Leiden unter dem Glück
Daniel Glattauers fesselnder Roman „In einem Zug“ ist angenehm unaufgeregt
Von Peter Mohr
Seinen literarischen Durchbruch schaffte der 64-jährige Wiener Daniel Glattauer mit seinem 2006 veröffentlichten Roman Gut gegen Nordwind, einem modernen Briefroman der ein wenig an den Kinofilm Email für dich mit Tom Hanks und Meg Ryan erinnerte. Im Mai 2009 wurde eine Bühnenfassung in den Wiener Kammerspielen uraufgeführt. 2019 folgte die Verfilmung des Bestsellers mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen. In den letzten knapp zwanzig Jahren ging es bei Daniel Glattauer, der es schafft, eine wohl austarierte Mischung aus E- und U-Roman zwischen die Buchdeckel zu bringen, steil bergauf.
„Ich bin ziemlich artverwandt mit meinem Protagonisten”, erklärte Glattauer kürzlich in einem APA-Interview. Sein Ich-Erzähler Eduard Brünhofer hat mit Liebesromanen ein Millionenpublikum erreicht. Im Gegensatz zu seinem geistigen Vater Glattauer leidet die Hauptfigur unter einer handfesten Schreibkrise. Zuletzt hatte er lediglich einen essayistischen Bahnhofsführer und eine Liebeserklärung an den Alkohol vorgelegt.
„Es ist unglaublich, dass man mit so wenig Ellbogen wie ich doch so gut durchs Leben kommt! Es ist fast ein Wunder, wie sehr das geglückt ist. Manchmal leide ich unter meinem Glück“, bekennt der Bestsellerautor, der sich auf einer Zugreise von Wien nach München befindet und das Abteil mit einer neugierigen „Frau frühen mittleren Alters“ teilt. Jene Catrin Meyr ist Physio- und Psychotherapeutin und fragt den eher verschlossenen Schriftsteller aus – nach Familie, nach seinen Büchern und der Beziehung zu seiner Ehefrau. Die Beiden kommen schleppend ins Gespräch, doch dann entwickelt sich ein starkes gegenseitiges Interesse. „Bei langen Strecken kann man jemanden schon so gut kennenlernen, dass man Lust bekommt, ihn wiederzusehen.“ Zwischen Wels und Attnang-Puchheim duzen sich die beiden, vor Vöcklabruck prosten sie einander zu.
Glattauer erzählt mit einer gehörigen Portion Humor, etwa als er seinen Erfolgsschriftsteller von seinen Erfahrungen auf Lesungen berichten und über die ständig wiederkehrenden („grausamen fünf“) Fragen klagen lässt – zum Beispiel „Wie kommen Sie auf die Ideen für Ihre Bücher?“ und „Wer sind Ihre Lieblingsautoren?“ Und Catrin Meyr weiß ihr Gegenüber mit unzähligen möglichen Schreibweisen ihres Namens zu unterhalten. „Catrin Meyr“ gibt da einiges an Varianten her.
Die muntere Konversation wird dann kurzzeitig gestört. Ein frisch zugestiegener Reisender nimmt im Abteil Platz neben Catrin:
Zwischen Catrin und mir hat sich über wenige Stationen hinweg aus dem Nichts eine ungeheure, schon an Intimität grenzende Vertraulichkeit aufgebaut, die nun an der Realität eines breitbeinig dasitzenden Neapolitaners mit Villacher Wurzeln zerbricht.
In einem Zug ist Glattauers bisher am stärksten autobiografisches Buch, in dem er allerdings seiner schreibenden Hauptfigur mit einer Prise Selbstironie einige liebenswerte Marotten „verpasst“. Das sprachliche Niveau schwankt bei Glattauer auf den mehr als 200 Seiten. Ab und an klingt es arg flapsig und leicht trivial: „Sie präsentiert sich, als wäre sie ein offenes Buch, aber kaum will man hineinlesen, klappt sie den Deckel zu.“
Der doppeldeutige Romantitel hält, was er verspricht. Man liest dieses ausschließlich in einem Zug spielende Buch tatsächlich „in einem Zug“ – ohne dass viel passiert, ist man gefesselt und weiß schlussendlich nicht einmal genau warum. Aber man würde Eduard und Catrin gern noch einige Bahnkilometer begleiten. Ein stilles unaufgeregtes Buch, das in Zeiten hektischer Social-Media-Kommunikation die beinahe schon altmodische Kunst der Aug‘-in-Aug‘-Konversation feiert.
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