Nach 30 Jahren neu entflammt
Michael Kleinherne hinterleuchtet in seinem Roman „Lea“ eine deutsch-israelische Liebe von 1992
Von Renate Schauer
Unverkennbar Lea! Als sie durchs Bild läuft, ist Martin wie elektrisiert. Seine Jugendliebe ist mit einer politischen Delegation in seiner Heimatstadt München! Zwar hat er sich in den letzten 30 Jahren ein anderes Leben aufgebaut, aber vergessen konnte er sie nie. Zu eindrücklich waren seine Begegnungen damals – im Frühjahr 1992 – in Israel, verwoben mit den politischen Verhältnissen dort sowie der deutsch-jüdischen Geschichte als „Ballast“ im mentalen Rucksack. Der Roman Lea bewegt sich zwischen Gesellschafts- und Generationenroman, berücksichtigt Perspektiven mehrerer Generationen und Konfliktfelder.
Der Autor Michael Kleinherne – Lehrbeauftragter an der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Eichstätt-Ingolstadt – hat den Ich-Erzähler Martin als Zeitungsredakteur angelegt, so dass die Sozialisation im Journalismus immer wieder sprachlich durchscheint. Der sachliche Ton trägt zur Glaubwürdigkeit des Protagonisten bei, der sich gleichwohl als Träumer immer wieder herausnimmt, einiges nicht zu Ende denken zu wollen. So hat er beispielsweise nie Anstalten gemacht, nach seinem Israel-Urlaub wieder Kontakt zu Lea aufzunehmen, noch seine später geschlossene und inzwischen ermattete Ehe mit Anne („Desinteresse auf beiden Seiten“) zu klären. Einzig die Liebe zur gemeinsamen Tochter Lara ist klar und unumstößlich.
Das ist der Ausgangspunkt für eine Erzählung, die Rückblenden mit der Begegnung in der Gegenwart verschränkt. Die Gegenwart spielt 2022; der Roman wurde vor dem aktuellen Gaza-Konflikt und vor dem Massaker der Hamas im Oktober 2023 geschrieben, wie der Autor in mehreren Interviews immer wieder erklärte (unter anderem auxlitera.de, Kulturkanal Ingoldstadt.de).
Jedenfalls freut sich Lea, als Martin sie vor ihrem Hotel überrascht. Vorsichtig tauschen sie sich über die aktuellen Lebensumstände aus. Die gegenseitige Anziehungskraft blüht wieder auf. Unerheblich bleibt, ob es ein „Zurück“ geben wird, wichtig ist die Bereicherung im Hier und Jetzt. Zu dieser trägt auch ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau bei. Nicht zuletzt geschieht das vor dem Hintergrund, dass Leas Opa David Spiegel Ausschwitz überlebt hat. Martin lernte ihn 1992 kennen. Ihm erzählte der alte Mann Details, die er seiner Familie nie zumuten wollte. Martin erkannte Parallelen: Auch in seiner Familie sprach man nur über die Vertreibung aus Schlesien 1945, über Anderes schwieg man.
Martin war auf Komplikationen gefasst gewesen; als er damals in Tel Aviv landete, steckte er aus Verlegenheit nach der Fahrt zum Hotel dem Taxifahrer ein viel zu hohes Trinkgeld zu. Es kristallisiert sich jedoch heraus, dass er als Deutscher vornehmlich zu seiner Meinung über Gewalt und den Konflikt mit den Arabern und nicht auf den Holocaust angesprochen wird.
Mein Blick auf dieses Land hatte sich gewandelt, in nur zwei Wochen hatten Lea und ihre Freunde, aber auch ihr Großvater, meine Vorstellung von Israel verändert. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Land vor allem in der Gegenwart lebte und die Vergangenheit nur noch für wenige eine Rolle spielte, die darüber aber auch nicht gerne reden wollten.
Lea und er begreifen sich als „Enkel-Generation“. Sie studiert Politik und Philosophie und nimmt ihn mit zu einer Demo gegen die Siedlungspolitik und später auf einen Ausflug nach Ramallah. Heute hat sie ihre einstigen Ansichten längst hinter sich gelassen und arbeitet inzwischen als Referentin im Wirtschaftsministerium, was zu dem Aufenthalt in München führte. Martins Träumen mag sie, zieht aber für sich das Fazit: „… in Israel kannst du nicht überleben, wenn du träumst.“
Obwohl Politik und Geschichte in die Beziehung verwoben bleiben, kann man nicht von einem politischen Roman sprechen. Wir erleben Martin in seinem Alltag, der sich mit seinen Erinnerungen auseinandersetzt, seine Gegenwart reflektiert und behutsam die eigene Entwicklung auslotet. Das Buch bietet den Leserinnen und Lesern sehr gute Leitplanken, um mit den einzelnen Szenarien zurecht zu kommen. Es vermittelt Respekt und Nachdenklichkeit jenseits von Ideologien oder irgendwelchen Lösungsansätzen. Die klare Sprache ermöglicht ein gefälliges Lesevergnügen.
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