Wenn Tamagotchi mit R. Daneel Olivaw debattiert
In „Gefühle der Zukunft“ untersucht Eva Weber-Guskar, wie künstliche Intelligenz eine hyperinteraktive Welt bedient, in der überall Gefühle lauern
Von Silvio Barta
Künstliche Intelligenzen faszinieren uns seit Langem und haben in Literatur, Film und Popkultur stets eine besondere Rolle gespielt. Ein frühes Beispiel hierfür ist das Tamagotchi, jenes elektronische Haustier aus Japan, das in den 2000ern einen wahren Hype auslöste: Es verlangte kontinuierliche Aufmerksamkeit, musste gefüttert, unterhalten und gepflegt werden, sodass sich eine erstaunlich emotionale Bindung zwischen Mensch und Maschine aufbauen konnte. In dieser scheinbar simplen Interaktion spiegelte sich bereits eine rudimentäre Form digitaler Fürsorge und künstlicher Präsenz wider, die unseren Alltag unterhaltsam, aber auch fordernd bereicherte.
Im deutlichen Kontrast dazu steht Maria, der Maschinenmensch aus Fritz Langs Metropolis. Als künstliche Figur wirkte sie in einer futuristischen Gesellschaft wie ein Katalysator und entfesselte zentrale gesellschaftliche und emotionale Dynamiken. Ihre „Menschlichkeit“ löste bei den Betrachter:innen eine Mischung aus Faszination und Unbehagen aus, weil sie einerseits die Perfektion eines maschinellen Wesens verkörperte und andererseits die zerbrechliche Natur der menschlichen Seele offenlegte.
Noch weitreichender ist R. Daneel Olivaw, jener visionäre Roboter aus Isaac Asimovs Erzählungen, der mit seinen Handlungen über Jahrtausende hinweg das Schicksal der gesamten Menschheit beeinflusst. Durch seine strikt rationalen Entscheidungen sowie die Einhaltung Asimovs Robotergesetze gewinnt er nicht nur das Vertrauen seiner menschlichen Weggefährten, sondern initiiert auch eine auf Dauer angelegte, tiefgreifende Beziehung zwischen Mensch und Maschine. In diesem Spannungsfeld offenbaren sich nicht nur die Möglichkeiten einer erweiterten Intelligenz, sondern auch die Grenzen unseres Verständnisses von Autonomie, Verantwortung und Empathie.
Versuchungen, menschlich zu bleiben
Eva Weber-Guskar untersucht in ihrem Buch Gefühle der Zukunft, wie die künstliche Intelligenz unsere emotionale Welt verändern. Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz stellt uns vor die Herausforderung, in einer Umgebung voller digitaler Resonanz neue Formen von Empathie, Identität und menschlicher Nähe zu entwickeln. Gleich zu Beginn betont sie, dass neuartige Phänomene zunächst sorgfältig beschrieben und verstanden werden müssen, bevor man ihre möglichen Folgen beurteilt.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil analysiert Weber-Guskar, wie wir KI zur Selbstreflexion unserer Gefühle nutzen können – kommt jedoch zu dem Schluss, dass aktuelle KI-Systeme meist weit hinter ihren Versprechungen zurückbleiben. Statt ausführlich auf den Forschungsstand zur emotionalen Interaktion zwischen Mensch und Maschine einzugehen, greift sie häufig auf anekdotische Evidenz zurück. Ihre Perspektive bleibt dadurch eingeengt: Der Diskurs fokussiert sich vor allem auf jene gesellschaftliche Gruppe, die KI im Kontext von Selbstoptimierung, Nachhaltigkeit und individueller Lebensgestaltung nutzt.
Im zweiten Teil geht es um die Fähigkeit der Systeme, unsere Emotionen zu erkennen und für bestimmte Zwecke zu nutzen. Weber-Guskar führt an, dass heutige KIs ihre Versprechen nicht einlösen könnten und Menschen ohnehin zu komplex für eine präzise Analyse seien. Allerdings könnte man hier von einer Übergangsphase ausgehen, in der sich die Fähigkeit, menschliche Emotionen zu erfassen, mit jedem Fortschritt im Deep Learning weiterentwickelt. Dabei kommt es weniger darauf an, ob die künstliche Intelligenz jede Form von beispielsweise Neugier zweifelsfrei als solche erkennt, sondern vielmehr darauf, im richtigen Moment – etwa beim Erkennen einer bestimmten Gefühlslage – passende Werbung einzublenden.
Weber-Guskar argumentiert außerdem, die künstliche Intelligenz scheitert an psychologischen Modellen, weil diese unvollständig seien und sich „austricksen“ ließen. Zugleich räumt sie ein, dass wir diese Modelle selbst konzipiert haben und sie somit von Natur aus unvollkommen sind. Allerdings folgt KI keinem starren Modell, sondern arbeitet statistisch und kann durch große Datenmengen immer genauere Vorhersagen treffen. Diese Differenzierung, dass KI sich eher auf Datenmuster als auf festgelegte Theorien stützt, bleibt im Buch insgesamt unterrepräsentiert.
Simulation: Die Oberfläche als eigentliche Substanz
Im dritten Teil ihres Buches betrachtet Weber-Guskar KI-Beziehungen, wie sie etwa im Film Her dargestellt werden, in erster Linie als parasoziale oder fiktive Phänomene. Damit verkennt sie jedoch die Radikalität des hyperrealen Zeitalters, wie es Jean Baudrillard beschrieben hat: Wenn Realität und Simulation ununterscheidbar werden, spielt es keine Rolle mehr, ob die künstliche Intelligenz tatsächlich „fühlt“, solange sie Emotionen überzeugend simulieren und damit funktional agieren kann.
Weber-Guskar reduziert diese Problematik auf die Warnung, wir könnten „zu emotionalen Krüppeln“ verkommen, wenn wir uns auf solche Interaktionen einlassen. Was in ihren Ausführungen zu kurz kommt, ist die phänomenologische Ebene: KI-Interaktionen müssen genau dort analysiert werden, wo Fehler – etwa die Verwechslung von Wut und Enttäuschung – durch kontinuierliches Lernen immer weiter minimiert werden. Damit entsteht eine zunehmend realitätsnahe Kommunikation, in der wir uns mit einer scheinbar empfindenden Entität austauschen. Wer in einer stabilen menschlichen Beziehung lebt, mag dies als sinnentleert oder moralisch bedenklich empfinden; dieser Blickwinkel ist jedoch stark normativ geprägt und unterschätzt den Einfluss perfekt simulierter Emotionen auf unsere Wahrnehmung.
Die große Leerstelle der Verzichtsfrage
Im vierten Teil beschäftigt sich Eva Weber-Guskar mit der Frage, ob Künstliche Intelligenz echte Gefühle erleben kann oder lediglich funktionale Reaktionen zeigt. Sie untersucht, inwiefern Computermodelle von Emotionen sinnvoll eingesetzt werden könnten, beispielsweise in der Mensch-Maschine-Interaktion. Zudem reflektiert sie über die ethische Verantwortung, die mit der Entwicklung fühlender Maschinen verbunden wäre.
Möglicherweise ist es nicht besonders zielführend, einem Thema, das sich alle paar Monate grundlegend neuerfindet, eine derart umfangreiche philosophische Einordnung zu unterziehen. Für diejenigen, die sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz und affektivem Computing beschäftigen, bietet Gefühle der Zukunft einige interessante Perspektiven, bleibt jedoch in wichtigen Punkten selektiv. Weber-Guskar analysiert das Phänomen mit philosophischer Präzision, neigt jedoch häufig zu einer normativen statt neutralen Sicht. Ihre Warnungen sind berechtigt, doch sie bleibt eine Antwort auf die entscheidende Frage schuldig:
Wenn KIs gerade dabei sind, die Produktivität unserer Wissenschaften und unserer Wirtschaft explosionsartig zu steigern – und damit letztlich auch die Grundlagen unserer Gesellschaft zu verändern –, wer wird dann darauf verzichten wollen?
Gefühle der Zukunft gibt darauf keine Antwort. Vielleicht, weil es sie nicht gibt.
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