Ein Buch für alle

Mit „Feminismus“ hat Agnes Imhof einen informativen Band über die Frauenbewegung, ihre Geschichte und ihre Theorien vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Feminismus ist vielfältig und die Bücher über ihn sind noch zahlreicher. Doch zweifellos sind es noch immer nicht genug. Denn wie schon Hedwig Dohm zu Beginn des 20. Jahrhunderts wusste, muss man „auf dem Gebiet der Frauenfrage […] wie ein Wiederkäuer“ alles ein ums andere Mal aufs Neue erklären. Das „liegt“ der prominenten Feministin zufolge „an der Taktik unserer Gegner, die wieder und wieder dieselben Behauptungen aufstellen, unter absoluter Ignorierung unserer Widerlegungen“. So war es damals und so ist es auch heute noch. Hinzu kommt, dass im Laufe der Zeit immer neue Themen und Fragen auftauchen. Zwei gute Gründe also, weiterhin über den Feminismus zu publizieren – natürlich aus feministischer Sicht.

Genau das hat Agnes Imhof getan. Ungeachtet aller aktuellen feministischen Strömungen (und solchen, die sich dafür halten oder auch nur als solche ausgeben), möchte sie „dort ansetzen, wo er [der Feminismus] ursprünglich herkommt: bei der Erfahrung von Leiden und dem Bedürfnis nach Freiheit“. Bei all den heutigen feministischen Irrungen und Wirrungen ein notwendiges Unterfangen.

Wie die Autorin dezidiert betont, hat sie mit dem vorliegenden Band „kein Buch nur für Frauen“ geschrieben. Dass es sich an alle richtet, schlägt sich auch in dem gut lesbaren und allgemeinverständlichen Stil nieder, der es an griffigen Wendungen wie der Rede vom „künstlich geschwächte[n] Geschlecht“ und aphoristischen Anmerkungen („Gott und die Frauen, das ist keine Liebesgeschichte.“) nicht fehlen lässt. Einmal lässt sie sogar einen ebenso originellen wie treffenden Neologismus einfließen: „Mansploiting“. Das durch ihn bezeichnete Phänomen ist allerdings alles andere als neu. So weist Imhof etwa darauf hin, dass sich bereits Marx und Engels der Ausbeutung (der Ideen) Flora Tristans schuldig gemacht haben. Und sicherlich waren sie nicht einmal die ersten.

Zu Imhofs publikumsfreundlichen Stil passt auch, dass die Autorin insbesondere in den ersten Abschnitten immer wieder Reinhard Meys unsäglich emanzipationsfeindliches Lied Annabelle als Negativbeispiel heranzieht, bei dessen titelstiftender Intellektueller einer Liedzeile zufolge „[schon] der Bartwuchs [beginnt]“, was von Mey nicht sehr originell ist. Denn schon Kant spottete über intellektuelle Frauen wie Anne Dacier und Émilie du Châtelet, sie sollten „nur immerhin noch einen Bart dazu haben; denn dieser würde vielleicht die Miene des Tiefsinns noch kenntlicher ausdrücken, um welchen sie sich bewerben“. Das aber nur am Rande. Wichtiger ist, dass sich „nichts“ in Imhofs Buch „gegen Männer [richtet]“, aber „alles gegen eine Gesellschaftsform, die jahrtausendelang Frauen zu geistlosen Sklavinnen und Männer zu tyrannischen Trotteln erzogen hat“.

Im ersten Teil des Bandes, der im Untertitel den nicht eben geringen Anspruch erhebt, die Entwicklung der „älteste[n] Menschenrechtsbewegung der Welt von den Anfängen bis heute“ nachzuzeichnen, erzählt die Geschichte des Feminismus entlang von bedeuteten Akteurinnen der nach ihnen benannten Bewegung, um die „Leistungen“ dieser „klugen und mutigen Frauen […] für uns heute nutzbar zu machen“. Interessant ist, dass die Autorin den Beginn der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts sehr früh ansetzt, indem sie ihn mit der Entdeckung der Eizelle 1827 in Verbindung bringt, die „das Schöpfungsmonopol des Mannes als patriarchales Manipulationsnarrativ entlarvt“ hat und den auf Aristoteles zurückgehenden Irrtum, „der Mann sei der eigentliche Schöpfer bei der Fortpflanzung, die Frau hingegen nur das Gefäß, gewissermaßen der Ackerboden“ ad absurdum führte.

Noch vor der Entdeckung der Eizelle traten allerdings „frühe Feministinnen“ wie literarische Städtebauerin Christine de Pizan, Olympe de Gouges oder Mary Wollstonecraft auf den Plan. In den 1840er Jahren folgten die Herausgeberin der Frauen-Zeitung Louise Otto Peters, wiederum einige Jahrzehnte später die ebenso kluge wie wortgewandte Hedwig Dohm, die englischen Suffragetten, namentlich Emmeline Pankhurst, die heute zu unrecht eher wenig bekannte deutsche Frauenrechtlerin Minna Cauer und die führende Feministin des radikalen Flügels Anita Augspurg. Überraschender Weise reiht Imhof auch die orthodoxe Kommunistin Clara Zetin in diese honorable Liste ein, der der Sozialismus immer wichtiger war als der Feminismus, da, wie Zetkin meint, „die gewaltige Umwälzung der Gesellschaft […] unerlässliche Bedingung für [die] Gleichberechtigung des gesamten weiblichen Geschlechts“ sei. Auch erklärte sie dezidiert: „Unsere Forderung des Frauenwahlrechts ist keine frauenrechtlerische, vielmehr eine Massen- und Klassenforderung des Proletariats.“ Darum forderte sie 1894 die „reinliche Scheidung“ zwischen der „Frauenrechtlerei“ und der „Arbeiterinnenbewegung“. Die „unüberbrückbaren Gegensätze“ beider machen sie Zetkin zufolge zu „zwei grundverschiedene[n] soziale[n] Strömungen“.  Sie selbst zählte sich selbstverständlich zu letzterem. So hält auch Imhof fest, dass Zetkin „als Sozialistin [schreibt], also innerhalb der sozialistischen Bewegung“. Ist nicht ganz nachzuvollziehen, warum Zetkin in die Ehrengarde der Frauenrechtlerinnen aufgenommen wurde, so fällt andererseits ins Auge, dass die frühen US-amerikanischen Frauenrechtlerinnen wie Elisabeth Cady Stanton ebenso wenig erwähnt werden wie die Ursprünge der dortigen Frauenbewegung aus der Bewegung gegen die Sklaverei, in der sich die späteren Gründerinnen und Führerinnen der Frauenbewegung kennenlernten.

Die Nennung von Zetkin hängt vielleicht damit zusammen, dass Imhof die Frauenbewegung überwiegend links verortet, denn „möglicherweise hat jeder echte Feminismus eine zugrunde liegende anarchistische Tendenz“. Ob dem tatsächlich so ist, lässt sich bezweifeln. Feministinnen wie Isabel Rohner würde es jedenfalls heftig bestreiten.

Den Abschnitt über die zweite Welle der Frauenbewegung eröffnet die Autorin mit Simone de Beauvoir, zu deren „wohl berühmteste[m] Zitat“ („Man kommt nicht als Frau auf die Welt, sondern man wird dazu.“) Imhoff erklärt: „Das meinte sie übrigens nicht im biologischen Sinn.“ Zu de Beauvoirs Zeit verstand sich das von selbst. Heute muss es wohl explizit dazu gesagt werden. Nach de Beauvoir kommen dann in Gestalt von Kate Millet auch die US-amerikanischen Feministinnen zu ihrem Recht. Außerdem geht Imhof auf das Urgestein des bundesdeutschen Feminismus Alice Schwarzer und die hierzulande so gut wie unbekannte Marokkanerin Fatima Mernissi ein.

Als Vertreterinnen der dritten Welle, die der Autorin zufolge „stärker vom Aktivismus [lebte] als die vorhergehenden“, stellt Imhof Naomi Wolf und Rebecca Solnit vor. Außerdem die bedeutende nigerianische Feministin und Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sowie Gruppen und Bewegungen wie die Femen, die Slutwalks und die MeToo-Bewegung.

Nachdem Imhof auf diese Weise die Geschichte des Feminismus durchgegangen ist, wendet sie sich seinen „Formen und Themen“ zu. Allerdings kommt hier endlich auch eine bedeutende Frühfeministin zu Wort: Flora Tristan, die nicht wie der Marxismus den Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit propagierte, sondern dafür plädierte, „die Überwindung des Patriarchats an den Anfang des Kampfes für mehr soziale Gerechtigkeit zu stellen“.

Heftige Kritik übt Imhof am feministischen Poststrukturalismus sowie an den Theorien Judith Butlers, deren „Idee, dass Geschlecht eine Frage der Einstellung sei“, sie vorwirft, „nicht nur die naturwissenschaftliche Basis [zu ignorieren], sondern überdies „genau die Geschlechtsunterschiede [zu zementieren], die Beauvoir überwinden wollte“. Auch nehme der „Butler’sche Vulgär-Poststrukturalismus […] dem Feminismus sein eigentliches Fundament. […] Besser kann man dem Patriarchat nicht in die Karten spielen“. Und nicht zuletzt „begeht Butler den übelsten Schnitzer, den eine Wissenschaftlerin begehen kann: Sie überträgt eine Gesellschaftstheorie anthropomorphisierend auf die Biologie“. Auch sei es „natürlich Unsinn“, wenn „Kritik an Queer-Theorie“, wie dies manchmal geschehe, „mit Transfeindlichkeit gleichgesetzt“ wird. Denn Kritik an Theorien […] hat nicht das Geringste mit der Ablehnung von Lebensentwürfen oder gar von Menschen zu tun“. Auch dürfte es viele überraschen, dass die Bezeichnung TERF „juristisch als Beleidigung gewertet wird“. So wurde der Transfrau Maike Pfuderer 2023 unter Androhung eines Ordnungsgeldes von nicht weniger als 250.000 Euro rechtskräftig untersagt, die Feministin Inge Bell weiterhin als TERF zu beschimpfen.

Ebenso schlecht wie die Theorien Butlers kommt der intersektionale Ansatz weg, da er Imhof zufolge „mehrfach diskriminierten Menschen Individualität [abspricht]“ und „immer wieder zu sonderbaren Allianzen zwischen intersektionalen Feminist*innen und den Vertreter*innen radikalkonservativer bis offen faschistischer Gruppen, etwa (aber keineswegs nur) im Falle des fundamentalistischen Islam“, entstehen.

Über den ‚westlichen’ Kulturkreis hinausblickend informiert die Autorin über Feministinnen in islamischen Gesellschaften, insbesondere über die „Revolution der Frauen“ im Iran 2022, sowie schlaglichtartig über Feminismen in Lateinamerika, Indien und Afrika. Des Weiteren behandelt die Autorin Matriarchatstheorien, den Amazonen-Mythos und den Wicca-Kult sowie schließlich den Ökofeminismus, den sie auf den „[Einfluss] indigener Stämme […] auf die amerikanische Frauenbewegung“ zurückführt. Nachdem sie eher kurz die Misogynie in den wichtigsten Religionen behandelt hat, wendet sie sich ausführlicher derjenigen in atheistischen Organisationen zu. Und dazu gibt es allen Grund, denn die Frauenverachtung ersteren ist allbekannt, die der letzteren hingegen weithin unbekannt.

Beschlossen wird das Buch mit einem Abschnitt über „aktuelle Herausforderungen“ wie etwa Rape Culture, „patriarchale Protestbewegungen“ oder die neuen Reproduktionstechnologien, bzw. deren Anwendung im Sinne des patriarchalen Systems.

An Imhofs Feminismus-Buch gibt es wenig zu beklagen. Tatsächlich bedauerlich ist allerdings, dass es weder ein Personenregister noch ein Literaturverzeichnis aufweist. Beides aber wäre in einem Buch, das Geschichte, Persönlichkeiten und Theorien des Feminismus derart umfassend in den Blick nimmt, wünschenswert gewesen. Auch zieht sie ganz überwiegend Sekundärliteratur oder auch einmal ein Lexikon heran, eher selten hingegen die Primärquellen. Diese samt und sonders zu recherchieren, würde aber auch eine schwerlich zu bewerkstelligende Recherchearbeit erfordert haben. Jedenfalls dürfte kaum jemand Imhofs Buch aus der Hand legen, ohne allerlei Neues über Feministinnen und die lange Geschichte der vielfältigen Frauenbewegung(en) erfahren zu haben.

Titelbild

Agnes Imhof: Feminismus – Die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt. Von den Anfängen bis heute.
DuMont Buchverlag, Köln 2024.
384 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783832168278

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