Die Geschichte des Buchhandels in der DDR ist abgeschlossen
In nur drei Jahren erscheinen alle drei Bände – eine Meisterleistung von Autoren und Herausgebern
Von Günther Fetzer
Seit 2001 erscheint nach langen Vorbereitungen der erste Band des Riesenwerks Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, das im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels von dessen Historischer Kommission herausgegeben wird. Nun ist in rekordverdächtiger Zeit Band 5 über die DDR erschienen. 2022 und 2023 kamen die beiden ersten Teile der DDR-Buchhandelsgeschichte heraus, ein Jahr später liegt das Werk mit seinen mehr als 2000 Seiten nun komplett vor.
Die Bände zur Buchhandelsgeschichte der DDR wurden von Christoph Links, Siegfried Lokatis, Klaus G. Saur und Thomas Keiderling in Zusammenarbeit mit Carsten Wurm herausgegeben. Links, Lokatis, Keiderling und Wurm sind ausgewiesene Kenner der DDR-Buchhandelslandschaft. Links hat das Standardwerk Das Schicksal der DDR-Verlage (2009) vorgelegt, Lokatis zahlreiche wissenschaftliche Beiträge vor allem zu Themen wie Zensur veröffentlicht, Keiderling sich mit etlichen Publikationen zur Leipziger Buch- und Unternehmensgeschichte profiliert, und Wurm hat sich mit Arbeiten zum Aufbau Verlag und Rütten & Loening ausgewiesen.
Der erste Teil der DDR-Buchhandelsgeschichte beschreibt in Großkapiteln die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Viersektorenstadt Berlin, die Literatur- und Autorenpolitik, die Institutionen des Literaturbetriebs sowie die Berufsorganisation und umfasst zudem die Einzeldarstellungen zu den Belletristikverlagen sowie zum Taschenbuch. Im zweiten sind in Großkapiteln die Kinder- und Jugendbuchverlage, der Schulbuchverlag Volk und Wissen, die Kunst- und Theaterverlage, die Musikverlage, die Fach- und Sachbuchverlage, die Wissenschaftsverlage, die Verlage von Parteien und Organisationen sowie die Kirchenverlage Gegenstand der Darstellung.
Zum dritten und letzten Teil haben insgesamt 18 Autorinnen und Autoren beigetragen. Hier wird eingangs die Beschreibung der Verlagslandschaft aus dem vorangehenden zweiten Teil mit den nichtlizenzierten Verlage abgerundet. Daran schließen sich zehn mehr oder weniger umfangreiche Kapitel an, die hier nicht alle aufgezählt werden können. Eindeutiger Schwerpunkt sind die von mehreren Autoren verfassten Beiträge über das Vertriebssystem in der DDR, das vom Zwischenbuchhandel und Volksbuchhandel – der dem Sortimentsbuchhandel im Westen entsprach – über den konfessionellen Buchhandel und die Buchgemeinschaften bis zum Postzeitungsvertrieb reicht. Kapitel über die Zeitschriften, die Buchherstellung, die Buchkunst, über Bibliotheken und Leser sowie über die Buchmesse Leipzig vervollständigen das Bild. Besonders erwähnenswert ist die umfassende Buchmarktstatistik. Sie bietet unter anderem Daten zur Produktion zwischen 1949 und 1988, zur Umsatzentwicklung und zum Buchkauf.
Liest man das letzte Kapitel – Das Ende der DDR-Buchlandschaft von Christoph Links – sozusagen gegen den Strich, dann hat man die Bilanz der DDR-Buchhandelsgeschichte in nuce, ihre Gewinne, ihre Verluste. Der Forderungskatalog des Verlegerausschusses des DDR-Börsenvereins vom 22. November 1989 zeigt, was in der DDR gefehlt hatte: „geistige und finanzielle Souveränität der Verlage, vollständige Abschaffung der Druckgenehmigungspraxis, Ausrichtung der Buchproduktion an den Leserinteressen der Bevölkerung, Überwindung des Außenhandelsmonopols bei der Firma Buchexport, Offenlegung der Eigentumsverhältnisse aller Betrieb, Zulassung von Verlags- und Buchhandelsneugründungen, Umgestaltung des Börsenvereins in einen Unternehmensverband“ (S. 572). Was die DDR-Verlage zu bieten hatten, war eine „verwertbare Substanz […] sowohl im Bereich der Fachbücher und wissenschaftlicher Werke als auch bei gründlich edierten Klassiker-Ausgaben und Übersetzungen aus zahlreichen Sprachen“. Doch da sie „mehrheitlich einen zu hohen Personalbestand hatten, dagegen aber nur über eine dünne Kapitaldecke und so gut wie keine Marketingerfahrungen verfügten“ (S. 575), konnten nur wenige Verlage den Transformationsprozess im Gefolge der deutschen Einheit überleben.
Natürlich gibt es bei einer derart großen Zahl von Mitarbeitern qualitative und stilistische Unterschiede bei den Texten, doch die gut lesbare Wissenschaftsprosa ohne Methodenschwurbelei vermittelt eine Fülle von Details, darunter viele Befunde aus bislang nicht zugänglichem Archivmaterial. Hervorzuheben sind die zahlreichen Abbildungen und Tabellen. Viele der zeitgenössischen Fotos waren bislang unbekannt. Hervorzuheben ist auch das Register der erwähnten Personen, Verlage, verbreitenden Buchhandlungen, Druckereien und Buchinstitutionen sowie das hilfreiche Abkürzungsverzeichnis.
Endlich liegt jetzt der kompetente Überblick über die Buchhandelsgeschichte der DDR in Gänze vor – eine unumgängliche und unüberholbare Grundlage für weitere Forschungen.
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Letzte Änderung: 03.04.2025 - 23:45:44
Erschienen am: 03.04.2025
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