Schreibende Frau auf Reisen
Zeitungsreportagen aus aller Welt von Alice Schalek
Von Walter Delabar
Das Interesse für Reiseautorinnen ist in den letzten Jahren anhaltend groß geblieben, wofür nicht zuletzt die bei ProMedia in Wien erscheinende Reihe „Frauenfahrten“ zeugt. In dieser Reihe sind nun Zeitungstexte der österreichischen Autorin Alice Schalek (1874–1956) erschienen, in denen sie aus Süd- und Nordamerika, Indien und Afrika berichtet. Anders als bei anderen Bänden auch dieser Reihe gehen Schaleks Reportagen von den Rändern der Moderne nicht auf eine historische Sammlung zurück. Es werden stattdessen Texte aufgenommen, die bislang nur in den Zeitungsausgaben vorlagen, in denen sie zuerst erschienen. Herausgegeben werden Schaleks Reportagen von der Anthropologin Gabriele Habinger, die sich intensiv mit den Reisen von Frauen beschäftigt hat, die Texte ausgegraben und nunmehr bei ProMedia vorgelegt hat.
Dass Schalek keine Unbekannte in österreichischen Literaturszene ist, wird schnell aus der Einleitung, die Habinger dem Band voranstellt, erkennbar. Seit Beginn des Jahrhunderts war Schalek als Reiseautorin aktiv. Besonderen, wenngleich zweifelhaften Ruhm erhielt sie mit ihren Kriegsreportagen, die 1915 und 1916 erschienen und in denen sie ihre Arbeit als eine Art „embedded journalist“ der kuk Monarchie verwertete. In den 1920er Jahren konnte, soweit Habinger, Schalek ihre Reisen wieder aufnehmen, woraus die nun hier abgedruckten Reportagen entstanden sind, bei denen Schalek auch als Fotografin aktiv war.
Habinger attestiert Schalek zudem, sich mit den 1920er Jahren von ihrer engeren nationalistischen Perspektive gelöst zu haben, freilich bleibt ihr Blick auf die fremden Länder und Kulturen auffallend von ihrer europäischen Position bestimmt.
Das fällt bei den Südamerika-Reportagen, mit denen der Band beginnt und die zu den stärksten Texten Schaleks, die hier vorgestellt werden, gehören, am wenigsten auf. Schalek nimmt hier die deutschen Auswanderer in den Blick, die auf wenig verlässliche Zeugen hin all ihr Hab und Gut versetzen und sich auf die waghalsige Reise ins ferne Südamerika machen. Dort erwartet sie allerdings keine glorreiche Zukunft, sondern in der Regel kaum weniger als der Ruin. Denn in Brasilien werden die Neuankömmlinge in die entferntesten Provinzen transportiert, wo sie den Urwald kultivieren sollen, ohne ausreichende Ausbildung, ohne Ausrüstung, ohne Sprach- oder Landeskenntnisse, ohne finanzielle Ressourcen, ohne Infrastruktur oder irgendeine staatliche Unterstützung und unter mörderischen klimatischen Bedingungen. Dass es unter solchen Umständen nur die wenigstens der Neu-Kolonisten schaffen, sich einigermaßen zu etablieren – von einer besseren Existenz als im heimischen Europa kann keine Rede sein –, kann nicht wundern. Zwar porträtiert Schalek eine der wenigen Erfolgsgeschichten, einen Auswanderer, der allerdings erst nach Jahrzehnten erfolgreich werden konnte. Aber aus den Porträts wird deutlich, dass der Zufall hierbei wohl die größte Rolle gespielt hat. Gegen solche Erfolgsgeschichten stehen die der Ausgewanderten, die auf der Straße leben und für jeden Hungerlohn zu arbeiten bereit sind, um über die nächsten Tage zu kommen. Das Geld für die Rückreise anzusparen, die für viele schnell zum Hauptziel wird, scheint unter diesen Bedingungen nichts weniger als utopisch.
Auffallenderweise hat sich Schalek in den hier abgedruckten USA-Reportagen mit solchen Auswandererschicksalen nicht beschäftigt. Die Vortragsreise, die sie 1931 auf Einladung einer Organisation der berufstätigen Frauen der USA unternommen hat, folgt den Stationen Schaleks. Aufschlussreich sind ihre Texte insofern, als sie einen tieferen Einblick in die US-amerikanischen Verhältnisse in den 1930er Jahren geben, hier vor allem aus der Sicht der berufstätigen Frauen. Die ideologische Orientierung auf die Mutterrolle, die Anfang der 1930 Jahre noch eine große Rolle in Deutschland spielte, fehlt hier. Die Professionalisierung von Frauen erscheint im Blick Schaleks auch offensichtlich als Emanzipationsschub. Allerdings ist die große Selbständigkeit von Frauen in den USA, die bei zahlreichen Reiseberichten Thema war, nicht billig: Die beruflichen Positionen der Frauen bleiben vielfach von Entscheidungen von männlichen Vorgesetzten abhängig, die – soweit der Tenor in den Berichten – jüngere Angestellte älteren vorziehen. Die Fokussierung der berufstätigen Frauen auf den Eindruck, den sie hinterlassen, geht auf die permanente Konkurrenz der Frauen zurück, aus der es kaum einen Ausweg gibt. Es sei denn die erfolgreiche Selbständigkeit, für die Schalek immerhin Beispiele bringen kann.
Im Vergleich zu diesen Texten haben die Reportagen von der Indienreise 1929 und der Afrikareise 1932 einen anderen Charakter. Zwar bleibt die koloniale Situation in beiden Reportagereisen präsent, die Reportagen haben aber einen merkwürdigen thematischen Schwerpunkt. Die Indien-Berichte konterkarieren die Emanzipationsbemühungen des kolonialen Indiens mit der irrsinnigen Verschwendungssucht der indischen Eliten, durch die die durchgängige Armut der breiten Bevölkerung kaum erkennbar wird. Die Gandhi- und Tagore-Interviews, die Schalek geführt hat, machen in diesem Zusammenhang einen merkwürdig ironisch gebrochenen Eindruck.
Das Hauptaugenmerk der Afrikareportagen, in denen Schalek die Sauberkeit und den Komfort der Städte hervorhebt, liegt ausdrücklich darin, das Afrika-Bild, das in Europa präsent sei, zu brechen. Wobei sie vor allem kritisiert, dass dieses Bild ein künstlich archaisiertes Afrika zeige, während der Kontinent mittlerweile ein hohes zivilisatorisches Niveau erreicht habe. Was einige Nebenbemerkungen über die geckenhafte Adaption der europäischen Kultur durch Afrikaner selbst eben nicht ausschließt.
Die Texte sind, so die Herausgeberin, bearbeitet. Zwar sei die Orthografie grundsätzlich beibehalten worden, was wohl heißt, dass es doch einige Eingriffe gab. Die Zeichensetzung wurde aktualisiert, „veraltete oder unverständlich Begriffe“ wurden geändert oder im Glossar erläutert, falsch geschriebene Orts- und Eigennamen wurden korrigiert. Da zumindest in wenigen Fällen heute nicht mehr legitime Begriffe verwendet werden, wird man davon ausgehen können, dass die Änderungen sich auf unbedenkliche Fälle beschränken. Aber auch wenn die Fehlerquote von Zeitungstexten Eingriffe nötig macht, eine kleine Unsicherheit, was die Belastbarkeit der Texte angeht, bleibt dennoch.
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