Politik, emotional – die Stärken und Schwächen eines Ratgebers

Eine objektive Entscheidungshilfe? Marc Raschke gibt in „Du hast die Wahl“ Tipps zu einer demokratischen Grunddisziplin

Von Anne StollenwerkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Stollenwerk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Band ist ungefähr 100 Seiten lang, passt im handlichen DIN A-5-Taschenbuch-Format in die Wintermanteltaschen und verspricht auf dem Buchrücken, „Orientierung und Haltung“ für die Lesenden zu bieten. Als eine Art Ratgeber möchte er es seinem Publikum möglich machen, „sich als Mitte der Gesellschaft in Debatten klar gegen den Rechtsruck in Deutschland zu stellen“. Veröffentlicht kurz vor einer der wichtigsten Wahlen der jüngeren Vergangenheit verspricht Du hast die Wahl im Vorwort „ein effizienter Wahlhelfer für Sie“ sein zu wollen. Das Interesse an einer solchen Publikation war offenbar groß: Schon vor dem Erscheinungstermin einen Monat vor der Wahl sprang die Anzahl der Vorbestellungen auf Platz 2 der Amazon-Rangliste, die Erstauflage wurde auf 100.000 Exemplare angehoben.

Das dünne Taschenbuch ist die fünfte Edition der TaschenRaschke-Reihe, in denen der Autor Marc Raschke bisher die Themen Sparen, Klima, Corona und – in Zusammenarbeit mit der Frauenärztin und Influencerin Dr. Judith Bildau – (Frauen-)Gesundheit behandelt hat. Der Journalist, Politik-Influencer, PR-Berater, Kommunikator und Moderator versteht sich selbst als „Aufmerksamkeits-Ökonom“. Im Pandemiejahr 2021 ist er für seine Arbeit als Unternehmenskommunikator für das Klinikum Dortmund GmbH zum „Forschungssprecher des Jahres“ gekürt worden.

Raschkes Handbuch ist – exklusive Vor- und Nachwort – in elf Kapitel aufgeteilt. Diese behandeln knapp, aber genau die Themen, die politisch wie gesellschaftlich aktuell für Aufregung sorgen: Reichtum, Fake-News, Medien, das Bürgergeld, Wohlstand und Lobbyismus. Dabei sind die Kapitelgrenzen mitunter etwas verwirrend: Kapitel 5, „Alle gegen das Bürgergeld. Stimmungsmache mit falschen Zahlen“, ist lediglich eine Doppelseite lang, kann allerdings als Auftakt für das intensivere Folgekapitel „Nach unten treten. Mythen und Fakten zum Bürgergeld“ gesehen werden. Die Frage, warum hier nicht aus zwei Abschnitten einer gemacht wurde, lässt sich wahrscheinlich mit Zeitdruck (laut einem Instagram-Post gab es Anfang Dezember 2024 noch nicht mal ein Manuskript) sowie dem Wunsch nach größerer Übersichtlichkeit beantworten. Kürzere Kapitel fordern von Leser:innen eine geringere Aufmerksamkeitsspanne und bedeuten mehr Erfolgserlebnisse. Außerdem ist dieser sehr kleinschrittige Aufbau vielleicht auch für eine besondere Situation gedacht: Sollte jemand „aus der Mitte der Gesellschaft“ eine Debatte gegen Rechts führen, kann im TaschenRaschke schnell nachgeschlagen werden.

Raschkes Polemik sollte während einer echten Diskussion jedoch lieber nicht adaptiert werden. Das wird bereits im Vorwort klar. Dort gelobt Raschke, „ohne eine manipulative Emotionalisierung“ arbeiten zu wollen. Das Kapitel „Über Kompass und Kipppunkte“ steigt abrupt mit einer Szenenbeschreibung aus einer Dokumentation über Auschwitz ein. Raschke rechtfertigt diese intensive Schilderung und gibt „einen aktuellen Grund“: die respektlose Reaktion von AfDler:innen während einer Rede Michel Friedmans im hessischen Landtag. Emotional ist der Einstieg jedoch allemal und manipulativ ist das auch.

Ein paar Sätze später trägt Raschke dann in Bezug auf die beschriebene Doku-Szenedick auf: „Es ist unsere Pflicht, an dieser Stelle zu sagen: Wer kein Mitgefühl mit zwei Schwestern hat, die sich voneinander lösen müssen, die einander verlieren, der hat das Recht verwirkt, Mensch zu sein. Der ist ein Monster.“ Sinngemäß hat er damit selbstverständlich Recht: Die Empathielosigkeit, die Abschätzigkeit, mit der hierzulande manche Wähler:innen anderen Menschen begegnen, ist in höchstem Maße schockierend und verwerflich. Aber indem er sie entmenschlicht, begibt sich Raschke auf dieselbe Stufe. Es gibt keinen Grund, jemandem die Menschlichkeit abzusprechen – und den darf es auch nicht geben

Interessant ist, dass Raschke selbst diesem Argument eventuell sogar zustimmen würde. Und das ist auch der Punkt, der Du hast die Wahl ordentlich entzaubert – obwohl man so ziemlich allen Argumenten, die Raschke vorbringt, grundlegend gerne zustimmen würde.

Der Kommunikationsexperte schreibt – entgegen seiner eigenen Vorgabe – extrem emotional. Die Sprache, die Argumentation, die Metaphern – alles wirkt wie ein langer und verzweifelter Ausbruch. Ein Rant im Mantel eines Ratgebers, ein atemloser, abgehobener, hin und wieder gar zynischer Appell an den gesunden Menschenverstand der deutschen Demokrat:innen, geboren jedoch aus einer ganz und gar verständlichen Verzagtheit.

Diese wird zum Beispiel deutlich, wenn sich Raschke in fast schon spontanen – und das wäre bei einem derart gut recherchierten und mit Quellen belegten Buch doch überraschend – Implikationen verrennt: „Nehmen wir Markus Söder und Christian Lindner, die immer wieder die Grünen ins (man möchte fast ergänzen: noch nur) rhetorische Schussfeld nehmen.“ Man kann sowohl dem „chronische[m] Bierzelt-Besucher“, als auch dem ehemaligen FDP-Politiker viel vorwerfen, man kann ihre Ansichten für dumm halten, man kann sie auch hassen. Aber den beiden potenzielle Mordlust zu unterstellen, ist wohl doch arg und unnötig überspitzt. Gerade mit solchen bissigen Einschüben, die dem:r ein oder anderen gleichfalls frustrierten Leser:in mitunter auch Spaß machen, verbaut Raschke sich und seinem Ratgeber jedoch den Anspruch auf Seriosität.

Ein anderes Beispiel für Raschkes spürbare Verzweiflung sind die vielen rhetorischen Fragen, die er an eine:n Leser:in stellt, die er offenbar für weitaus schlechter informiert und schnell von Begriff zu halten scheint, als angemessen wäre. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Ein oberlehrerhaftes „Na, das hätte man nicht gedacht, wenn man die Schlagzeilen liest?“ wirkt überheblich.  Die ausführliche Erklärung eines wirklich sehr naheliegenden Beispiels (ein schnell fahrendes Auto bricht plötzlich scharf nach rechts aus – wohin sollte man lenken?) ist in seiner Plumpheit schon fast beleidigend.

Doch vielleicht ist gerade diese Art der emotionalen, ja wütenden Darstellung auch einfach eine neue Art, Argumente zu vermitteln. Raschke selbst schreibt: „Faktenchecks gehören deshalb der Vergangenheit an; sie holen nicht mehr ein, was Fake-News an Vorsprung gewinnen, wenn sie einmal losgelassen werden“. Und wenn am Ende eines starken Absatzes über die Sinnlosigkeit einer Kürzung des Bürgergelds nur das Wort „Widerlich“ steht, dann wirkt das wie ein Micdrop. Würden mehr Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte mit einer solchen Finalität und Entschlossenheit menschenverachtende Politik benennen und verurteilen, wäre das für unsere Demokratie ein großer Gewinn.

Darüber hinaus wird insbesonderse in den Kapiteln, in denen Argumente aufgereiht, Fake-News korrigiert und Mythen knallhart widerlegt werden, aber auch etwas anderes klar. Faktenchecks mögen zwar langsamer sein als Fake-News, aber – und man möge das martialische Bild verzeihen – Panzer sind eben auch weniger wendig als Fußsoldaten. Mehr Eindruck schinden sie trotzdem.

Eine wenn auch nicht unbedingt sprachlich überzeugende, so auf jeden Fall aber eine faktenbasierte argumentative Hilfe für Debatten gegen Rechts ist Du hast die Wahl also allemal. Doch schafft es das Buch auch, den selbst gesetzten Anspruch eines „effiziente[n] Wahlhelfer[s]“ zu erfüllen? Man kann sagen: In gewisser Weise schon. Bereits auf den ersten Seiten findet sich eine Wahlempfehlung nach dem Ausschlussprinzip.

Damit zieht Raschke zwar eine klare Grenze nach Rechts und gibt in dieser Hinsicht auch die versprochene Orientierung. Gerade der letzte Satz macht allerdings deutlich, dass diese Dienstleistung aber lediglich denen zuzustehen scheint, die genau wissen, wo der Weg der Demokratie aus ihrer Sicht langführen soll. Menschen, die in Raschkes Worten zum Beispiel „auf die Förderung einer klimaschädlichen Wirtschaft“ setzen, also realpolitisch gedacht vielleicht einfach etwas liberaler denken, als Raschkes Idealleser:in es tut, wird dagegen nahegelegt, einfach das Buch aus der Hand legen zu sollen. Was eigentlich handfeste Hilfe bei einer für Viele nicht einfachen politischen Entscheidung sein will, nimmt damit den leichten Weg und schließt von vornherein genau jene Menschen aus, denen die klaren Worte des Ratgebers (wären sie denn nur etwas weniger trotzig formuliert) tatsächlich mehr Orientierung hätten geben können. Und sollte wirklich jemand das Buch in die Hand nehmen, der dem Narrativ folgt, ‚die Eliten‘ hielten ihn oder sie für dumm, der:die wird es aufgrund des offensiven und polemischen Tons wohl schnell zur Seite legen und sich in seinem Vorurteil bestätigt sehen.

Im letzten Viertel wird der TaschenRaschke übrigens etwas konkreter: „Wer Merz wählt, wählt nicht im Interesse von uns Bürgerinnen und Bürgern, sondern ebnet skrupellosen Konzernbossen ungeniert den Weg ins Kanzleramt.“ Mit dem vorangestellten Vergleich des CDU-Politikers mit Donald Trump (der zum Beispiel in Sachen von Merz’ Sexismus auch mit mehreren Quellen belegt wird) und einem fabelhaft anschaulichen Exkurs zu Merz’ Lobbyismus schließlich ist das Plädoyer für dessen Unwählbarkeit zumindest nicht nur haltlose Empfehlung.

Bemerkenswert interessant und stark sind außerdem die vielen Hintergründe und Einordnungen. Dass zum Beispiel die Hetzkampagne der CDU gegen das sogenannte Heizungsgesetz der Grünen und speziell Robert Habeck ursprünglich dem schwarzen Grund der Christdemokraten entsprossen war, erlangt zwar schon seit einiger Zeit größere Bekanntheit. Doch so klar formuliert wie in diesem kleinen Band hat man es selten gelesen. Raschke nennt Quellen, er zitiert, er strotzt vor Überzeugung und gerechtfertigter Empörung.

Schade ist allerdings, dass in Du hast die Wahl der Unterschied zwischen taktischem Wählen und dem Wählen aus Überzeugung überhaupt nicht thematisiert wird. Dabei ist das Thema durchaus relevant. Wer, wie weiter oben erwähnt, selbst einfachste Metaphern für erklärungsnotwendig hält, von dem kann diese Form der Gründlichkeit durchaus erwartet werden. Mindestens genauso wichtig (weil grundlegend) wie die Frage, was ich wähle, ist die Überlegung, wie ich wähle. Wer guten Gewissens kein Kreuz bei Linken, Grünen, Sozial- oder Christdemokraten, der FDP, AfD oder dem BSW machen kann, aber eben auch keine Kleinstpartei wählen möchte, dem hätte der Taschenratgeber hier zumindest Orientierung darüber liefern können, welche Entscheidung sich wann mehr lohnt.

Du hast die Wahl ist damit eine zwar mitunter argumentativ und rhetorisch drastische, aber auf jeden Fall überzeugende und faktenorientierte Einordnung zu den Irrungen und Wirrungen der aktuellen politischen Lager. Raschke schießt zwar scharf, aber in die richtige Richtung. Der Band ist allerdings insbesondere für jene Menschen ein guter Ratgeber, die ohnehin gegen rechts wählen und sich in ihrer Meinung gerne bestätigt sehen möchten. Den Rest seiner potenziellen Leser:innen vergrault sich das Buch leider selbst.

Titelbild

Marc Raschke: Du hast die Wahl. So fällt die Entscheidung an der Wahlurne leichter.
pinguletta Verlag, Kerlach 2025.
106 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783948063610

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