Gotham City, literarisch

Eine Anthologie deutschsprachiger Texte aus New York

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte die Bleecker Street zu den vornehmen Wohnvierteln New Yorks, artig säumten Bäume den Straßenrand, Pferdekutschen zogen an den Villen vorbei, wagenradbehütete Damen flanierten die Gehwege hinab. Heute "ragen, zwischen Bleecker Street und Houston Street, drei Hochhäuser, 30 Stockwerke hoch, 'Silvertowers' genannt, in den Himmel. In einem von ihnen mit der Hausnummer 100 liegt, im 7. Stockwerk, eine Wohnung, in der seit 1981 jedes Jahr für etwa zwei Monate zwei deutsche oder österreichische Schriftsteller wohnen." Die literarischen Früchte dieser Aufenthalte sind in der Anthologie "Signale aus der Bleecker Street" versammelt; und einer der Herausgeber, Bernd Hüppauf, legt in seinem erhellenden einleitenden Essay den soziohistorischen Rahmen fest für die Gedichte, Tagebuchauszüge und Kurzprosa der 18 deutschsprachigen Gegenwartsautoren.

Gemeinsam ist Schriftstellern wie Hans Joachim Schädlich, Anne Duden, Josef Haslinger, Hans Christoph Buch, Robert Menasse, Durs Grünbein und Uwe Timm, dass sie - ausgestattet mit einem Stipendium des Darmstädter Deutschen Literaturfonds - als writers-in-residence an der New York University Lesungen und Vorträge gehalten haben. Ihre literarischen Reaktionen auf "Gotham", wie Washington Irving die Stadt Anfang des 19. Jahrhunderts nannte: Faszination, Spott, Abstoßung, Ratlosigkeit. Schon am ersten Tag seines Aufenthalts wird Hans Christoph Buch von Lärm, Schmutz und Gestank vereinnahmt: "Kurz vor Mitternacht. Mein erster Tag in New York geht zu Ende. Ich sitze, nein liege in Unterhosen auf einem schäbigen Sofa in einem schäbigen Apartment, einem sogenannten Künstler- oder Schriftstelleratelier, in dem der Putz von der Decke rieselt, der Teppichboden vollgesogen mit dem Fußschweiß, der Zigarettenasche und dem Sperma meiner Vorgänger, inmitten dieser immer schäbiger werdenden, an Schäbigkeit kaum noch zu überbietenden Stadt, in der jeder Schritt, jede Bewegung dem Besucher den Schweiß aus den Poren treibt, umbrandet vom an- und abschwellenden Lärm der Automobile, der nur zwischen vier und sechs Uhr früh vorübergehend verebbt, um dann ab sieben um so lauter aufzudröhnen, dabei ist die Stadt für Autos, nein für den privaten Autoverkehr gesperrt, auf Falschparken steht die Todesstrafe."

Viele der Textbeispiele haben einen stark autobiographischen Einschlag, als ob den Autoren die fiktionalen Strategien, alle Mitttel der Distanzierung von diesem überwältigenden Moloch abhanden gekommen sind. Eine Ausnahme ist der Kölner Jochen Kelter, der von der moralischen Gleichgültigkeit, dem hektischen Optimismus und der show-reifen Oberflächlichkeit der New Yorker zu einem "Mißlingenden Versuch über die Wirklichkeit" - hämischer Titel: "Mein Alemannien" - inspiriert wird. Oder Gerd Fuchs, der in "Slowhand" geschickt eine Zeitungsmeldung verarbeitet, über Daisy, früher "jung und fröhlich, hübsch und fett", jetzt nur noch fett, die sich per Internet ihren Mörder sucht, um sich aus ihrem lieblosen Leben zu befreien.

Die Konfrontation mit New York als Verkörperung des American way of life löst auch Rückbesinnungen auf die Alte Welt aus, ihre scheinbar stabilen Regeln, ungeschriebenen Gesetze und ihre Hoffnungen auf die schöne neue Welt auf der anderen Seite des Atlantiks. Diese Kreisbewegung vollzieht der "Manhatten Monolog" von Durs Grünbein: "Immer wenn ich das Museum verließ, durch den unteren Ausgang direkt zum subway [...], kam mir wieder die raumtiefe Kühle dieser phantastischen Stadt entgegen, etwas von weither, ein atmosphärisches Echo Europas, das seine unerfüllten Wünsche so lange in diese Richtung gesandt hatte. Erst später bemerkte ich, dass auch die Neue Welt älter geworden war." Und Ludwig Fels kehrt in seinem "Amerikagedicht", das die Anthologie beschließt, trotzig zu sich selbst zurück: "Ob New York die Stadt der Städte ist, ich / weiß es nicht, auch Wien oder Istanbul / sind im Winter kaputt und voller Poesie / krank, alt, schmutzig. Machen wir uns nichts vor: Verklärungen / sind abhängig vom Betrunkenheitsgrad der Nacht. // [...] New York / ist es scheißegal, ob ich ein Gedicht schreibe / mir auch. Auch Amerika braucht mein Gedicht nicht / nicht dieses und kein besseres. Ich / bin ich."

Titelbild

Bernd Hüppauf / Rolf M. Bäumer: Signale aus der Bleeker Street.
Wallstein Verlag, Göttingen 1999.
192 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3892443092

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