Ist das jetzt Satire?
Elke Schmitter kuriert uns in ihrem Roman „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ von der Krankheit der romantischen Liebe und beschreibt sie im Grunde als Mangel an Selbstliebe
Von Nora Eckert
Vielleicht liege ich mit meiner Deutung schief, aber ich habe den Roman als eine dringende Warnung vor romantischer Liebe verstanden. Dass mir dabei während der Lektüre ein altes Sprichwort einfiel, nämlich „Wo die Liebe hinfällt, da bleibt sie liegen und wärʼ es ein Misthaufen“, konnte hier kein Zufall sein. Denn Helena trifft mit Levin, in den sie sich rettungslos verliebt, wie es in solchen Fällen gern heißt und hier wortwörtlich zu nehmen ist, sie trifft auf einen narzisstischen Charakter wie er übler nicht sein könnte, aber durch den hingebungsvollen Masochismus, mit dem Helena reagiert, noch getoppt wird.
Das zweifelhafte Liebesglück der beiden ist nach zwei Wochen schon vorbei, endet mit einem Ghosting, wie man heute sagt, während das Nüchtern-Werden Helenas dagegen ein langes, quälendes Jahr dauert. Denn sie leidet, wie gesagt, mit nachgerade bizarrer Hingabe, verheddert sich dabei in Endlosschleifen des Selbstzweifels und der Schuldsuche, hofft irrsinnig dennoch Tag für Tag und hungert, als sei Gewichtsverlust die Rettung. All dieses Manische ist jenseits des Erträglichen, aber immerhin mit Licht am Ende des Tunnels. Vor der Zumutung des Liebes-Leid-Alltags wird ganz am Anfang gewarnt, denn „alles muss erzählt werden, ganz genau und dann sagte er, und dann sagte ich, und dann er, und dann ich, wie auf einer Wippe“. Schon sind wir mitten in einer endlosen Interpretationslust.
„Also diese wahnsinnig vielen Details.“ Die Autorin macht mit dem Erzählzwang ihrer Romanfigur ernst. Das beginnt mit dem Verliebtsein und setzt sich nach dem plötzlichen Liebes-Aus heftiger und anhaltender fort. Was mir zu verstehen gibt, dass es bei der Liebe mitunter nur um die hartnäckigen Macken zweier Solipsisten geht, die in konträren Bahnen um sich selbst kreisen. Was mich wiederum an einen Satz des Psychologen Ronald D. Laing erinnert: „Der Mensch braucht nicht immer Gitter zu einem Käfig. Auch Gedanken können Käfige sein.“ In immer neuen Drehungen vermittelt uns Schmitter Liebes-Leid-Alltag, ausstaffiert mit lebensklugen, empathischen Menschen um Helena herum, deren Vernunft an der meterdicken Liebes-Wahnsinns-Mauer zuverlässig abprallt.
Elke Schmitter hat eine Art Doppelroman geschrieben. Den ersten nennt sie Bildungsroman, den zweiten vielsagend Einbildungsroman. Der erste nimmt den „Bildungsauftrag“ sehr ernst und versieht die darin beschriebenen kurzen Szenen der Paarbildung mit ebenso zahl- wie umfangreichen Fußnoten. Wir sind hier an Roland Barthes‘ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ erinnert, und erhalten darüber hinaus Lektüreempfehlungen, die von Michel Foucault über Eva Illouz, Niklas Luhmann bis hin zu Ludwig Wittgenstein reichen, um nur einige zu nennen.
In einer der Fußnoten gibt uns Schmitter den Hinweis, dass es sich in den erzählten Geschichten um Heteros handele und von cis Leuten die Rede sei. Was uns zu der Einsicht bringt, dass Heterosexualität verdammt anstrengend sein kann und mit Blick aus den daraus entstehenden menschlichen Beziehungen zugleich die Frage provoziert, was daran bitte „normal“ sein soll. Die so erfrischend abgeklärte, US-amerikanische Dichterin Dorothy Parker meinte einmal: Heterosexualität sei nicht normal, sondern nur weitverbreitet. Ob allerdings andere Sexualitäten in Sachen Beziehungskisten resilienter aufgestellt sind, mag man mit Blick auf gewisse anthropologische Konstanten in Sachen Paarbeziehung bezweifeln.
Und dann gibt es da eben dieses magische Erlebnis, diesen Moment einer unbeschreiblichen Liebe auf den ersten Blick, und die größte Bereitwilligkeit, sich dem auszuliefern – urgefährlich für jedes „Hefeherz“. Schmitter vergleicht das Verliebtsein mit simmern, das niemand außer einem selbst bemerke. Der Begriff simmern entstammt dem Koch- und Küchenvokabular und meint, den Garvorgang knapp unterm Siedepunkt zu halten. Schon setzen Endorphinsucht und Dopaminrausch ein, und möglicherweise verbunden mit der Frage: „Ist das der Mensch, bei dem man gerade einen Auslieferungsantrag stellt?“
Als Helena auf jenen Levin trifft, fühlt sich das sofort wie eine Wundergeschichte an, obschon sie auch gesteht: „Sicherheit in meiner Liebeswahl war noch nie meine Stärke.“ Und auch dies: „Dass ich, Emanzipation hin wie her, hier eher im vorletzten Jahrhundert angesiedelt bin, ist für mich eher komisch als peinlich.“ Doch aus der Komik wird ein zähes Melodrama über romantische Liebe, die wir als Absurdität erleben, genährt von Hormonen für gute Gefühle, aber auch eine Ursache für „sehende Blindheit“ und hartnäckigen Jammer.
Dass dem so ist, bringt uns der treffend mit Einbildungsroman überschriebene zweite Teil nahe. Die Fußnoten sind nun verschwunden und die Erzählung ist in Tagebuchform übergegangen. Zunächst und für zwei Wochen gibt es die beiden Verliebten Helena und Levin, die die Autorin „diese beiden Kopffüßler“ nennt. Weil die vorhin erwähnte „sehende Blindheit“ Helena daran hindert zu erkennen, mit wem sie es zu tun hat, bleiben die Ratschläge aus ihrer Umgebung zwar nicht ungehört, aber folgenlos: „Dieser Mann ist verrückt. Und du solltest so schnell wie möglich aus dieser Sache raus.“
Je mehr Nähe der Narziss Levin erfährt, desto größer wird die Angst „in seinem Schacht“ – ein regressiver Teufelskreis, der von Levin mit kompromisslosem Rückzug und Schweigen beantwortet wird. „Dass eine winzige, missratene Bemerkung etwas auslösen kann wie ein Programm. […] dieser Mann zieht mich in eine Geisterbahn […].“ Genau betrachtet, ist es aber nicht seine, sondern am Ende ihre Reaktion, die sie in die Geisterbahn schickt. Denn denkbar wäre doch auch eine andere Reaktion. Aber die ergäbe eine andere Geschichte, eine kürzere sicherlich. So aber müssen wir als Lesende mitleiden. „Das ist ein Mensch, der hinterlässt eine Spur der Verwüstung.“
Nein, die Verwüstung richtet Helena selbst an mangels Selbstliebe beziehungsweise Selbstachtung. Dabei bestätigt sich, was uns schon Roland Barthes verriet, nämlich wer verliebt ist, ist auch die Person, die wartet: „Die fatale Identität des Liebenden ist nichts anderes als dieses ich bin der, der wartet.“ Und weil Helenas Liebeskrankheit allein nicht reicht, mischt Schnitter in das Tagebuch lauter Briefzitate einer anderen unglücklich Liebenden – Julie de Lespinasse aus dem 18. Jahrhundert. Und weil auch das noch nicht reicht, kommen schließlich noch Auszüge aus einem anderen Tagebuch hinzu, das einer fiktiven Caroline Scheffel zugeschrieben wird.
Mittlerweile ist es Sommer geworden, und wir lesen jetzt im Liebesleid-Tagebuch unter dem Datum 17. Juli überraschend, Helena beginne den Tag gedanklich ohne ihn. Dann die Feststellung: „Wie leicht mir ist.“ Gelöst habe sich die Illusion, jemanden zu irgendetwas bringen zu können. Doch zu früh gefreut, denn siebzig Seiten folgen noch. Helena wird rückfällig, sie will weiter ihre Gedanken und Stunden einem Mann namens Levin schenken. Ja, das Ganze hat auch eine irgendwie faszinierende Seite und die hat mit der literarischen Bravour zu tun, mit der Elke Schmitter uns die Wahnsinnsseite der Verliebtheit unangenehm nahebringt. Doch dann die überraschende Wende. Der Vorhang im Melodrama fällt. „Dass außerdem Vollmond ist, wundert natürlich nicht“ – geschafft!
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