Der Tod kommt selten allein

In Susann Pásztors Roman „Von hier aus weiter“ bringt er Fragen, Wut und einen Klempner mit

Von Paula BurmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paula Burmeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrem Roman Von hier aus weiter erzählt Susann Pásztor die Geschichte von Marlene, die mit einem Gefühlschaos aus Trauer, Wut und Orientierungslosigkeit konfrontiert wird. Nach dreißig Jahren Ehe hat ihr Mann Rolf, der an Krebs erkrankt war, seinem Leben ein Ende gesetzt, ohne sich an den gemeinsamen Plan zu halten, auch sie mit auf diese letzte Reise zu nehmen. 

Zurück bleibt eine Frau, die nicht nur trauert, sondern sich vor allem betrogen fühlt – um ihren Abschied, um ihre Würde und um die Entscheidung über ihr eigenes Lebensende. Während sich Marlene in ihrem großen, leeren Haus verschanzt, Beruhigungsmittel und Alkohol zu ihren täglichen Begleitern macht und verschiedene Szenarien für den eigenen Suizid durchspielt, dringt das Leben auf absurde Weise immer wieder zu ihr durch.

Von hier aus weiter, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, erzählt auf 256 Seiten von dieser eigenwilligen, oft makabren Gratwanderung zwischen Verzweiflung und dem Drang, weiterzumachen. Dabei lässt Pásztor auch eigene Erfahrungen in ihren Roman einfließen, denn sie arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin. So zeichnet sie mit Gespür für die Widersprüchlichkeit menschlicher Gefühle und tragikomischer Momente das Porträt einer pensionierten Lehrerin der Gegenwart, die nicht mehr leben will – und gerade deshalb weiterleben muss: 

Nichts brauche man beim Älterwerden dringender als einen guten Humor, hatte Rolf immer gesagt, aber das war vor seiner Krebsdiagnose gewesen, danach waren ihm die Kalendersprüche ausgegangen. Jetzt war es an Marlene, neue Weisheiten zu erfinden, vielleicht: Nichts brauche man beim Sterben dringender als die richtige Dosis oder das richtige Seil, denn inzwischen wusste sie, dass laut Statistik die meisten Selbstmörder noch immer den Tod durch Erhängen oder Strangulieren bevorzugten, eine Methode, die sie für altmodisch und überholt gehalten hatte.

Die Geschichte wird chronologisch aus Marlenes Perspektive erzählt und durch Erinnerungen ergänzt, die nach und nach Einblick in ihre Vergangenheit und Gefühlswelt geben. Ihr großes, leeres Haus dient als Symbol für ihre Einsamkeit, die trotz finanzieller Sicherheit und einem traditionell bürgerlichen Lebensstil allgegenwärtig ist. Marlene selbst betont, dass sie nie ein Familienmensch war. Als sie Rolf kennenlernte, waren seine Söhne bereits erwachsen und selbstständig, weshalb enge familiäre Bindungen für sie eine untergeordnete Rolle spielten.

Eine plötzliche Wende in Marlenes Leben tritt ein, als Jack, ihr ehemaliger Grundschüler – Marlene bezeichnet sich selbst als Jacks „suizidale Grundschullehrerin“ –, auftaucht und vorübergehend bei ihr einzieht. Dass die beiden so rasch eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft bilden, mag etwas überstürzt und wenig nachvollziehbar wirken, trägt jedoch maßgeblich dazu bei, Bewegung in Marlenes festgefahrenes Leben zu bringen. Gemeinsam mit Isa, die Rolfs Arztpraxis übernommen hat und sich seit seinem Tod um Marlene sorgt, machen sie sich schließlich auf den Weg von Norddeutschland über Dresden nach Wien, um Rolfs Abschiedsbrief zu erhalten. Zwischen Isa und Jack entwickelt sich dabei eine zarte Beziehung, die jedoch nur am Rande eine Rolle spielt.

Mit trockenem, bisweilen makabrem Humor schildert Pásztor Marlenes Alltag, in dem sich der Wunsch zu sterben mit grotesken Missgeschicken mischt: eine Trauerfeier, bei der Marlene unter der Toilettentür hervorkriechen muss, ein Haarbüschel, das sie verfolgt, oder die plötzlich auftauchende Baustelle vor ihrem Haus, die ihren Suizidversuch mit dem Auto verhindert.

Einige merkwürdige Elemente, wie Marlenes Lieblingslied, das als Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen wird, oder ein Strauß Rosen, der plötzlich auf dem Tisch steht, wirken weniger spannend als irritierend. Während Jack die Ereignisse als übernatürlich empfindet, scheint Marlene sie nicht weiter zu hinterfragen, was ihre Gleichgültigkeit widerspiegelt oder Fragen über ihren Geisteszustand aufwirft. Da Marlene sich nicht weiter mit den merkwürdigen Vorfällen beschäftigt, bleibt auch der Leser im Unklaren. Dies wirft die Frage auf, ob diese Ereignisse Inkongruenzen sind, die ihre innere Zerrissenheit widerspiegeln, oder ob sie absichtlich unerklärt bleiben, um das Gefühl der Verwirrung zu verstärken. Diese ungelösten Elemente tragen kaum zur Handlung bei und hinterlassen ein Gefühl der Unzufriedenheit, da sie das Potenzial für eine tiefere Auseinandersetzung mit Marlenes Geisteszustand nicht vollständig ausschöpfen.

Trotz dieser Unklarheit überzeugt Von hier aus weiter von Susann Pásztor mit viel Feingefühl, einer Prise Skurrilität und einem realistischen, aber auch hoffnungsvollen Blick auf den Umgang mit Verlust. Der Roman wirft die Frage auf, ob der Tod der einzige Ausweg ist – oder ob es nicht vielmehr darum geht, die Trauer endlich zuzulassen; er ist ein Plädoyer dafür, dass das Leben weitergeht, auch wenn es sich erst neu erfinden muss.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Susann Pásztor: Von hier aus weiter. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025.
256 Seiten, 24 EUR.
ISBN-13: 9783462005684

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