitativ stark erweitert hätte, sondern auch erhebliche qualitative Impulse von dem Œvre dieses Dichters ausgegangen wären, das so mit der Hesperis seinen Abschluss gefunden hat. In diesem Zusammenhang ist auf das rätselhafte Testament Basinios zu verweisen, der seinem Förderer zur Aufgabe machte, das vorgeblich unvollkommene Werk unverändert zu veröffentlichen – oder zu verbrennen. Nun erscheint die Hesperis weder unvollkommen, noch wurde die Dichtung den Flammen übergeben, aber durch diese Verfügung mit einem Nimbus des Rätselhaften umgeben, der das Interesse der Zeitgenossen, aber auch der Nachwelt erst recht entfachte und am Leben hielt.

Auch Peters zieht alle Register, wenn er im Zusammenhang mit Schöpfer und Werk eine „Reise ins Ungewisse“ konstatiert und dabei auch knapp auf das literarische Umfeld Basinios eingeht. Nach einem Abriss zu Sprache und literarischer Technik der Dichtung hebt der Herausgeber schließlich zu einer Bewertung von Dichter und Dichtung an, letztere als eine „Zeitkapsel der Frührenaissance“, ersteren als „unverfrorenen Selbstplagiator und hingebungsvollen Homerzeloten“ bezeichnend. Das Besondere an der Hesperis, so Peters, ist der Umstand, dass es Basinio gelungen sei, „etwas grundlegend Neues zu erschaffen, das zwar nachdrücklich antik aussah, in Wirklichkeit aber mindestens ebenso sehr die Epochensignatur der Frührenaissance in sich trug“.

Dem ist wenig hinzuzufügen, außer dass ein Hinweis auf Textgestaltung und Übersetzung, eine dankenswerterweise beigefügte Synopse von Geschichte und Dichtung sowie eine entsprechende Auflistung „zeitgeschichtlicher Figuren und ihrer epischen Avatare“ neben einem umfassenden Quellen- und Literaturverzeichnis adäquat, um nicht zu sagen: optimal an das Werk heranführen. Ergänzt und abgeschlossen wird das Werk mit weiteren Anmerkungen zu Text und Übersetzung sowie einem abschließenden Namensregister. Eine ‚Triggerwarnung‘ ist an dieser Stelle notwendig: Das Werk selbst muss dann doch ganz eigenständig gelesen werden.

Immer wieder wird deutlich, mit welcher Verve Peters sein Unternehmen angegangen ist. Es werden gelungene Rahmen-Informationen geboten, die das Verständnis des Textes erst vollumfänglich ermöglichen, ergänzt von den herausragenden und keinesfalls amateurhaft wirkenden Fotografien des Herausgebers selbst. Auch die editorisch-übersetzerische Arbeit kann nur als gelungen bezeichnet werden. Das einzig wirklich zu Bemängelnde ist der nicht gerade niedrige Verkaufspreis, der womöglich vom Erwerb abschreckt.

Dennoch lohnt es sich, die Anschaffung vielleicht gerade auch angesichts der anstehenden Weihnachtstage in ernsthafte Erwägung zu ziehen, denn das Buch ist im besten Wortsinne ‚rund‘. Wenn es also auf der Umschlagrückseite heißt, der Italische Krieg sei eine „kurzweilige Lektüre für jeden Kenner der antiken Epik oder der Frührenaissance“, so ist dem nur zu widersprechen – die Lektüre der Hesperis ist, gleich ob ambitioniert auf Latein oder in der neuhochdeutschen Übertragung, für alle Interessierten ein Vergnügen. Und womöglich wird sich gerade aus dieser Lektüre heraus ein tieferes Interesse für die Zeit der Frührenaissance ergeben, sei es, was die philologischen Aspekte angeht, sei es, was die politische Geschichte dieser Epoche betrifft. Oder um es eindringlicher zu formulieren: Wer dieses Buch ignoriert, ist selbst schuld.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Christian Peters (Hg.): Basinio da Parma: Hesperis. Der italische Krieg.
Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Christian Peters.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2021.
562 Seiten, 72,00 EUR.
ISBN-13: 9783825348717

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