Geschichtspodcast zum Nachlesen
Der BBC-Podcast „The Rest Is History” von Tom Holland und Dominic Sandbrook wird mit der Übersetzung ihres kurzweiligen Begleitbuchs einem deutschsprachigen Publikum nähergebracht
Von Thomas Merklinger
Mit The Rest Is History hosten die beiden englischen Historiker und Buchautoren Tom Holland und Dominic Sandbrook den momentan erfolgreichsten britischen Geschichtspodcast. Unterhaltsam und niveauvoll besprechen sie darin unterschiedliche Themen der Weltgeschichte. Der eine, Tom Holland, hat statt seiner Dissertationsarbeit über Lord Byron eine Reihe historischer Romane verfasst (darunter zwei Vampirromane über Lord Byron), bevor er auch in Deutschland mit gut geschriebenen populärwissenschaftlichen Sachbüchern zu Antike und Mittelalter Bekanntheit erlangt hat. Dominic Sandbrook hingeben hat nach seiner Promotionsschrift über den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Eugene McCarthy bislang sechs Bücher zur britischen Nachkriegsgeschichte bis 1982 veröffentlicht. Beide haben zudem fürs Radio und Fernsehen gearbeitet und historische Themen publikumsgerecht aufbereitet, bevor sie sich in der Corona-Zeit dem Podcasten zuwandten. Seit dem Start von The Rest Is History im November 2020 sind bei mittlerweile zwei wöchentlichen Aufzeichnungen mehr als 500 Folgen frei zugänglich erschienen.
Der Podcast hat sich schnell auch zu einer wirtschaftlich erfolgreichen Marke entwickelt. Neben Live-Shows (unter anderem in der Royal Albert Hall, wo sich die beiden mit einem Orchester über Komponisten unterhalten) gibt es für zahlende ‚Friends of the Show‘ wöchentliche Bonus-Episoden sowie die Möglichkeit, sich in einem Chatraum untereinander auszutauschen. Die Premium-Mitgliedschaft als ‚Æthel-Stan‘ beinhaltet darüber hinaus persönlichen Kontakt mittels Video-Botschaften, eine halbjährliche Party sowie mediale Pub-Quizzes mit den Hosts. Inzwischen sind die Themen der Show zudem in unterhaltsam aufbereiteter Form in zwei Büchern erschienen: The Rest Is History: History’s most curious questions answered (2023) ist im September 2024 durch den Fortsetzungsband The Rest Is History Returns: An A–Z of Historical Curiosities erweitert worden. Der erste Band liegt nun auch auf Deutsch vor. Dabei wirbt der Klappentext des von Stephan Pauli übersetzten Buchs THE REST IS HISTORY. Antworten auf die kuriosesten Fragen aus der Geschichte mit dem Slogan „Von den Machern des beliebten BBC-Podcasts“. Inwiefern dieser Hinweis für das deutsche Publikum allerdings bedeutsam ist, ist fraglich: Denn wer den englischsprachigen Podcast kennt und hört, benötigt wohl keine Übersetzung ins Deutsche; Wer auf die Übersetzung angewiesen ist, hört und kennt wahrscheinlich den Podcast nicht.
Als Begleitbuch beziehen sich die einzelnen Kapitel zwar auf passende Podcastfolgen und es finden sich manchmal kleinere Rückbezüge und Insider-Jokes. Dennoch kann die deutsche Ausgabe ebenso gut ohne vorherige Kenntnis der Audio-Episoden von The Rest Is History gelesen werden. Wie der Podcast ist auch das Buch recht britisch. So schwingt bei allen Kapiteln stets ein gewisser ironischer Unernst mit, der sich in einer Registermixtur sowie in lustigen Assoziationen oder Querverweisen niederschlägt, wie es für den britischen Konversationston und Alltagshumor nicht untypisch ist. Für die Buchform wird das aus den Podcastfolgen extrahierte Wissen dabei nicht nur mit kleinen Scherzen und Nebenbemerkungen zur englischen Politik und Gesellschaft begleitet, es wird darüber hinaus in abwechslungsreichen Textformen präsentiert.
Um die Informationen zu verpacken, werden häufig Listen, aber auch ein Murder-Mystery oder Sportkommentare, ein Quartett-Spiel, eine Stadtführung durch London oder ein fiktiver Sektionsbericht sowie fingierte Interviews und Briefe gewählt. Die historischen Hintergründe von Dan Browns Erfolgsroman The Da Vinci Code (in der deutschen Übersetzung: Sakrileg) wiederum werden in Romankapiteln präsentiert, die den schlechten Erzählstil des amerikanischen Originals parodieren. Dass sich dabei gelegentlich auch Referenzen auf TV-Shows und Celebritys des Königreichs ergeben, stört jedoch nicht den Spaß an diesem Buch. Die kurzweilige Lektüre bietet immerhin Antworten auf Fragen, die man so noch gar nicht hatte: Welche historischen Partys sind komplett aus dem Ruder gelaufen? Was bedeutete es, im 17. Jahrhundert ein Kind zu bekommen? Und welcher Saint-Patrick’s-Day-Trinktypus trifft eigentlich auf mich zu? Darüber hinaus erfährt man, was es mit König Arthur, Robin Hood, Nessie oder auch Atlantis auf sich hat.
Was im Podcast schon besprochen worden ist, findet nun den Weg in den Druck. Man kann auch hier von den zehn bedeutendsten Hunden (Ep. 323), Eunuchen (Ep. 45) oder Mätressen (Ep. 97) der Weltgeschichte lesen. Die jeweils auf Twitter ausgefochtenen Weltpokalkämpfe um den Titel des besten britischen Premierministers oder der Premierministerin (Ep. 35), des besten englischen Königs oder der Königin (Ep. 123/124) sowie der Göttinnen und Götter (Ep. 58/59) werden rekapituliert. Was vom Grundgedanken ein wenig an das von Monty Python ausgetragene Match im Philosophen-Fußball erinnert, bietet aber immerhin mehr Hintergründe zu den einzelnen Persönlichkeiten. Die Kombination aus unterhaltsamer (und teils absurder) Form sowie anekdotischer Information zieht sich durch das gesamte Buch. Das ungleiche Siegerpärchen aus dem historischen Love-Island-Format (Ep. 206) beispielsweise – der britische Premierminister Stanley Baldwin und die byzantinische Kaiserin Theodora – werden im Buch ausführlich interviewt.
Die vorgestellten Themenbereiche entstammen häufig der englischen Geschichte oder sind zumindest weitgehend einer anglozentrischen Perspektive geschuldet. Es geht beispielsweise um Alfred den Großen (Ep. 250/251), den Falkland-Krieg (Ep. 169-172), „Acht Gründe, warum Nelson die Schlacht von Trafalgar gewann“ (Ep. 243-245) und natürlich um Winston Churchill (Ep. 239-241). Auf dem Kontinent liegt wegen der geschichtlichen Verstrickungen Englands im Mittelalter insbesondere Frankreich am nächsten. Die deutsche Geschichte beschränkt sich zumindest in der Buchfassung auf die Zeit des Nationalsozialismus. Auch wenn im Podcast Deutschland nach 1945 in einigen Folgen durchaus besprochen worden ist, sind vor allem „die Nazis natürlich“ ein zuverlässiger Publikumsliebling, wie Tom Holland im Vorwort schreibt. So findet sich „Blondie“ auf Platz fünf der wichtigsten Hunde der Geschichte, aber es gibt auch ein Kapitel zum Widerstandskreis der Weißen Rose (Ep. 256). Als weitere historische Lieblinge finden sich darüber hinaus Kapitel zum alten Ägypten, zum Römischen Reich und zu den Wikingern.
Dass letztere „mit gehörnten Helmen“ beziehungsweise als „gehörnt-behelmte Räuber und Händler“ beschrieben werden, ist historisch allerdings nicht korrekt. In der Podcast-Episode zur Ostexpansion der Wikinger (Ep.148) weist Sandbrook direkt zu Beginn auf diesen Mythos hin. Es mag dann der kollektiven Autorschaft geschuldet sein, dass im Buch die landläufig mit dem Wikingerbild assoziierten Hörnerhelme unkommentiert auftauchen. So listen die Verfasserangaben neben den beiden Hosts zugleich „Podhanger Podcasts und Iain Hollingshead“ als Co-Autoren. Im Gegensatz zum Podcast-Gespräch, das auf unterhaltsame Weise durchaus ein fachwissenschaftliches Niveau besitzt, ist die Druckfassung mit kurzen, kurzweiligen Texten ganz auf Unterhaltung getrimmt, was auch durch die kapitelbegleitenden humorigen Zeichnungen von Adam Doughty unterstrichen wird.
Dennoch muss man das nicht als Makel sehen, wäre doch eine simple Zusammenfassung der Podcastfolgen ziemlich redundant. In der vorliegenden Form erweitert The Rest Is History seine Zielgruppe. Es können fachlich Versierte und Interessierte (gute Englischkenntnisse vorausgesetzt) dem Podcast folgen und das Buch als kurzweilige Rekapitulation nutzen, während ein breiteres Publikum auch ohne Kenntnis des Audioformats auf seine Kosten kommt. Die gut lesbare Übersetzung orientiert sich am Ton des Originals und setzt Anmerkungen und Erläuterungen nur sehr spärlich, wenn sie wirklich notwendig sind. Auch wenn einige Referenzen dann wahrscheinlich nicht direkt bekannt sind (etwa wenn der junge Churchill mit dem BBC-Korrespondent Jeremy Bowen bei seinen Ukraine-Berichten verglichen wird), bleibt der große Zusammenhang doch verständlich und es ließe sich gegebenenfalls schnell herausfinden, auf welche britische Schlagzeile der Scherz am Rande Bezug nimmt. Ärgerlicher ist eher die Entscheidung der deutschen Ausgabe, nicht das kleine Pub-Quiz beizufügen, das in der Originalausgabe von Bloomsbury Publishing mit Fragen aufwartet, die sich unter anderem auf die vorangegangenen Kapitel beziehen – vielleicht weil das Konzept hierzulande nicht so gängig ist. So entgeht dem deutschsprachigen Publikum leider ein Bonus-Spaß.
Im Gegensatz zum Podcast steht bei ihrem ersten Begleitbuch der Unterhaltungsaspekt im Vordergrund. Als kurzweiliges Infotainment funktioniert das allerdings sehr gut. Wer darüber hinaus eine vertieftere Diskussion der angerissenen Themen sucht, kann sie weiterhin in den streambaren Gesprächen von Tom Holland und Dominic Sandbrook finden – das allerdings nur auf Englisch.
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