Sein Leben lesen
Peter Kurzecks „Frankfurt Paris Frankfurt“ zeigt das Bemühen des Autors, alles aufschreiben zu wollen – ja, zu müssen
Von Werner Jung
Aufopferungsvoll widmet sich der ehemalige Lektor von Peter Kurzeck, Rudi Deuble, dem Werk und Nachlass des Schriftstellers. Mit Frankfurt Paris Frankfurt liegt der inzwischen vierte Band aus dem Nachlass des 2013 verstorbenen Autors vor. Dieses Buch, so stellt es Kurzecks vor dem Tod aufgezeichneter Plan vor, war von ihm als zehnter Band einer auf zwölf Bände angelegten Chronik mit dem Titel Das alte Jahrhundert vorgesehen. „Im Unterschied zu den bisher aus dem Nachlass erschienenen Büchern ist das ‚Parisbuch‘, so nannte es Peter Kurzeck in Gesprächen, kein Fragment, sondern ein abgeschlossener Roman in 24 Kapiteln, dessen maschinenschriftliche Reinschrift die Vorlage zu diesem Buch ist.“
In Vor- und Rückgriffen erzählt Kurzeck in seinem autofiktionalen Roman – Autofiktion darf als grundsätzliches Charakteristikum all seiner Prosatexte angesehen werden – von Reisen und Kurztrips nach Paris und anderen französischen Städten, wo sich der Freund Jürgen nach seiner Trennung von seiner Partnerin aufhält. Hinsichtlich der Zeitleiste spricht Kurzeck selbst im Plan zum alten Jahrhundert von 2007 bzw. (überarbeitet) 2010 davon, dass im Roman der Mai 1984 im Vordergrund steht: „Rückblende: Die Reise nach Paris. Der Unfall. In Paris mit Jürgen 1977. Der dt. Herbst.“
Damit sind einige Rahmendaten gesetzt, wobei – eindringlicher als in anderen Büchern Kurzecks, wiewohl immer nur am Rande spielend – konkrete Zeitereignisse wie der Herbst 1977 mit der Terroristenhatz samt einem vergifteten innenpolitischen Klima, mit Gesetzesverschärfungen und einer geradezu ubiquitären Überwachungsmaschinerie (wie sie auch der Nobelpreisträger Heinrich Böll in Prosatexten wie auch Essays angeprangert hat) in den Text eingesponnen werden. So werden die Entführung (und schließlich Ermordung) des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Schleyer durch die RAF mehrfach erwähnt, außerdem Polizeimaßnahmen und Terroristenprozesse; Kurzeck spricht davon, dass sie das geschickt hingekriegt haben in Deutschland, „daß sie sich immerfort ein- und das Leben aussperren.“ Demgegenüber erscheinen dann das libertäre Frankreich, die nicht nur in Paris spürbare Freiheit und Freizügigkeit, eine – auch unter drängenden ökonomischen Zwängen – Leichtigkeit des Seins als Gegenmodell.
Immer wieder aber – und das bildet den Generalbass der Kurzeckschen Prosa – scheint das Bemühen des Schriftstellers durch, alles aufschreiben zu wollen, Raum und Zeit, ja, zu müssen: „Sitzen und schreiben.“ Jeder Tag, ruft er sich zu, „wird dir überm Weg in deinem Kopf zu einem Buch.“ Wenige Zeilen später: „Wieviele Leben auch würde es brauchen, nur jeden Schritt Weg noch einmal und dabei auf Schritt und Tritt wiederfinden die Zeit und deine und alle Gedanken, wie sie da liegen. Soll nichts je verloren und um deine Füße das welke Laub – wessen fixe Idee mag das sein?“ Schließlich der grundsätzliche poetologische Vorsatz Kurzecks, wieder und wieder so oder ganz ähnlich formuliert, an dieser Stelle in eine kleine Fußnote verbannt: „In weiter Ferne an fremden Fenstern siehst du dich sitzen, hast Bibliotheken gelesen und liest jetzt dein Leben.“
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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