Das Buch zum untergegangenen Leitmedium Fernsehen
Andreas Maier zeigt in „Der Teufel“ wie Dämonisierung funktioniert
Von Martina Wagner-Egelhaaf
Wer die bisherigen neun Bände von Andreas Maiers 2010 einsetzender autofiktionaler Romanserie Ortsumgehung gelesen hat, durfte gespannt sein auf Band 10 mit dem Titel Der Teufel. Mit großer Konsequenz hat Maier bislang sein elfbändiges Projekt umgesetzt, das von der Kindheit und der Jugend des Ich-Erzählers berichtet und das, so die Ankündigung des Autors, mit Band 11 beim lieben Gott enden soll. Erzählt wird nicht nur die Geschichte einer Familie im hessischen Friedberg, erzählt wird zugleich ein Stück bundesdeutscher Geschichte, in dem die eigene Sozialisationsgeschichte lesen kann, wer in etwa der Generation des Autors angehört. Komik und Witz gehen einher mit einem kritischen Blick auf Nichtbesprochenes und Tabuisiertes, auf Schuldzusammenhänge der deutschen Geschichte, die in familiäre Kommunikations- und Sozialformen hineinwirken.
Der Teufel, titelgebender Bezugspunkt von Band 10 der Ortsumgehung, ist die nicht eindeutig zu identifizierende Figur auf einer Bildtafel, die dem jugendlichen Ich-Erzähler beim Besuch der Friedberger Stadtkirche von einer Frau mit Pagenschnitt, die den Fünfzehnjährigen bezeichnenderweise „aus der Buchhandlung“ kennt, gezeigt wird, eine Figur, der eine Hand, die ebenfalls nicht klar bestimmbar ist – ist es eine menschliche Hand oder Gottes Hand? – offensichtlich Einhalt gebietet. Jahre später, als die Bildtafeln restauriert werden, erhärtet sich der Teufelsbefund nicht und wird vom mit der Restaurierung befassten Kunsthistoriker eher als heiliger Sebastian identifiziert: „Der Teufel wurde meiner Kenntnis nach nie auf diesen Tafeln in Friedberg dargestellt“ . Nichts Genaues weiß man freilich nicht, und so wird der Friedberger Teufel zu einer epistemischen Position, die mit ihrem Gegenpart, dem lieben Gott, die ganze Erzählung rahmt, denn: „Der Teufel und der liebe Gott sehen zu, wie die Familie ins neue Haus zieht“, und am Ende steht die Frage, was der Teufel und der liebe Gott „damals über mich, was über uns ausgewürfelt“ haben. Es geht um ,gut‘ und ,böse‘, darum, wie die Welt dem Kind und dem Heranwachsenden als in die Guten, die im sog. Westen lebten, und die Bösen, die im Osten, eingeteilt erschien und man natürlich selber auf der Seite der Guten stand. Die Medien, insbesondere das Fernsehen, das bereits im Krankenzimmer des Kindes den „Blauen Bock“ ausstrahlte und später mit der Tagesschau die Welt sortierte, werden als Wahrheitsmodellierer gezeigt, die Informationen so lange bearbeiten, bis sie in das duale Schema des Entweder – Oder passen. Der Einmarsch der USA nach Panama, der Irak-Krieg und die Dämonisierung Saddam Husseins, aber auch die für das deutsche Fernsehpublikum zunächst völlig unübersichtlichen Fronten im Jugoslawienkrieg bringen das auf den Pfeilern von gut und böse aufgebaute Weltbild ins Wanken – so wie auch völlig unklar ist, ob der Teufel auf der Bildtafel in der Friedberger Stadtkirche nicht doch ein Heiliger ist und man sich letztlich auch der eigenen Position nicht mehr sicher sein kann. Eine Traumszene, in der der Ich-Erzähler einen Mord begeht und das Opfer unter dem elterlichen Rosenbeet entsorgt, ist hier mehr als symbolisch.
Erscheint die Botschaft der medialen Vereindeutigung und deren Kritik vielleicht allzu didaktisch, ist es doch einmal mehr die Raumerfahrung, die der gleichfalls ambigen Raummetaphorik der Ortsumgehung im Sinne eines Abschreitens, aber auch der Vermeidung eine weitere Dimension hinzufügt. Ausgehend von Das Zimmer (Band 1) – gemeint ist das Zimmer des in allen Bänden wiederkehrenden Onkel J., der in seiner Beeinträchtigung „mit einem Fuß im Paradies geblieben ist“ (Das Zimmer, 11) und der in Der Teufel als „die einzige wahre Person im Raum“ (216) beschrieben wird – über Das Haus (2011), Die Straße (2013) , Der Ort (2015), Der Kreis (2016) etc. zieht die Ortsumgehung immer größere Kreise, die nun in Band 10 den unübersichtlichen und unwahren Medienräumen ein architektonisches Raumerlebnis des Fünfzehnjährigen in der Friedberger Stadtkirche gegenüber stellen:
Es war eine Decke, ein Dach, die Unterseite eines solchem, aber obgleich es abdeckte, wuchs es doch nach oben und irgendwie himmelwärts.
[…]
Schon der seltsame Schummer, der einen umflorte, wenn man durch das Westwerk eingetreten war: So weiträumig verteiltes und überall verschwindendes Licht in einem so großen Raum mit so zahlreichen Fenstern! Ich schaute unwillkürlich nach oben, weil meine Augen dorthin gezogen wurden. Alles zog sie nach oben. Was war das? – daß etwas deinen Blick nach oben zieht? – Magie?
Mehr als in den früheren Bänden rücken die Referenzen auf das eigene Schreibprojekt in den Vordergrund. Der Zeitpunkt des Schreibens an Der Teufel wird mit der baldigen Fertigstellung der Umgehungsstraße, dem zentralen Motiv der Ortsumgehung,in Verbindung gebracht (98), die Zeichenzahl des „vorliegende[n] Text[s|“ mit einem Siebtel der Toten im Irak-Krieg verrechnet, die Buchstaben und Satzzeichen der ersten acht Bände Ortsumgehung entsprechen der Zahl der im Irak aufmarschierten Soldaten auf beiden Seiten der Front. So zeichnet sich allmählich die Poetik dieses ,wahnsinnigen‘ Projekts ab, die im Medium der Schrift Raum und Zeit verschränkt. Wie die Bände der Ortsumgehung zwischen den Zeiten und den Räumen springen und sie auf diese Weise verbinden, macht sich eine Raum und Zeit überwölbende „Ewigkeitsanmutung“ geltend, die gerade in der Verräumlichung der Zeit und der Verzeitlichung des Raums zum Motiv wird.
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