War Hitlers Visite in Paris 1940 eine Heimkehr?

Andreas Steffens versammelt in „Heimkehr in die Fremde“ lauter Ankünfte in Paris und lässt das Ankommen eine offene Frage der Selbstfindung sein

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Philosoph Ernst Bloch besaß eine Begabung für die epigrammatische Verdichtung von Erkenntnissen und Botschaften. Eine lautet: „Man nimmt sich mit, wohin man geht.“ Das könnte auch als Fazit von Andreas Steffensʼ Recherchen zum Thema Pariser Ankünfte genommen werden. Denn wer immer sich in die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts auf den Weg machte, mit welchen Absichten und Erwartungen auch immer, fand in der längst zum Mythos gewordenen Stadt am zuverlässigsten sich selbst. Gleichwohl blieb das Ankommen eine offene Frage, unabhängig von den Sehnsüchten, die sich daran knüpften. Denn, wie Steffens zutreffend bemerkt, weder empfängt Paris einen, noch darf der Neuankömmling eine Begrüßung erwarten. Aber wo wäre das überhaupt der Fall? Tut das etwa Rom, New York, Tokyo oder Berlin?

Festzuhalten bleibt, dass die Seine-Metropole schon immer und aus unterschiedlichsten Motiven heraus Menschen angezogen hat. Und was die damit zusammenhängenden Wahrnehmungen in diesem geschichtsträchtigen und kulturmächtigen Stadtraum betrifft, hatte Karlheinz Stierle schon vor dreißig Jahren mit Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewusstsein der Stadt ein maßstabsetzendes Standardwerk vorgelegt, an das sich jetzt Steffens‘ Versammlung von Paris-Ankömmlingen wie ein ergänzendes Kapitel hängt.

Aufgelistet sind darin, wenn ich richtig gezählt habe, 32 Personen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, darunter ein namenloser Landser aus Hitlers Armee, der sich als Besatzer über den schnellen Sieg freut und dass Paris „wie eine überreife Frucht in die Hand des Siegers“ fiel. Dass auch der Feldherr selber mit seiner irgendwie gespenstisch wirkenden Kurzvisite einen Auftritt im Buch hat wie auch ein anderer seiner Soldaten, nämlich Ernst Jünger (und der recht ausführlich und wiederholt), empfand ich eher befremdlich. Was hat das mit Heimkehr zu tun? Vermutlich liegt die simple Erklärung im Zufallsprinzip der Auswahl, vielleicht in den Präferenzen des Autors. Zumindest erschloss sich mir keine Struktur, kein Plan und auch keine erkenntnistragende Quintessenz. Außer vielleicht die, dass es keinen gemeinsamen Nenner für die Paris-Ankömmlinge gibt, weil deren Wahrnehmung stets individuell bleibt.

Dass Paris-Begegnungen vor allem eine Sache von und für Männer seien, könnte man aus Steffens Auswahl schließen, denn in das Buch haben es lediglich drei Frauen geschafft, nämlich Undine Gruenter, Paula Modersohn-Becker und Sabine Lepsius. Lassen wir das mal unkommentiert stehen. Ansonsten hat es an männlicher Prominenz keinen Mangel – von Heinrich von Kleist angefangen über Georg Forster, Franz Grillparzer, Franz Kafka bis zu Theodor W. Adorno, Witold Gombrowicz und Franz Hessel, um nur einige zu nennen. Herausgekommen ist eine durchaus lesenswerte Zitatensammlung der Paris-Erinnerungen.

Friedrich Sieburg verbindet Paris mit dem „Gefühl von etwas Festlichem“, Ernst Jünger probiert sich in Helden-Inszenierung, wo es um die Alltags-Verführungen der Stadt geht. Kleist hadert mit all dem Laster, das er wahrnimmt und deutet die Reise nach Paris „als ob ich meinem Abgrunde entgegenginge“. Kafka flüchtet aus dem Bordell und nimmt eine Stadt aus lauter Strichen wahr, beim Eiffelturm angefangen, bis hin zu den gerippten Glasdächern, Jalousien und Balkongittern.

Mögen andere enttäuscht sein, so erweist sich Wolfgang Koeppen als immun gegen Enttäuschungen, denn er komme als Fremdling, so Steffens, und wolle gar nichts anderes sein. Dem schließt sich Julien Green an: „Was ich auf Reisen suche, ist das Fremdsein ganz und kraß.“ Während der übellaunige Grantler Witold Gombrowicz Hässlichkeit sucht und findet und auch das: „Wenn etwas für mich […] unästhetisch ist bis aufs Mark, so ist es der Feinschmecker … so ist’s Paris!“ Adorno allerdings sieht in Paris die „Vollendung Europas, weil es einen gestattet, zu sein, wie man ist“. Und so geht es weiter hin und her bei den versammelten Paris-Ankömmlingen – jede/jeder sieht sein Paris. Angereichert ist der Band mit originellen Paris-Fotos. Die eigenwilligen Ein- und Durchblicke fand die Fotografin Claudia Scheer van Erp.

Titelbild

Andreas Steffens: Heimkehr in die Fremde. Pariser Ankünfte. Mit Fotografien von Claudia Scheer van Erp.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2024.
178 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783826085710

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