Auf der Suche nach dem Glück im Hochhaus

Sara Gmuers Roman „Achtzehnter Stock“ bewegt sich zwischen Berliner Platte und Deutschlands Hollywood

Von Nele KönigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nele König

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was sich in der Zweizimmerwohnung im achtzehnten Stock abspielt, ist keine Liebesgeschichte und auch keine klassische Heldenreise einer Ich-Erzählerin. Es ist das Leben der alleinerziehenden Schauspielerin Wanda und ihrer Tochter Karlie inmitten der Berliner Großstadt: Zweckfreundschaften, raue Wände und die Herausforderung, mit wenig über die Runden zu kommen. Autorin und Wahlberlinerin Sara Gmuer entwirft auf gut 220 Seiten die Handlung ihres zweiten Romans Achtzehnter Stock – mit viel Gefühl und brutaler Ehrlichkeit.

Nachdem Wanda die erste Filmrolle seit langem aufgrund einer Hirnhautentzündung und eines damit einhergehenden langwierigen Krankenhausaufenthalts von Tochter Karlie verloren hat, bekommt sie eine neue Chance und bewegt sich fortan zwischen zwei Welten: „Es fühlt sich an wie ein Doppelleben, zwei Leben in derselben Stadt.“ Zwischen „Bäumen, an denen Rolex wachsen“, und der Wohnung mit Schimmelpilz in dem Hochhaus, in dessen Hof sich im Sommer die Hitze staut und die Hausgemeinschaft trifft.

Der Roman wirkt, als komme er direkt aus dem echten Leben, mit authentischen Problemen und Alltagssituationen. Die Mutter von Karlies bester Freundin wird etwa von Erzählinstanz Wanda den ganzen Roman über nur mit „Aylins Mama“ angesprochen und ihr It-Piece sind keine Markenklamotten, sondern kleine Alltagshelfer: „Sie hat die Feuchttücher wie eine Clutch unter den Arm geklemmt und rennt den Kindern hinterher. Sie kann ohne Feuchttücher nicht mehr leben. Sie macht alles damit. Sie wischt damit den Kindern das Salz von den Händen und das Eis vom Mund, sie putzt damit den Tisch und lässt die Tücher neben den Essensresten liegen.“ Gleichzeitig kreiert die Autorin auch kein Paralleluniversum völlig losgelöst von jeglicher Realität, sondern macht Anspielungen auf zentrale Geschehnisse der Gegenwart. Die Coronapandemie und Impfdiskussionen sind keine Tabuthemen – sie werden genauso angesprochen wie die Diskussionen um das neue Bürgergeld, die Klimaaktivsten des Hambacher Forst und die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter bei der Fußball-WM 2022. Für die Leser:innen bilden sich so viele Anknüpfungspunkte, auch wenn sie den Ansichten der handelnden Personen und Ich-Erzählerin Wanda möglicherweise nicht immer zustimmen möchten.

Jedoch bietet sich besonders über die Wahl der Perspektive eine enge Beziehung zur Hauptfigur. Anders als die Bewohner:innen des Hochhauses, von denen sich Wanda für ihre Träume tagtäglich verurteilt fühlt, können die Leser:innen qua Innensicht in unmittelbare Berührung mit Wandas Selbstzweifeln und Ängsten kommen. Gerade die Schuldgefühle wegen der verschleppten Mittelohrentzündung ihrer Tochter sind für Wanda ein großer Ansporn, es aus der Platte herausschaffen und ihrer Tochter ein besseres Leben ermöglichen zu wollen. Dabei wirkt Wanda nicht wie eine Person, die allen gefallen möchte und die als Hauptcharakter die perfekte Entwicklung durchmacht: „Wenn man auf die falschen Leute hört, ist man am Arsch. Als ob man Träume einfach ändern könnte. Echte Menschen verändern sich nicht einfach wie so eine fucking Romanfigur auf Heldenreise. Sie geben vielleicht auf, aber sie bleiben dieselben.“

An dieser Stelle lässt sich auch die große Stärke des Romans herauslesen: Echtheit und Authentizität. Die Figuren sagen, was sie denken, ecken beieinander an. Sie sprechen teils Berliner Schnauze und besuchen den Späti auf der anderen Straßenseite. Alle haben Probleme, kämpfen allein und doch auch irgendwo gemeinsam. „Vielleicht sind wir doch Freunde“, überlegt Wanda, als Aylins Mama ihr wieder einmal aushilft. Wenn die Bewohner:innen gemeinsam unten im Hof sitzen und sich über die Arbeit aufregen, über die unliebsamen Nachbarn in den anderen Etagen herziehen und parallel auf die tobenden Kinder aufpassen, entstehen Bilder im Kopf, die vermutlich jede:r von solchen Hochhaussiedlungen kennt. Und doch ist da der Fernsehturm am Himmel oder ein bekannter Straßenname, der die Handlung des Romans eindeutig in Berlin verortet.

Der Großstadtroman Achtzehnter Stock ist authentisch erzählt, auch wenn die Grundstory von Wandas plötzlichem Aufstieg in die deutsche Filmelite dann doch ein wenig unrealistisch daherkommt. Auch die Hirnhautentzündung, ausgelöst durch die verschleppte Mittelohrentzündung von Tochter Karlie, wirkt zwischenzeitlich eher wie eine Traumsequenz, aus der die Leser:innen mit jeder weiteren Seite endlich erwachen wollen. Die beiden bekommen schließlich ihr Happy End – privat und beruflich, wobei auf die glückliche Liebesbeziehung mit Love Interest und Schauspieler Adam Ezra verzichtet und ein positiver Ausgang hier nur angedeutet wird. Am Ende geht es für das Mutter-Tochter-Duo nach dem kurzzeitigen Wohnungs-Gastspiel im Hotel auf Karlies Wunsch wieder zurück, in ihr Zuhause in der Platte.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Sara Gmuer: Achtzehnter Stock. Roman.
hanserblau, Berlin 2025.
224 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783446282780

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