Aus der Zeit gefallen

Der einstige Erfolgsautor Emil Ludwig macht sich 1940 Gedanken „Über das Glück und die Liebe“ und gibt mehr Fragen auf als Antworten

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Entstanden ist der Text im Frühjahr 1940, wie Armin Fuhrer, ein Kenner des hier zu würdigenden Autors Emil Ludwig, im Nachwort vermerkt. Zu erwähnen ist Fuhrers umfangreiche Biografie, erschienen im Lau Verlag unter dem Titel Verehrt, Verfemt, Verbannt. Wir haben es mit zwei Essays zu tun, dem Glück und der Liebe gewidmet, die als Teile aus dem „Weltbild eines Individualisten“ zu verstehen seien. „Sie könnten zusammen als Umrisse einer antitragischen Philosophie gelten […].“ Gut, das mit der Philosophie mag ein wenig zu hoch gegriffen sein, und der Hinweis auf den Individualisten ist wohl besser als Lust auf eigenwillige Theorien zu verstehen oder als Trieb zur Originalität. Denn dafür war Emil Ludwig bekannt und populär geworden. Er vertrat gerne, was wir eine pointierte Meinung nennen. Das Auffallen gehörte mit dazu und war Teil von Ludwigs literarischem Erfolgsrezept.

Vor hundert Jahren hätte man in Deutschland und weit darüber hinaus dem Lesepublikum kaum erklären müssen, wer Emil Ludwig ist. Er war in den 1920er Jahren neben Thomas Mann und Stefan Zweig einer der erfolgreichsten Schriftsteller, der mit Biografien über Goethe, Napoleon, Bismarck und Wilhelm II., mit politischen Essays (Juli 1914 über die Ursachen des Ersten Weltkriegs) und mit Reisereportagen gut ankam. Er wurde zu einem Meister der historischen Belletristik, in der die gut erzählten Geschichten gelegentlich höher gehandelt wurden als die historischen Fakten. Doch bei allem Glanz und publizistischem Glück verlor sich allmählich das Interesse an dem Vielschreiber. Hinzu kam die politische Entwicklung, die den Juden Ludwig von seinem Publikum gewaltsam und abrupt trennte.

So entschieden er politisch gegen das NS-Regime durch vielbeachtete Reden agierte, so anfällig war er zuvor für den Faschismus, wie ihn Benito Mussolini in Italien praktizierte. Mit solchen Widersprüchlichkeiten blieb er allerdings keineswegs allein. Zu erinnern wäre hier an Lion Feuchtwangers Bewunderung für die stalinistische Sowjetunion. Und auch der Fall Gottfried Benn lieferte ein Beispiel für eine kaum zu begreifende politische Blindheit, die dieser jedoch schon bald bitter bereuen sollte. Ließe sich hier Ludwigs Bemerkung erklärend zitieren, wonach das Risiko „das Glück des passionierten Menschen“ ausmache? Aber ist solcherart Risikobereitschaft im Politischen nicht eher Ausdruck von Fatalismus – und Leidenschaftlichkeit vor allem kein Selbstzweck?

Womit wir auch schon mitten in der Ambivalenz von Ludwigs Essay über das Glück gelandet sind. Wie fragwürdig klingt eine Aussage wie die folgende mit Blick auf Ludwigs Faschismus-Begeisterung: „Denn Glück ist weder Genuss noch Verzicht, sondern die Freiheit des Einzelnen, das zu wählen, was seiner Natur gemäß ist.“ Sicherlich ließe sich das unter dem Begriff der Selbstbestimmung fassen. Trotzdem enthebt uns das wohl kaum bei der Frage nach unserer Natur ebenso die Frage nach dem Verstand zu stellen – und von der Moral ganz zu schweigen. Man versteht Klaus Manns Empörung in „Der Wendepunkt“ nur zu gut, wenn er Autoren wie Ludwig kritisiert, die „dem ‚Duce‘ publizistisch Weihrauch streuten“. Politischen Weitblick besaß Ludwig dennoch, zumindest mit Blick auf das eigene Leben, als er bereits 1932 die deutsche Staatsbürgerschaft mit der schweizerischen tauschte und diesen Schritt gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung mit der drohenden Machtübernahme Hitlers begründete.

Als 1940 die beiden Essays entstanden, herrschte in Europa Krieg. Nazi-Deutschland hatte 1939 Polen überfallen und besetzt und zuvor schon Tschechien vereinnahmt, hatte nun angefangen, England zu bombardieren und startete zugleich seinen Westfeldzug Richtung Paris, während die Sowjetunion Finnland angriff und das faschistische Italien den Krieg nach Nordafrika brachte. Eine bizarre Kulisse, um sich Gedanken über das Glück und die Liebe zu machen. Letztere nimmt den größeren Raum ein und besitzt am wenigsten Anschlussfähigkeit in unsere Gegenwart. Armin Fuhrer verweist auf den biografischen Zusammenhang, denn was Ludwig über die Liebe referiert, hat das Kennenlernen seiner späteren Ehefrau Elga Wolff zum Vorbild. Die beiden waren seit 1906 verheiratet.

Wenn Ludwig über das Verliebtsein und die Liebe spricht, dann ist ihm die Kampf-Metaphorik immer schnell zur Hand und es tun sich seltsame Abgründe auf. Das Sich-Verlieben nennt er einen beginnenden, unabänderlichen Roman, wobei Romantik das Ideal bleibe, durch die etwas wie kultureller Zwang durchscheint. Als ob der Kampf der Geschlechter Regie führe in einem privaten Zweikampf: „[…] das Kampfspiel zweier Liebender ist darum einzig, weil beide am Ende siegen“. Doch alles gehe dabei vom Manne aus, und es bedürfe des Anscheins, dass er regiere. Was freilich nie ein Anschein, sondern patriarchale Wirklichkeit war und ist. Und dann gebe es da die „drei alten orphischen Bräuche“: „Tanz, Musik und Wein sind noch heute die echten Chorführerinnen der Liebe.“ Eine Liebesnacht wird dann unversehens zu einer Art Weinprobe. Denn nur wer den Wein kenne und schätze, kenne die Liebe:„Erst am andern Morgen erkennt man, hier wie beim Wein, die echte Qualität.“

Die Frage, welches Interesse an einem solchen Text heute besteht, außer vielleicht einem ziemlich entfernten literaturgeschichtlichen, ist nicht unberechtigt und stellt sich mit aller Dringlichkeit. Denn all die essentialistischen Zuschreibungen für das Weibliche und das Frausein sind einfach nur hanebüchen:

Da die Frau in der Liebe reicher und in der Kunst ärmer ist als der Mann, wird sie durch ihre problematischen Werke von der ihr angeborenen Liebeskunst abgedrängt.

Wir fühlen’s, dass der Mann immer der Werbende, die Frau immer die Schenkende bleibt.

Gut, Emil Ludwig ist stets für eine Pointe gut. Immerhin mokiert er sich, dass der Staat sich in die Liebe einmische, sich Staat und Liebe in der Institution Ehe kreuzten – „diese Notwendigkeit macht die Ehe als Begriff so unmöglich und so komisch“. Oder auch dies: „Zu den christlichen Vorurteilen gehört die Monogamie. Sie wird von der Natur geleugnet […].“

Titelbild

Emil Ludwig: Über das Glück und die Liebe.
Edition Memoria, Hürth/Köln 2024.
192 Seiten, 28 EUR.
ISBN-13: 9783930353453

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch