Eine dystopische Hanswurstiade

Markus Köhle hat mit „Land der Zäune“ über Grenzen und Angst geschrieben

Von Konstantin AmesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Konstantin Ames

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die streitbare und leider bereits verstorbene Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff warnte in ihren 2012 gehaltenen Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen vor „Romanfabriken“ und vor „Aktualitätshastigkeit“ in der Gegenwartsliteratur. Wenn ein Klappentext nun gleich zwei Bundeskanzler zitiert, könnte es demnach eng werden für das „Gute, Wahre und Schöne“, auf das die brillante Stilistin beharrlich pochte. 

Ziemlich genau zwei Jahre nach seinem fulminantem Debütroman – einer popliterarischen Heimatverschaukelung und Literatursatire mit gehörigem Eigenblutanteil – arbeitet sich der Wiener Slam-Poetry-Pionier Markus Köhle, Jahrgang 1975, mit Land der Zäune weiter ins Gebiet der hyperrealistisch inszenierten Groteske vor. Orwells 1984 trifft dabei auf die geschliffene Moralistik von Ingeborg Bachmann, und beide dann auf Morgensterns Lattenzaun und sein Aesthetisches Wiesel. Über zwei wesentliche kulturelle Errungenschaften, die Wahrheit und den Reim, heißt es: „Wahrheit ist den Menschen nicht zumutbar, aber Freundlichkeit geht immer“, und: „Ja, der Reim holt heim und jedem Zaun ist zu vertrau’n“.

Hans Sagmeister, der Schöpfer solcher Sprüchlein und Handlungsträger in Köhles zweitem Roman ist eine Allegorie des toxischen, weiß-privilegierten, männlichen Bramarbas, der sich in der Selbstisolation radikalisiert; der sich zuhause einzäunt und in seinen Rasenmähroboter („Romähn“) verliebt; der Katzen killt und mit perfekt konstruierten Schlagworten als Gründer der „Zaunpartei“ Stimmung macht: „Zäune für alle!“ oder, noch kürzer: „Weil: Zaun“. Die Anspielung auf den Hitlergruß wird mit schauerlich lapidarem Sarkasmus kommentiert: „Eine österreichische Erfolgsgeschichte. Mal wieder“. Der Romantitel veräppelt denn auch die kulturstolze Hymne Österreichs: „Land der Berge/ Land der Zäune […] Land der Mauern, Gitterreich/ Heimat großer Filze, Sümpfe/ Volk so blitzblau wie die Schlümpfe“.

Die gesamte Monomanie rund um das kulturelle Artefakt „Zaun“ zieht Köhle aus dem Statement des ehemaligen ÖVP-Kanzlers Nehammer, wonach Zäune an den EU-Außengrenzen errichtet und damit Abschottung und Isolationismus Teil migrationspolitischer Praktiken sein sollten. „Hans ist der Meinung, das seine charakterliche Abgründigkeit gut in die Schroffheit der österreichischen Landschaft passt“. Sicherlich nicht nur in diese. Angesichts des zivilisatorischen Raubbaus der Mileis, Melonis, Trumps, Kickls muss die Sprache von Literatur, die sich selbst in antifaschistischer Tradition sieht, offenbar drastisch ausfallen: „Der Penisring ist der Zaun des kleinen Mannes.“

Die Kosten dieser Parabel sind eine hier und da recht vorhersehbare Handlung, ohne Konflikte oder echte Antagonisten, dafür mit handfest-ironischer Moral: „Barmherzigkeit hat ihre Zeit gehabt. Hartherzigkeit entspricht der Gegenwart mehr. Ja, Hans ist hartherzig“. Eine auffällige Parallele ergibt sich zwischen Köhles Unmenschenpopanz und dem „Untertan“ Diederich Hessling, der Hauptfigur von Heinrich Manns Satire auf den Wilhelminismus, der als „weiches Kind“ beschrieben wird. Hessling wird aus Feigheit zum Opportunisten. Die Tragikomik dieses militanten Biedermanns bleibt für Köhles Hanswurst, schon im Namen markiert, unerreichbar, er ist von vornherein als Opfer von mütterlichem Narzissmus und als Soziopath angelegt.

Köhles Next-Level-Galgenhumor beschränkt sich wie derjenige Morgensterns nur vermeintlich aufs Blödeln: Er zeigt uns den Endgegner – uns selbst: „Gut und Böse sind keine Kategorien im Kapitalismus. Geld ist gut[,] und böse sind immer die anderen“. Und: „Freiheit erkennt man an ihren Grenzen“. Gegen den Verfall von zentralen Konzepten wie Objektivität, Empathie und Solidarität, dies unter den Vorzeichen einer beginnenden post-neoliberalen Ära, wird in Land der Zäune auf dem Weg des indirekten Beweises angeschrieben, gerade indem Kalendersprüche und Volksweisheiten gefälscht werden. Im Untertan von Heinrich Mann waren es Maximen preußischer Militärs und von Nationalchauvinisten („Der Rhein – Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“), die der qua Erbschaft zum Papierfabrikant aufgestiegene Hessling auf Toilettenpapier der Marke „Weltmacht“ drucken lässt. Der Sagmeister-Saga ist auf ähnliche Weise ein Glossar der üblichen Phrasen angeschlossen. Die tun weh, deren „Aktualitätshastigkeit“ soll auch wehtun. Und es ist eigens Platz gelassen für unseren eigenen Seelenabraum, mit der Aufforderung: „Sammle hier Deine eigenen Lehrsätze“. Markus Köhle ist der Weißclown der österreichischen Literatur, dessen Ausreißer ins Klamottige und in die Albernheit legitime Mittel darstellen, Furcht und Schrecken wirksam zu zeigen.

Titelbild

Markus Köhle: Land der Zäune.
Sonderzahl Verlag, Wien 2025.
240 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783854496731

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