Poetische Erinnerungsfragmente
Wulf Kirstens "Prinzessinnen im Krautgarten"
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Mein Vater war Steinmetz, mein Großvater Tischler. In diesen Berufen ist Millimetergenauigkeit gefragt. Ich habe versucht, diese Präzision als Wortarbeiter umzusetzen", erklärte der 66jährige Autor Wulf Kirsten kürzlich in einem Interview. Vor allem als Lyriker hat der gebürtige Sachse, der heute in Weimar lebt, in seinen Bänden "Stimmenschotter" und "Die Erde bei Meißen" diesen sprachlichen Feinschliff an den Tag gelegt.
In vielen Passagen tauchen Beobachtungen auf, die man aus Kirstens Lyrikband "Die Erde bei Meißen" bereits zu kennen glaubt. Der Rückblick auf das Kleinod des sächsischen Dorfs Klipphausen (nahe der Kreisstadt Meißen gelegen) lebt vor allem von den Beobachtungen in einer trotz des Krieges weitgehend intakten ländlichen Gemeinschaft. Auch als Erzähler kann Kirsten den Lyriker nicht verschweigen. Marginale Eindrücke, belanglose Momentaufnahmen werden bei ihm zur großen Poesie.
Er berichtet von seinem Außenseitertum, das durch seine Unsportlichkeit und seine von der Mutter geerbte Leselust begründet ist. Im Rückblick empfindet Kirsten dies nicht mehr als Makel, sondern er legt dem Leser den Schluss nahe, dass sein häufiges Alleinsein seine Sinne, vor allem seine Beobachtungsgabe geschärft haben könnte.
In der Schule herrscht die rigide Strenge der Nationalsozialisten; in den Familien geht es hingegen eher beschaulich zu; es wird in Gegenwart der Kinder lediglich getuschelt. Und wenn der junge Kirsten dann von einem "auf dem Rückzug gefallenen Dörfler" hört, kann er sich darunter nur wenig vorstellen. Es gab eine Zeit, räumt Kirsten ein - es klingt heute beinahe zynisch -, da ich dachte, "Krieg sei eine Art Wettlauf".
Die gravierenden Veränderungen im Leben vollziehen sich erst nach Kriegsende - durch Enteignungen der Bauern und des nahen Rittergutes. Dort lebten zwei alte adlige Frauen, die für den Knaben einst als Sinnbild ländlichen Lebens galten, als seine "Prinzessinnen im Krautgarten".
Alles wird plötzlich anders, und für den jungen Kirsten ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass der "schlimmste Fähnleinführer" später Ausbilder bei der Volkspolizei wird.
Gedankensplitter und Erinnerungsfetzen werden kurz angerissen und ausgeleuchtet, ähnlich wie im 1989 erschienenen Erinnerungsband "Still wie die Nacht" des gleichaltrigen Manfred Bieler. So entsteht zwar keine in sich geschlossene Erzählwelt, aber das fragmentarische Element dieser Texte bewahrt den präsentierten Ausschnitten aus der Kindheit ihre Ursprünglichkeit. Kirstens poetische Sprache macht diese in elf Kapiteln gegliederten Kindheitserinnerungen zu einer wahren Lesefreude.
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