Deal mit dem Teufel

Der Historiker Daniel Marwecki stellt in seinem Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ eben jene vom Kopf auf die Füße

Von Conrad KunzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Conrad Kunze und Martin HöfigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Höfig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss dieses Buch vom Ende her lesen. Dort stehen zwei Sätze, die das Zentrum des Textes bilden, auf das diese Historiographie der letzten 75 Jahre hinstrebt.

Letzten Endes steht das größte Mahnmal für die singulären deutschen Verbrechen nicht in Berlin (…) sondern es muss unsichtbar bleiben. Es ist die untergegangene jüdische Welt in Europa – vor allem in Osteuropa – die Deutschland in den Jahren seiner Barbarei unwiederbringlich vernichtete.

Die jiddische Sprache, ihre Klezmer-Musik, ihr kosmopolitisches Städele zwischen schwarzem Meer und Ostsee sind fast gänzlich verschwunden. Diese Welt lebt auch nicht im Exil weiter, weder in Israel noch in New York, trotz des ein oder anderen Klezmerkonzerts hier oder da.

Deutschland in Gestalt der bis an die Oder expandierten Bundesrepublik habe im Jahr 2023, wie Marwecki schreibt, „im Nahen Osten zu sich selbst gefunden.“ Hier fände die BRD seit dem Sechstagekrieg und seither immer wieder eine Sorte Juden bestätigt, die sie achten, ja sogar verehren konnte – stark, militaristisch, zupackend und nicht zuletzt gegen ihre Feinde brutal bis zum Kriegs- und Menschheitsverbrechen. Solcherart provokante und zugespitzte Gedanken werden von Daniel Marwecki in seinem Buch Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson jedoch nicht einfach nur in den Raum gestellt, sondern durch eine große Fülle an Details auch aus bis dato unter Verschluss gehaltenen Dokumenten nachvollziehbar entwickelt.

Seit dem binationalen Abkommen von 1952 floss viel Geld, meist in Form von militärischer und industrieller Hilfe, aus Westdeutschland nach Israel. Im Tausch dafür habe es dann beispielsweise Adenauer genossen, den beiden israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion und Levi Eschkol oberlehrerhaft zu erklären, „dass Deutsche und Juden gleichermaßen Opfer der Naziherrschaft gewesen sind.“

Etwas subtiler, aber noch immer im Geiste eines narzisstischen Entlastungswunsches sprach Friedrich Merz anlässlich des 75. Jahrestages der israelischen Staatsgründung über das „Märchen“ des Theodor Herzl, seinen Traum eines eigenen jüdischen Staates. Im Leid von Pogrom und Holocaust bis Unabhängigkeitskrieg und Nakba erkannte Merz eine „beispiellose demokratische Erfolgsgeschichte (…) die auch auf Deutschland zurückscheint“. Fatalerweise wirkt bei Merz der Holocaust wie ein notwendiges Opfer, das schließlich nach „dem Weg durch die Hölle“ mit dem eigenen Staat belohnt wurde.

Merz kommt das Verdienst zu, hier einmal mehr unverblümt das Verhältnis von Bundesrepublik und Israel deutlich ausgesprochen zu haben. In Israel hingegen gelte ein solch offenes Sprechen über die Identitätspolitik der Deutschen zum Land ihrer Opfer bis heute als peinlich, schreibt Marwecki.

In den 1950er Jahren sei die Abscheu in Israel gegenüber dem „Schweigegeld“ von Konrad Adenauer noch groß genug gewesen, um einen versuchten Sturm auf das Parlament durch die Vorgängerpartei des heutigen Likud (die Partei Netanjahus) und einen Streik der Näherinnen von für die Bundeswehr bestimmten Uniformen zu provozieren. Das sei heute nicht mehr so. Das nun gesamtdeutsch-israelische Verhältnis funktioniere geräuschlos, bis auf die neuen Störenfriede – jüdische, oft sogar israelische Intellektuelle, die Israel öffentlich in einem Ton kritisierten, der jedem Nicht-Juden hierzulande sofort den Vorwurf des Antisemitismus einhandeln würde.

Frappierend ist umso mehr, wie genau sich das von Marwecki vor allem herausgearbeitete historische Bild der 1960er und 1970er Jahre in der Gegenwart spiegelt. So heißt es an einer Stelle deutlich: „Die deutsche Israelpolitik war im Kern erkaufte Identitätspolitik.“ Dementsprechend beschreibt der Autor an anderer Stelle seine Beklemmung beim Anblick einer schwarz-rot-goldenen Flagge mit Davidstern. Westdeutschland sei seit dem Abkommen von 1952 nach den USA Israels zuverlässigster Verbündeter gewesen und sei es bis heute. Als eine Art Gegenleistung habe Israel zu den offensichtlichen Nazikontinuitäten in der Regierung und Republik Adenauers geschwiegen und schweige im Grunde wiederum bis heute dazu. Selbst wenn ein nicht-jüdischer, “biodeutscher“ Antisemitismusbeauftragter mit wüsten Antisemitismusvorwürfen auf Jüdinnen und Juden losgehe, schweige die israelische Regierung, schreibt Marwecki. Und jener Felix Klein scheine sich dabei ziemlich bewusst zu sein, so agieren „zu dürfen“, wie Deborah Feldman empört berichtet hat. 

Nicht erst heutzutage suchten sowohl deutsche Konservative als auch Linke der zweiten und dritten Generation seit dem Holocaust die Nähe zum jüdischen Staat, so Marwecki weiter, und dies hätten auch bereits einige Täter der ersten Generation schon so gemacht. Demzufolge lautet die These des Buches im Kern: Die Identifikation mit dem jüdischen Staat erlöst von den eigenen Schuldgefühlen, dafür müssten die jüdischen Staatsgründer aber auch makellos reine Opfer sein. Im weiteren Sinne bedeute dies, dass Israel dafür dann auch die Nakba weitgehend leugnen müsse, was wiederum eine Schnittmenge mit dem deutschen Erlösungsbedürfnis aufzeige. Die Palästinenserinnen und Palästinenser störten somit laut Marwecki aufgrund ihrer bloßen Gegenwart nicht nur den israelischen Staat, sondern eben auch „das deutsche Versöhnungsnarrativ, weshalb sie am besten gar nicht erst erwähnt werden.“

In dieser Lesart werden die Palästinenser*innen und ihre arabischen Verbündeten, weitgehend von der Verantwortung für den andauernden Konflikt enthoben, während sich zum Teil höchst fragwürdige „Schnittmengen“ zwischen Israel und dem postnazistischen (West-)Deutschland ergeben.

Was Marwecki gelingt ist, aufzuzeigen, wie es von Adenauer bis Merz dazu kam, dass es nun bereits über 75 Jahre immer andere waren, „die den Preis für die deutsche Absolution“ nach dem Zivilisationsbruch der Shoa zu zahlen hatten und haben. Die Anderen – das waren sowohl die Millionen Jüdinnen und Juden, die für ihr Leid und die Sklavenarbeit im deutschen Nationalsozialismus nie entschädigt wurden, als eben auch Generationen von Palästinenserinnen und Palästinensern.

Titelbild

Daniel Marwecki: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson.
Wallstein Verlag, Göttingen 2024.
211 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783835355910

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