Alle Jahre wieder
Zu Götterts Weihnachtsbiographie
Von Lukas Pallitsch
Fraglos handelt es sich bei Weihnachten um das globale Fest par excellence. Doch worum geht es da eigentlich? Um Geschenke? Um Familie? Um Frieden – gar um Familiären? Das Fest wird gemeinhin mit Kerzen und Licht assoziiert. Nie ist die Angst vor Einsamkeit so groß wie im zeitlichen Umkreis der Weihnachtstage. Was aber ist der Inhalt dieses Festes? Warum wird das Fest am 24./25. Dezember gefeiert?
Karl-Heinz Göttert hat in Weihnachten. Biographie eines Festes einen Überblick über dieses Fest vorgelegt. In seinem Buch erzählt er, wie es zu dem wurde, was es heute ist. Dabei ist der Untertitel „Biographie eines Festes“ durchaus programmatisch: Das Kompositum Biographie setzt sich aus bíos („Leben“) und graphie („Schrift“) zusammen und meint eigentlich das Schreiben beziehungsweise die Beschreibung eines Lebens. Nachgezeichnet wird eigentlich die Lebensgeschichte eines Menschen. Das erste Kapitel legitimiert den von Göttert gewählten Untertitel, ist doch die Lebensgeschichte von Jesus von Nazaret in enger Weise mit dem Weihnachtsfest verknüpft. Mehr noch, das Leben von Jesus ist Grund und Anlass für dieses Fest. Nochmals etwas präziser geht es um die Geburt jenes Jesus von Nazaret in Betlehem, wie sie in den Evangelien geschildert wird.
Die Geschichte seiner Geburt trägt sich in Betlehem zu. Nazareth und Betlehem: In dieser topographischen Spannung wird das Problem einer jeglichen Genealogie manifest. Bei Ursprungserzählungen gilt es Vorsicht walten zu lassen. Denn auch bei der Geschichte von Christi Geburt, so vertraut sie aus diversen Kontexten auch sein mag, handelt es sich keineswegs um eine Entwicklungsgeschichte, in welcher Ursprung und Anfang zusammenfallen. Insbesondere Lukas erzählt in seinem Evangelium mehr von einem Auftauchen im Sinne des Aufblitzens jenes Moments, in dem etwas zugleich sichtbar wird und Geltung beansprucht: Die Geburt des Messias.
Bereits nach der Lektüre des ersten Kapitels „Christi Geburt in den Evangelien“ lässt sich viel über die Anlage und Schreibweise dieser Biographie sagen: Karl-Heinz Göttert versucht mit seinem Buch die Genealogie des Festes zu sezieren und nachzuzeichnen. Dieser Anfang hat wenig von jenem „Heiligen Abend“, wie er heute meist üppig gefeiert wird. Der Grund, den Göttert über weite Strecken behutsam freilegt, besteht nicht zuletzt in der Loslösung religiöser Bezüge, insbesondere aber der theologischen Grundierung. Wer dieses Fest in seiner inneren Dynamik verstehen will, kann theologische Topoi, mythologische Konstruktionen, biblische Bezüge und antikes Weltverständnis deshalb unmöglich ignorieren. Darin liegen zugleich Stärke und Schwäche dieses Buches: Göttert widmet sich sowohl den biblischen Grundlagen als auch der Theologie- und damit Kirchen- wie Dogmengeschichte, von der ausgehend sich erst Gehalt und Bedeutung plausibilisieren lassen. Manchmal geht es freilich auch bei theologischen Entscheidungen um politisches Kalkül. Götterts umfängliche Analyse der theologischen Grundierung des Festes geht auf Kosten dessen späterer Global- und Kulturgeschichte. Sein vorrangiges Interesse gilt den Anfängen. Daher müsste Göttert seine Programmatik im Prolog, wonach es ihm nicht um Glaubensfragen, sondern um die Geschichte von Weihnachten im Sinne der europäischen Kultur gehe, durchaus etwas revidieren. Denn diese Glaubensfragen werden nicht nur en passant verhandelt. Beispielhaft ist hier etwa das Ringen um die Frage der Trinität. Wurde Jesus von Gott „erschaffen“? In diesem Verb entzündet sich der wohl wirkmächtigste Streit in der Dogmengeschichte der frühen Kirche. War Jesus Gott also nur wesensähnlich oder doch wesensgleich? Diese Streitfrage, an der nicht zuletzt die Frage des reinen Monotheismus haftet, spaltete die Lager und wurde in der Folge blutig ausagiert. Schließlich sorgte das erste ökumenische Konzil von Nicäa im Jahr 325 n. Chr. für Klarheit: „eines Wesens mit dem Vater“. Dieser Disput um das Glaubensbekenntnis der Christenheit ist symptomatisch für dieses Buch: Göttert zeigt vielschichtige Zusammenhänge auf, ohne jedoch theologischem Jargon aufzusitzen. Dabei folgt er keineswegs einem Selbstzweck, sondern leuchtet die bedeutsamen Rückbindungen dieses Festes auf theologische und in der Folge dogmatische Motive aus. Scheinbar unwichtige Nebenmotive erhalten wenige Absätze später entscheidendes Gewicht. Vor allem aber benennt Göttert bei aller Sympathie zu manchen Kirchenvätern deren abstoßende Antijudaismen.
Bei genauer Lektüre zeigt sich eine weitere Spannung: Einerseits werden bereits in den Evangelien immer wieder Textbezüge zur Hebräischen Bibel, insbesondere zu den Prophetenschriften, gesucht. Andererseits werden in späteren Etappen dieser Festbiographie nicht nur Abgrenzungen (Stichwort lunarer und solarer Kalender), sondern auch Verwerfungen kenntlich. Dabei weist Göttert die Literarizität des lukanischen Weihnachtsevangeliums stringent aus, er hätte aber für nicht-theologische Leser:innen die Herleitung gängiger Topoi aus der Geschichte des jüdischen Volkes – und folglich die Verwurzelung des Christentums im Judentum – ebenso explizit ausweisen können wie den späteren Festcharakter in römischen und heidnischen Kulten.
Um das, was sich dem Evangelisten Lukas zufolge in Betlehem ereignete, hat sich im Laufe der Zeit zuerst ein Fest gebildet, später ein ganzer Festkreis. Die Weihnachtsgeschichte darf deshalb, hier ist Göttert mit einigem Recht zuzustimmen, als eine „Großerzählung“ bezeichnet werden, die ganz unterschiedliche Motive bündelt: Stall und Krippe ebenso wie Friede und Licht oder Geburt, Familie und Geschenke. All das lässt einen gewissen Spielraum, zu dem später die Säkularisierung des Weihnachtsfestes einen erheblichen Beitrag geleistet hat. An dieser Stelle mag schließlich ein Seitenblick auf Martin Luther erhellend sein: Noch bevor Weihnachten zum Schenkfest mutierte, übte Luther harsche Kritik an dessen zunehmender Verweltlichung. Dabei war ihm der heilige Nikolaus ein Dorn im Auge. Luthers Botschaft: Natürlich greife christlicher Glaube auf Brauchtum zurück, doch auch Brauchtum müsse klare Grenzen haben. Es dürfe nicht zu kindisch werden, keineswegs zu erfinderisch. Einen Höhepunkt in den Abgrenzungsgründen zwischen evangelischer und katholischer Stoßrichtung markiert Bachs Weihnachtsoratorium. Heute werden die Töne dieser musikalischen Ausgestaltung lutherischer Ausprägung weit über konfessionelle Grenzen hinweg gehört.
1546 starb Martin Luther, der sich noch über abergläubisches Brauchtum belustigte. Was hätte er zu Santa Claus gesagt? Was dazu, dass zu Weihnachten kaum mehr die Geburt von Jesus im Zentrum steht, sondern klassische Schenkfiguren in den Vordergrund getreten sind? Was schließlich dazu, wenn Kritiker eine zu christliche Festauslegung Götterts monieren? Antworten auf diese Frage überlässt der Autor seinen Leser:innen. Darin ist letztlich die Stärke dieser theologisch gut ausgeleuchteten Biographie zu sehen, bei der am Ende klar geworden ist: Trubel und skurrile Bräuche haben eine Schicht über den biblischen Ursprung gelegt.
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