Der bescheiden hermetische Aufklärer der Bundesrepublik
Das Werk „Es müsste etwas besser werden“ von Stefan Müller-Doohm und Roman Yos über Jürgen Habermas zeigt einmal mehr die Schwierigkeit der Vermittlung des berühmtesten Philosophen Deutschlands
Von Stephan Wolting
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelbst nach der Lektüre des hier zugrundeliegenden Werks steht noch dahin, ob im Titel des Werks die Bescheidenheit bezüglich seiner Rolle als Deutschlands bekanntestem, heute noch lebenden Philosophen oder die Einsicht in die Begrenzung eigener philosophischer Erkenntnis anklingt. Bei dem hier besprochenen Buch handelt es sich um Gespräche des Habermas-Biographen Stefan Müller-Doohm und Roman Yos mit dem Denker über dessen nicht immer leicht zugängliche Texte und „spröde Schriften”. Die Interviews handeln von Stationen des Denkwegs des Philosophen.
Bereits in diesen Überschriften drückt sich die Disparativität der Themen wie die Bandbreite von Habermas´ Denken aus: Anfänge einer wissenschaftlichen Biografie, Frankfurt, eine neue Welt, und das alte Heidelberg, Von der Positivismuskritik zur Kritik funktionalistischer Vernunft, Nachmetaphysisches Denken und detranszentalisierte Vernunft, Nachbetrachtungen zu Auch eine Geschichte der Philosophie und Im philosophischen Diskurs mit Freunden und Kollegen.
Fast zeitgleich zu den Interviews ist das Werk von Philipp Felsch Der Philosoph. Habermas und wir erschienen, was bereits im Titel andeutet, dass Habermas der Philosoph der alten Bundesrepublik gewesen sei, was in dem hier besprochenen Band ebenfalls implizit deutlich wird. Worum es dem Denker in beiden Werken geht, bezeichnet Habermas selbst als „die Begründung des Quäntchens Vernunftvertrauen und der Pflicht zum Gebrauch unserer Vernunft”.
Von diesem Zitat führt eine direkte Linie hin auch zu einem kritischen Blick auf sein Werk. Habermas zeigt in seinem Schaffen und Leben eine deutliche Westorientierung, nicht zuletzt durch seine häufigen Amerika-Aufenthalte, was er aber in späteren Lebensjahren aufgrund der politischen Weltlage theoretisch etwas relativiert. Dabei fällt er allerdings nie in einen Anti-Amerikanismus, konzediert aber durchaus den Abstieg des Westens. allerdings in weniger radikaler Form wie es beispielsweise in dem gerade auf Deutsch erschienen Werk des französischen Historikers Emmauel Todd Der Westen im Niedergang zum Ausdruck kommt.
Die Hinwendung zum Westen bezieht sich nicht allein auf den biographischen Hintergrund, sondern belegen auch seine theoretischen Überlegungen. Es scheint überraschend wie logisch stringent zugleich, wenn er etwa der zeitgenössischen amerikanischen Philosophie eine solch große Bedeutung zumisst, etwa was ihre Bedeutung als Ablösung der Weltbedeutung deutscher Philosophie, aber auch im Verhältnis zur zeitgenössischen französischen Philosophie betrifft, die in den Gesprächen im Werk fast komplett außen vorgelassen ist, und erst ab den Seiten 222ff. (bei 230 Textseiten), und dann eher marginal, auftaucht. In dem erwähnten Werk von Felsch, das u.a. ebenfalls auf Gesprächen des Autors mit Habermas in dessen Starnberger Haus fußt, wird die amerikanische Philosophie wiederum fast komplett ausgespart.
Philosophie in den 80er und 90er Jahren in Deutschland zu studieren, bedeutete aber sich vor allem dem Einfluss der deutschen wie der französischen Philosophie auszusetzen. Habermas hingegen hält auch in der Nachbetrachtung an der Rezeption amerikanischer Philosophie fest, wozu „meine Generation, das sage ich nicht ganz ohne Stolz, die Türen geöffnet” hat, wie er sagt. Von daher kommt Sloterdijks Verdikt über Habermas, dass er der Philosoph der Re-Education gewesen sei, noch mal eine ganz eigene Bedeutung zu.
Dabei ist Habermas natürlich bewusst, dass es neben der analytischen und pragmatischen Philosophie in Deutschland mindestens zwei entscheidende Stränge innerhalb der deutschen Philosophie gegeben hat: jener von Kant ausgehende transzendentale Idealismus, weitergeführt in Hegels Phänomenologie des Geistes, mit der Betonung von Vernunft oder „absolutem Geist”, in deren Nachfolge Habermas´ Position, nicht zuletzt durch seine Marx-Lektüre, zu verorten ist. Auf der anderen Seite existierte aber immer auch jene andere anti-hegelianische Richtung, die über Nietzsche, Freud, Husserl, Heidegger und die French theory (so aus amerikanischer Sicht genannt) verläuft.
Diese Richtung bezieht Habermas in den Interviews zumindest in Bezug auf Freud und Heidegger mit ein, der Name Nietzsche fällt allerdings nicht. In Hinblick auf Heidegger gilt Habermas als dessen philosophischer Gegenspieler, etwa wo er diesem vorwirft, sich nie von seiner Position im 3. Reich wirklich distanziert und den „planmäßigen Mord an Milionen Menschen seingeschichtlich legitimiert” zu haben. Zudem nennt Habermas in den Interviews weitere Auseinandsetzungen mit vom Nationalsozialismus beeinflussten Denkern wie Erich Rothacker, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen oder Otto Bollnow. Um letzteren hatte es eine große Diskussion über seine direkte Beteiligung am Dritten Reich gegeben. Von der Bollnow-Gesellschaft wurde dazu ein historisches Gutachten in Auftrag gegeben.
Habermas, der als unermüdlicher Leser und Zitierer gilt, was zum Teil soweit geht, dass ihm hin und wieder die Originärität seines Denkens abgesprochen wurde, ist sich von Beginn seiner theoretischen Äußerungen an dieser anderen, eher anti-rationalistischen, seiner Position entgegengesetzten Richtung, bewusst, bezieht diese aber schon früh in seine Überlegungen mit ein, was sich auch etwa in seiner Dissertation von 1954 Das Absolute und die Geschichte: von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken zeigt, mit Schelling als Scharnier zwischen Kant und Hegel und der Versöhnung von Aufklärung und Überlegungen zum Unbewussten und der Naturphilosophie.
In den weiteren Gesprächen skizziert Habermas zum einen seinen weiteren Denkweg über Wittgenstein, Austin, Searle bis zur modernen Sprachphilosophie, zum anderen hebt er seinen zumindest temporär stark vertretenen „soziologischen Ansatz“ hervor, der ihn jedoch immer wieder zur Philosophie zurückführte.
Damit sind zwei weitere Auffälligkeiten dieses Werks angedeutet: Es werden relativ viele Namen von Personen genannt, mit denen er in Austausch stand oder weiterhin steht, und die für seine wissenschaftliche Karriere von besonderer Bedeutung waren, deren Werk für Nichtfachphilosophen aber nicht immer geläufig ist. Am bekanntesten ist dabei noch der Kreis seiner philosophischen Freunde Karl-Otto Apel, Ernst Tugendhat, Dieter Henrich oder Michael Theunissen, alle zum Who is who bundesrepublikanischer Philosophie nach dem Krieg gehörend.
Darüber hinaus wird Habermas ausreichend Gelegenheit gegeben, seine theoretischen Überlegungen in Form von mündlichen Bemerkungen näher zu erläutern. Dabei fallen zudem Tendenzen bei Habermas ins Auge, die insgesamt für die Rezeption seines Werks von Bedeutung sind. Einmal wird deutlich – und darin ist er zugleich seinem Lehrer Adorno und seinem „Widersacher“ Horkheimer ähnlich –, dass Habermas in erster Linie für die Theorie und weniger für die politische Aktion steht, ganz im Gegensatz zu Herbert Marcuse. Im Gegensatz zu diesem lehnte er es ab, zum Vordenker der Studentenbewegung zu werden.
Diese so vertretene „Schulphilosophie“ zeigt sich auch darin, dass er in erster Linie und fast ausschließlich als ein Vertreter der Schrift und nicht des Bildes oder des Tons gilt und hierin dann wiederum sehr unterschiedlich im Vergleich zu Adorno und damit auch nach eigenem Verständnis eher der klassischen philosophischen Schriftsprache beziehungsweise Terminologie zuzurechnen ist. Auch hierin besteht ein großer Unterschied zu vielen französischen zeitgenössischen Denkerinnen und Denkern, deren Provenienz und akademische Identität keinesfalls so eindeutig ist und die zum Teil zwischen Kunst, Psychologie, Philosophie, Essayistik oszillierten.
Hier zeigt sich aber auch eine Schwachstelle des Bands, was weniger an Habermas und mehr an den Herausgebern liegt, denn es wird nicht klar, für welche Adressat*innen das Buch eigentlich geschrieben ist. Für Fachphilosoph*innen lassen sich Habermas Ausführungen zu den Themen gut nachvollziehen, sie dienen zur Klärungen einiger wichtiger Positionen und Diskurse. Für interessierte Laien fehlt es in dem Band allerdings an notwendigen Erläuterungen und Kommentaren. Manche frühen Auseinandersetzungen sind ohne Hintergrundwissen nicht nachvollziehbar. Was das Werk für die Rezensent*innen dennoch darüber hinaus lesenswert macht, sind zentrale Überlegungen zum Historikerstreit, das Verhältnis von Totalität und unverwechselbar und unvertretbar Individuellem bei Hegel oder auch die Beschreibung der verschiedenen Positionen der Frankfurter Schule, vor allem von Adorno, in Hinblick auf dessen Gesellschaftstheorie, aber auch der Weg von der Negativen Dialektik über die Ästhetische Theorie zur Minima Moralia.
Insgesamt ist das Werk also bedingt empfehlenswert. Es bleibt insgesamt aber etwas offen, welche Faszination vom Werk Habermas’ ausgeht, ob seine Ansätze nicht doch sehr zeitbezogen sind, insbesondere die Überlegungen zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, und warum er dennoch bis in die heutige Zeit als der deutsche Denker per se gilt. Eingegangen wird auch auf seine jüngsten politischen Äußerungen zum Ukraine-Krieg, für die er hat viel Kritik einstecken müssen.
Der Grundwiderspruch von Habermas‘ Schreiben wird in dem Werk allerdings noch einmal sichtbar: Er, der sich für eine Theorie des kommunikativen Handelns, für einen herrschaftsfreien Diskurs und für einen demokratischeren Umgang auf der Basis einer universalen Vernunft einsetzt, vermag es nur selten, seine Überlegungen in eine für eine größere Allgemeinheit sprachlich nachvollziehbare Form zu bringen.
Die Grundwidersprüche seines Denkens werden in den Gesprächen virulent: Das Pendeln zwischen politischem Handeln und theoretischen philosophisch-soziologischen Voraussetzungen, zwischen Universalität und Partikularität oder zwischen großer Welt und Provinz. Es wären in diesem Falle noch einige fachphilophische Diskurse zu nennen, die in dem Band erwähnt werden wie der Positivismusstreit, die Kritik an der funktionalen Vernunft des nachmetaphysischen Denkens oder die Kontroverse mit Luhmanns Systemdenken, deren Voraussetzungen ebenfalls noch etwas genauer hätten kommentiert werden können, deren expliziterer Einbezug aber den Umfang dieser Besprechung gesprengt hätte.
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