Als die Tiroler gar nicht lustig waren

Robert Rebitsch verfasst geradezu ein Handbuch zum Tiroler Bauernaufstand

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Studie ist ein Schwergewicht, und zwar sowohl was die buchtechnische Ausstattung als auch was die inhaltliche Seite anbelangt. Natürlich ist es ein Werk, das der üblichen Gedenkjahrmechanik geschuldet ist. Allerdings werfen die frühneuzeitlichen Ereignisse im beginnenden 16. Jahrhundert Problematiken auf, die bis in die Gegenwart wirken.

Zunächst einmal überrascht das Eingeständnis des Autors, dass sein Thema, die Rebellion der Tiroler Bauern, erst einsetzt, als der „Große deutsche Bauernkrieg“ mit der Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai 1525 bereits seinen Höhe- und Wendepunkt überschritten hat. Gleichwohl ist Tirol kein bloßer Nebenschauplatz, steht das Land doch geographisch im Zentrum jener Machtauseinandersetzungen, die Europa über Jahrhunderte hinaus prägen werden. Auch deshalb bewegt sich das Werk des Innsbrucker Historikers in weiten Kreisen von der Welt- zur Reichs-, Landes-, Orts-  bis zur Persönlichkeitsgeschichte. In diesem weiten Feld diskutiert Rebitsch alte und natürlich neue Forschungsergebnisse und strittige Fragen. Er  beschreibt die Tiroler Ständegesellschaft in Stadt und Land und geht dabei auf die regional sehr unterschiedlichen Motive der Aufständischen ein. Gegenüber der marxistischen Forschung, die, fußend auf den Altvorderen Marx und Engels, im Bauernkrieg eine erste, frühbürgerliche Revolution sah, betont er zwar die sozialen Ursachen, aber weniger die utopistischen Absichten der Beteiligten.

Für das Haus Habsburg und seine machtpolitischen Ambitionen waren Nord- und Südtirol von herausragender Bedeutung, einmal und vor allem wegen der hier vorkommenden Erzlager, die die finanzielle Grundlage für die Söldnerkriege der frühen Neuzeit bildeten; sodann aber auch als Transitland zwischen den vielen Herrschaftsgebieten der Habsburger, welche den Anspruch auf den Königs- und Kaisertitel begründeten. Dass Austria nur heiratete, während andere Länder Krieg führten, war von Anfang an eine rührende Legende.

1525 jedenfalls war das Erzhaus Österreich, wie es sich gerne nannte, in zahlreiche Hegemonialkonflikte verwickelt. Gegner und Verbündete wechselten in rascher Reihenfolge. Nur mit äußerster Anstrengung und Raffinesse konnte Karl V., in dessen Regierungszeit die hier behandelten Ereignisse fielen, die Herrschaft über ein völlig überdehntes Reich, in dem bekanntlich die Sonne nicht unterging, aufrecht erhalten. Entscheidend für alle kriegerischen Unternehmungen der Zeit wurde das Geld bzw. die Abgaben, die jeder Herrscher von seinen getreuen Untertanen einwerben musste. Von den Steuern waren natürlich Adel und Klerus ausgenommen. Bereits Maximilian I., der gerne als letzter Ritter apostrophiert wird, hatte sich mit seiner Jagdleidenschaft bei der bäuerlichen Bevölkerung dadurch unbeliebt gemacht, dass er ihr das Jagen und Fischen und sogar das Holzschlagen verbot. Aber auch die immer mehr ausufernde Hofhaltung der Renaissancefürsten und die damit verbundene Bürokratie verlangten einen ständig steigenden Geldzufluss. Dieser konnte jedoch durch die mittelalterliche Selbstversorgerwirtschaft nicht gewährleistet werden. Deshalb drängten vor allem die Landbesitzer in Adel und Kirche auf eine effektivere Bewirtschaftung des Bodens und eine immer weitere Belastungen der unteren Stände. Zugleich stärkte aber die Reformation das Selbstbewusstsein eines jeden „Christenmenschen. Die Auflösung der feudalen Ordnung durch den sich etablierenden Flächenstaat führte dazu, dass sich die Untertanen neue und verlässliche Rechtsbestimmungen wünschten, an denen sie im besten Falle selbst mitwirken konnten. Dafür gab es etwa unter den Schweizer Eidgenossen oder den oberitalienischen Stadtstaaten sogar einige Vorbilder. Europa stand also vor einer Epochenwende, die hier nur schemenhaft skizziert, von Rebitsch aber sorgfältig und anschaulich beschrieben wird.

Mitte Mai 1525, nachdem vorher schon an einigen Orten Tirols Untertanen initiativ geworden waren, erhoben sich im Fürstbistum Brixen Bauern und Bürger gegen obrigkeitsstaatliche Maßnahmen des Fürstbischofs und plünderten dessen Hofburg und das besonders verhasste Kloster Neustift. Die Rebellion griff rasch auf Teile der Grafschaft Tirol und das benachbarte Fürstbistum Trient über. Zahlreiche Burgen, Klöster und Pfarreien wurden zerstört. Vernichtet wurden dabei vor allem aber die Dokumente, welche die Bauern zu Abgaben und Dienstleistungen verpflichtet hatten. Während im süddeutschen Raum vom Elsass bis Thüringen der Schwäbische Bund den Aufstand des „gemeinen Mannes“ mit äußerster Brutalität niederwarf, verließ sich in Tirol der junge habsburgische Landesfürst, Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser Ferdinand I., auch weil ihm für eine militärische Lösung schlicht das Geld fehlte, auf Verhandlungen. Nachdem er die Willigen zu einem Landtag nach Innsbruck gerufen hatte, wo die Probleme und Lösungen besprochen werden sollten, ebbten die Unruhen vielerorts rasch ab. Manches Gestohlene wurde sogar zurück gegeben. Allerdings zeigten gerade die geistlichen Fürstbischöfe in Brixen und Trient keinerlei Nachsicht und Barmherzigkeit mit den Rädelsführern und ließen diese zeittypisch grausame Rache spüren, von Rebitsch anhand der Gerichtsakten minutiös nachgewiesen. Allein dem von den Aufständischen in Brixen als „Obristen Feldhauptmann“ gewählten Michael Gaismair gelang über Umwege die Flucht ins benachbarte Venedig, dessen Terra ferma damit ihrem Namen gerecht wurde. Hier stieg Gaismair sogar zum Condottiere auf, immer in der Absicht, mit einer Armee und einer „Landesordnung“ für ein zukünftiges Tirol in seine Heimat zurückzukehren. Diesem Verfassungsentwurf mit seinen biblisch begründeten Egalitätspostulaten, der jedoch auf verschiedenen Vorgängern und diversen Beschwerdeartikeln beruhte, billigt Rebitsch eine sozialrevolutionäre Komponente zu. Diesen Absichten kam aber ausgerechnet Ferdinand zuvor, indem er einen Auftragsmörder ins feindliche Padua schickte, wo der inzwischen zum „Staatsfeind“ erklärten Gaismair 1532 einem Anschlag zum Opfer fiel. Michael Gaismair als Galionsfigur des Aufstandes widmet Rebitsch den größten Teil seines Buches, das teilweise durchaus den Charakter eines wissenschaftlichen Handbuches annimmt.

Es geht ihm aber auch darum, der Person des Bauernführers gerecht zu werden, der von der katholisch-konservativen Seite oft als Verräter geschmäht und von den Nationalsozialisten als teutonischer Übermensch mißbraucht worden ist. „Michael Gaismair wurde, so Rebitsch, „nie zu einer Identifikationsfigur der offiziellen Tiroler Erinnerungspolitik.“ Wesentlich leichter tut sich diese bis heute mit dem frommen Freiheitshelden Andreas Hofer oder gar mit dem glanzvollen Maximilian. Rebitsch plädiert deshalb dafür, mehr Erinnerungsorte einzurichten, um die Bauernkriege im kollektiven Gedächtnis zu verankern.

An einer Stelle des reich bebilderten Bandes kann man sehen, was passiert, wenn offenbar ein Verlagsmitarbeiter mit der Illustrierung beauftragt wird. Der schaut dann zum Stichwort Oswald von Wolkenstein bei „Wikimedia, Public Domain“ nach und landet dort bei dem bekannten Bild des einäugigen Dichters und Sängers, der zwar in Brixen beerdigt ist, aber rund 100 Jahre vor dem Bauernaufstand gelebt und höchstens den Namen mit dem Brunecker Stadthauptmann von 1525 gemeinsam hat. Über diesen Missgriff dürfte sich der ansonsten untadelige Autor und bekennende Metal-Fan Rebitsch geärgert haben.

Titelbild

Robert Rebitsch: Rebellion 1525. Michael Gaismair und der Aufstand der Tiroler Bauern. Sie kämpften für eine bessere Welt und scheiterten.
Tyrolia Buchverlag, Innsbruck 2024.
376 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783702242220

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