Zerstörung einer heilen Welt
Rachel Eliza Griffiths erzählt in „Was ihr uns versprochen habt“ vom Leben und Sterben einer schwarzen Familie in einer vom Rassismus durchzogenen Kleinstadt im Neuengland der 1950er Jahre
Von Karsten Herrmann
Ihren Debutroman lässt Rachel Eliza Griffiths, die auch Lyrikerin und Künstlerin sowie die Ehefrau von Salman Rushdie ist, mit einem magischen Sommer voller Freiheit und sinnlicher Erlebnisse beginnen. Sie erzählt ihn aus der Perspektive der 13-jährigen Cynthia, die mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Ezra und ihren Eltern in Salt Point an der Küste in Maine lebt. Die Kindreds sind eine von nur zwei schwarzen Familien in diesem Ort, dem die Eltern nicht trauen und der noch weitgehend unberührt ist von der Bürgerrechtsbewegung. Doch die Nachrichten vom Kampf um Gleichberechtigung dringen bei den Kindreds aus dem Radio und nach der Unterzeichnung des Civil Rights Acts durch Eisenhower im Jahr 1957 „bewegte sich die Nation am Rande des Abgrunds“.
Cynthias Vater, der bei einem Unfall in der Jugend seinen Arm verloren hat, ist Lehrer an einer Privatschule in Salt Point. Hier werden auch seine Töchter unterrichtet und Cynthia lässt sich von ihrer emphatischen Lehrerin Ms. Burden für Literatur begeistern. Doch deren scheinbarer Selbstmord bedeutet einem Schock und eine Zäsur für Cynthia, denn ihr folgt mit der jungen Ms Alley eine offen rassistische und intrigante Lehrerin. Sie instrumentalisiert auch die einzige weiße Freundin von Ezra, die Outsiderin Ruby. Diese wächst in verwahrlosten Verhältnissen und mit einem gewalttätigen Vater auf, sehnt sich nach einer heilen Familie wie den Kindreds und träumt davon Pilotin zu werden.
Mit Ms. Alley eskaliert die Situation in der Schule und der schwarze Hausmeister Caesar Jankett wird unter falschen Anschuldigungen verhaftet und blutig geschlagen und die dagegen protestierende Ezra von der Schule suspendiert – und dies ist nur der Auftakt zu einer Folge von rassistischen Bedrohungen und dramatischen Entwicklungen, an deren Ende die heile Welt der Familie Kindred zerstört ist.
Rachel Eliza Griffiths erzählt ihren Debutroman in einer warmherzigen, hochpoetischen und sinnlichen Sprache mit wunderbaren Vergleichen und plastischen Bildern wie diesem hier:
In der Dämmerung schimmerten Glühwürmchen, ein Sternbild aus zarten Lichtern in Grün und Gelb. Pulsierend schwebten sie vor mir wie ein Portal in eine andere Welt.
Doch die Welt in diesem Roman ist auch eine ziemlich klar in schwarz und weiß, in gut und böse aufgeteilte. Da ist die (eigentlich) heile Welt der Kindreds, die wie in einem Kokon voller Liebe und Zuwendung zufrieden zusammenleben und inneren Stolz und Selbstbewusstsein haben. Diese von der städtischen Gemeinschaft abgekapselte Welt wird mehr und mehr vom Rassismus der Weißen bedroht, der sich exemplarisch verdichtet in dem von Grund auf bösartigen und sadistischen Deputy Charlie.
Anhand einer klassischen Familiengeschichte zeigt Rachel Eliza Griffiths auf packende Weise sowohl die eher sublimen als auch die dramatischen, gewaltvollen Auswirkungen eines tief verwurzelten und bis heute virulenten Rassismus auf. In Rückblenden zoomt sie dabei auch zurück in die düstere Vergangenheit, in der die Vorfahren der Kindreds durch unfassbare Menschenverachtung und rassistische Lynchmorde dahingerafft wurden.
Am Ende des Romans muss auch die zunächst so behütet aufgewachsenen Cynthia begreifen, „dass wir alle gezwungen waren, uns zu verändern, um zu überleben.“ Sie findet dabei nicht zuletzt Kraft in einem über Generationen hinweg überlieferten mystischen Glauben, in dem die Toten zurück in eine bessere Welt gehen und doch immer mit den Lebenden verbunden bleiben.
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