Nicht dazu geeignet, eine Ehe zu führen

Bärbel Reetz schreibt über „Hesses Frauen“, der verehrte Dichter kommt dabei nicht gut weg

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigensinn, so wird oft behauptet, war das Wichtigste für den Schriftsteller und Mensch Hermann Hesse. Deswegen ist er immer wieder ausgebrochen, aus der Schule geflohen, hat eine Lehre abgebrochen und ist aufs Land gezogen, um von da in die Schweiz zu fliehen. Eigensinn, das war so etwas wie seine Lebensmaxime: herauszufinden, was die eigene Bestimmung ist und danach zu handeln – ohne zu schauen, was „die Gesellschaft“ dazu sagt. Damit ist er  zum einen immer wieder bei politisch rechten Kräften angeeckt, die ihn nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund seines Pazifismus als Vaterlandsverräter beschimpften. Zum anderen hat er seit den 60er-Jahren immer wieder Jugendliche dazu bewegt, sich auf die Suche nach dem eigenen Weg zu machen.

Dass Hesses Eigensinn auch andere, weniger schöne Seiten hat, ist in einem Buch nachzulesen, dass 2012 zum ersten Mal erschien und jetzt als Taschenbuch eine Neuauflage erfuhr. In dem Buch geht es nämlich um Hesses Frauen. Auch manche heimlich Angebetete, die er als Jugendlicher oder auch als Erwachsener vergötterte kommen vor, doch im Fokus stehen seine drei Ehefrauen: Maria Bernoulli, Ruth Wenger und Ninon Dolbin. Denn sie hatten immer wieder unter seinem Eigensinn zu leiden. Wohl auch unter seinem Frauenbild, in dem eine (Ehe)Frau, wenn überhaupt, vor allem als Dienerin vorkommt – oder wie Arno Schmidt einmal schrieb: „stumme Anbetung, die auch Maschine schreiben kann.“ Sie alle litten unter seinen persönlichen Defekten, seinen kindischen Launen, seinen aggressiven Ausbrüchen, seiner Angst vor Nähe: Denn immer wieder scheint ihm bei ernsthaften Konflikten nichts anderes übrigzubleiben als zu fliehen. Wenn eine Frau ihm emotional nahekam, musste er schroff und abweisend zu ihr sein, war sie fern, konnte er hingebungsvolle, sehnsüchtige Briefe schreiben. Manche Frau, die sich in ihn verliebte, hielt er hin, machte Versprechungen, die er nicht hielt, verlebte zwei schöne Tage mit ihr, um sich dann wieder abzuwenden und sie sogar manchmal bösartig runterzumachen. Seine Verlobungszeit mit Ruth Wenger etwa ist geprägt von liebevollen, meist brieflichen Annäherungen und schroffen Ablehnungen und Beleidigungen. Sie schreibt:

Es ist mir ein Tag in Erinnerung, wo ich zu ihm den weiten Weg nach Montagnola gegangen war. Er lag im Bett und ich fragte ihn, was ihm fehle. Er begrüsste mich nicht, sondern sagte recht kalt: ‚Es ist alles zum Kotzen.‘ Ich war erschüttert.

Es ist ihm nichts recht zu machen, er mäkelt an ihren Geschenken herum, und sie macht sich Vorwürfe, weil er schlecht gelaunt die ganze Stimmung vermiest hat:

O liebes Herz, wie muss ich dich gequält haben! Ist es nicht zu spät, wenn ich e jetzt einsehe? (…) Es tut alles noch sehr weh, aber ich kenne nun die Aufgabe. Ich verlange von dir, was ich selber leisten sollte.

 Das heißt, alle seine Launen ertragen, ihn allein lassen, wenn er das will (und das sind oft lange Perioden), ihn umsorgen und alles nach seinen Wünschen einrichten.

Ein anderes Mal schickt er ihr ein sehnsüchtiges Gedicht, Reetz schreibt:

Ruth liest nicht die Worte eines Dichters, sondern hört den Ruf eines Sehnsüchtigen, eilt nach Montagnola. Ein Missverständnis. Der Geliebte zeigt sich wenig erfreut über ihr Kommen, fühlt sich in seiner Arbeit gestört und lässt es Ruth mit harschen Worten wissen. Seine Furcht vor neuer Bindung, neuen Ansprüchen einer Frau lässt ihn grob werden.

Als Ninon, seine letzte Frau, einmal sagte, sie könne sich Kinder mit ihm vorstellen, fährt er nach Berlin und lässt sich sterilisieren, ohne ihr etwas davon zu sagen – damals eine nicht ungefährliche Operation. Von ihr wie auch von Maria Bernoulli ließ er sich das gemeinsame Haus einrichten, Maria schuftete außerdem im Garten, säte, jätete, erntete, machte ein und kümmerte sich allein um den Haushalt und die drei gemeinsamen Söhne, während Hesse auf Reisen ging.

Diese Geringschätzung entschuldigte Hesse oft mit seinem Eigensinn und dass er eben nicht dazu geeignet ist, eine Ehe zu führen. Dennoch heiratet er dreimal, 1904 Maria Bernoulli, 1924 Ruth Wenger und 1931 Ninon Dolbin. In seiner Erzählung Klein und Wagner sagt sein Alter Ego einmal, „daß er selbst in der Liebe ein Knabe und Anfänger geblieben war, in langer, lauer Ehe resigniert, schüchtern und doch ohne Unschuld, begehrlich und doch voll von schlechtem Gewissen“. Klein bringt sich schließlich um, was auch Hesse zweimal versucht, und weder Klein noch Hesse schaffen es, sich vom schlechten Gewissen verleiten zu lassen, eine aufrichtige Kommunikation mit der Ehefrau zu beginnen. Klein flieht in den Tod, Hesse aus dem von Maria Bernoulli eingerichteten und gepflegten Haus in Gaienhofen.

Auf Grundlage vieler bisher unbekannter Dokumente erzählt die Autorin und Journalistin Bärbel Reetz, die 2012 den Preis der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft bekam, detailliert die Liebes- und Ehegeschichten des berühmten Autors. Es ist erschütternd, wie Hesse seinen Egoismus auslebt und immer wieder Frauen findet, die sein Verhalten billigen, die Schuld bei sich suchen und nicht ein eigenes Leben anstreben. Die sich erst dann wohl fühlen, wenn sie sich „Frau Hermann Hesse“ nennen können wie Ninon oder den Namen Hesse nach der Scheidung trotz seiner Bitten nicht ablegen wie Ruth, die als Sängerin „Ruth Hesse“ auftritt.

Reetz deckt auch einige Merkwürdigkeiten auf, wie, dass Hesse seinem ersten Biografen und engen Freund Hugo Ball folgendes quasi diktierte: Er habe zu schreiben dass seine erste Frau geisteskrank gewesen sei. Seine zweite Frau durfte überhaupt nicht erst erwähnt werden. Und Ball fügte sich diesen Wünschen. Dabei war Maria Bernoulli, die sich mehrfach hat behandeln lassen, vor allem erschöpft von der vielen Arbeit mit Umzügen, Haus, Garten und Kindern und wurde deswegen depressiv. Die behandelnden Ärzte bescheinigten stets, bei mehr Schonung wäre ein Klinikaufenthalt unnötig gewesen. Aber Hesses Diktum, dass seine geisteskranke Frau ihn aus dem Haus getrieben habe, blieb in der Hesse-Forschung lange und unhinterfragt so stehen. Dabei hat sie sich für ihn aufgerieben und lebte erst auf, als die Scheidung dann vollzogen war. Er dagegen lässt sein Alter Ego Harry Haller noch im „Steppenwolf“ sagen:

Das andere Mal war über Nacht mein Familienleben zusammengebrochen: meine geisteskrank gewordene Frau hatte mich aus Haus und Behagen vertrieben. (…) Damals hatte meine Vereinsamung ihren Anfang genommen.

 Und er spricht von dem Tag, „als sie mich, irr und krank geworden, in plötzlicher Flucht und wilder Auflösung verließ.“ Was nun den Fakten auch widerspricht, denn er ist gegangen, während sie das Haus ganz allein auflösen musste. Und selbst wenn man Hesse zugutehält, dass der „Steppenwolf“ eine literarische Fiktion war: Alle wussten damals, wie autobiografisch seine Werke waren. Und man mag schon fast von Rufmord sprechen, den er da an seiner Frau begeht.

Seine letzte Frau Ninon behandelt er auch eher wie einen Dienstbotin, nachdem sie in die Casa Camuzzi mit eingezog. Allerdings wohnte sie in einem andereen Stockwerk:

Wenn sie gehofft hatte, Hesse hier näher sein zu dürfen als in Baden oder Zürich, dann muss sie das als Täuschung erkennen. Hesse legt den Tagesablauf für sie beide fest: keine Störung am Morgen. Das ist die Tageszeit, zu der er niemanden erträgt. Will er sie im Verlauf des Tages sehen, findet sie eine kurze Nachricht, die er ‚Hausbrief‘ nennt. Ein Verfahren, (…) gegen das seine junge Ehefrau [Ruth Wenger, GP] damals aufbegehrte. Ninon hingegen fügt sich klaglos, hält sich daran, nicht dazusein, wenn Hesse sie nicht braucht.

Als sie einmal moniert, dass sein Zimmer voller Fotos von „Dichtern, Fremden, Frauen“ ist, aber keines von ihr, etwa „das Foto, das schöne Porträt, das sie ihm zum Geburtstag schickte, nachdem sie seine Geliebte geworden war“, wird er wütend, wie sie ihm vorhält: „Woher du wissen solltest, wo die seien, bei der Unmasse von Papieren, irgendwo zuunterst würden sie wohl liegen!“ Ein Freund berichtet von einem Erlebnis mit Hesse:

Kaum war die Begrüßung vorüber, entdeckte Hesse, daß eine Blumenvase in seinem Arbeitszimmer nicht dort stand, wo sie hätte stehen sollen. Ob dieser Bagatelle geriet er in Wut und wies die Freundin [Ninon, GP] mit so schneidend scharfen Worten zurecht, daß es mir durch Mark und Bein ging.

Das Buch endet mit einem im Alter milder gewordenen Hesse und einer Ninon, die ihn schließlich unter Kontrolle gebracht hat. Die bestimmt, mit wem er umzugehen hat und wer ihn besuchen darf und die bei Besuchen stets wachend anwesend ist. Etwa als der inzwischen bekannte Autor Peter Weiss, der Hesse seit Jahrzehnten kennt und verehrt und ihm als Schriftsteller und Maler viel verdankt, ihn 1962 noch einmal besucht. Sie bestimmt stets die Atmosphäre durch Zuwendung oder Eisigkeit:

Auf unerwünschte Begegnungen und Gäste reagiert sie schroff, abweisend gegen Hesses alte Freunde, eifersüchtig auf Kinder und Enkelkinder, klagt Emmy Ball, dass Hesse mit seinen Söhne am Tag Boccia spielt und zum Malen geht, dass er darauf besteht, die Abend im Familienkreis zu verbringen.

Nach seinem Tod 1962 nimmt sie ihre Studien der Antike wieder stärker auf, reist nach Griechenland und kümmert sich um den Nachlass, der nach Marbach kommt. Zwei Jahre nach ihm stirbt sie.

Reetz‘ Buch ist eine unerschöpfliche Quelle für die Biografie von Hermann Hesse und auch für eine Neubestimmung seiner Werke, da sie manches festgefügte Urteil, manche biografische Deutung mit neuen Fakten erschüttert. Manchmal ein wenig zu gefühlig und einfühlend geschrieben (etwa, wenn sie manchmal die Gefühle ihrer Figuren zu kennen glaubt), ist die Lektüre spannender als die meisten Romane Hesses. Schön ist auch, dass sie zwischen den Kapiteln Auszüge von Briefen wiedergibt (von Hesse, seinen Frauen, Angestellten, Freunden oder Psychiatern), die ihren Ausführungen noch ein bisschen mehr hinzufügen.

Titelbild

Bärbel Reetz: Hesses Frauen. Drei Ehen, zwei Scheidungen, drei Schicksale.
Insel Verlag, Berlin 2024.
424 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783458683797

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