Teilchen oder Welle – das war die Frage
Der Wissenschaftsjournalist Thomas de Padova zeichnet in seinem neuen Buch ein lebhaftes Bild über die Physik in den 1920er Jahren
Von Manfred Orlick
Vor hundert Jahren wurde unser Denken durch bahnbrechende Forschungen in der Physik revolutioniert. Atomphysik, Quantenmechanik, Relativitätstheorie und Kosmologie krempelten in wenigen Jahren unser Weltbild völlig um. Vor allem in den 1920er Jahren war die Welt der Physik in Aufruhr. Die Physiker machten sich auf den Weg zu den Atomen im Innersten der Welt und erneuerten unser Verständnis von Raum und Zeit. Sie standen vor der Herausforderung, die Natur des Lichts zu verstehen: Ist es eine Welle oder ein Teilchen? Mit ihren zumeist theoretischen Überlegungen sprengten sie die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft.
Der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Thomas de Padova, der selbst Physiker ist, blickt in seiner Neuerscheinung Quantenlicht aus einer besonderen Perspektive zurück auf die Dekade zwischen den beiden Weltkriegen. Alles begann, als Planck mit der Entdeckung der Energiequanten unfreiwillig den Anstoß zum Umsturz der klassischen Physik lieferte und dafür 1918 den Nobelpreis für Physik erhielt. Ein Jahr später wurde Einsteins Berechnung der Lichtablenkung experimentell bestätigt. Seine Vorhersage machte weltweit Schlagzeilen.
Der Autor teilt die Dekade in drei Zeiträume (1919-1922, 1923-1924 und 1925-1929), die die wissenschaftliche Entwicklung der modernen Physik charakterisieren: Licht und Materie, Wellen und Teilchen sowie Quantenlicht und Quantenatom. Es war eine Serie wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Die Protagonisten waren in erster Linie Albert Einstein, Max Planck, Niels Bohr und Werner Heisenberg, die sich nicht im Elfenbeinturm versteckten, sondern in Vorträgen und bei zahlreichen Begegnungen ihre neuen Ideen vorstellten und diskutierten. Doch zunächst waren nicht alle Physiker von der neuen Theorie überzeugt, dass das Licht zugleich wellen- und teilchenförmig ist. Mit immer neuen Ansätzen und Interpretationen wurde um die Deutungshoheit gestritten. Kaum waren erste Fragen geklärt, tauchten neue Probleme auf; manche These erwies sich dabei als kurzlebige Gewissheit. Mitunter wurden die Beteiligten von der Entwicklung der Quantentheorie selbst überrollt. So war die Quantenmechanik für Einstein nicht der Weisheit letzter Schluss, während Max Born, Heisenberg und Bohr sie für vollständig hielten.
Es waren Jahre einer fieberhaften Suche, des Diskutierens, des Verwerfens und immer neuer mathematischer Berechnungen. De Padova schildert detailliert, wie die Quantentheorie – im Unterschied zu Einsteins Relativitätstheorie – ein kollektives Werk war, an dem neben Einstein, Planck, Bohr und Heisenberg auch andere hervorragende Physiker wie Wolfgang Pauli, Erwin Schrödinger, Marie Curie oder Max Born einen wesentlichen Anteil hatten.
Auf den mehrtägigen Solvay-Konferenzen in Brüssel kamen seit 1911 die hervorragendsten Physiker der damaligen Zeit zusammen, um über aktuelle Probleme und Sachverhalte der physikalischen Forschung zu diskutieren. Auf der Solvay-Konferenz 1927 mit der legendären Bohr-Einstein-Debatte tauschte sich die nur 29-köpfige internationale Elite über das Thema „Elektronen und Photonen“ aus. Darunter befanden sich 17 Wissenschaftler, die den Nobelpreis bereits erhalten hatten oder im Laufe der nächsten Jahre noch bekommen sollten.
De Padova schildert chronologisch und anhand vieler anschaulicher Beispiele die weitverzweigte Diskussion um die rätselhafte Doppelnatur des Lichts und den Weg zu den revolutionären neuen Erkenntnissen. Die Dekade der Weimarer Republik war auch von großen gesellschaftlichen Umbrüchen, wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen geprägt; vor diesem historischen Hintergrund schildert der Autor die „wilden Jahre“ der Physik. In seinem Schlusskapitel Licht aus: Nach dem Ende einer Ära gibt er einen kurzen Ausblick auf das weitere Schicksal der vier großen Physiker. Einstein verließ Deutschland in Richtung USA, Niels Bohr floh über Schweden ebenfalls in die USA. Nur Max Planck und Werner Heisenberg blieben in Deutschland. Auch andere Forscherinnen und Forscher gingen während des Nationalismus ins Exil. Ergänzt wird die Neuerscheinung durch eine umfangreiche Bibliografie und einige historische Abbildungen.
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