Das Ausstellen von Schmerz
Kay Matters „Muskeln aus Plastik“ ist ein labyrinthartiges Museum aus Sprachlosigkeit und queerer Lust
Von Senka Gorbunov(a)
Kay (dey/demm/deren) ist verliebt, chronisch krank und trans. Wie soll dey mit jedem einzelnen dieser Aspekte von deren Leben umgehen – und begreifen, wie diese sich gegenseitig bedingen? Wie kann Kay deren unsichtbare, ungreifbare Schmerzen anderen – der Familie, Freund:innen, Liebhaber:innen, Mitarbeitenden des Gesundheitssystems – kommunizieren, um die notwendige Fürsorge zu bekommen, um nicht bloß zu überleben, sondern auch leben zu können? Kay Matter hat einen Roman geschrieben, der sich anhand dieser Fragen entwickelt und sich mitunter ebenso schwierig erschließen lässt.
Kay versucht eine Sprache für Schmerzen zu finden. Denn diese beeinträchtigen Kays Leben auf ebenso vielfältige Weise wie die Formen, mit denen dey versucht, sich ihnen zu nähern. Kay kreist um deren Erfahrungen mit Magersucht, Post-COVID, ME/CFS und hypermobilem Ehlers-Danlos-Syndrom und fragt sich, ob diese zwangsweise eine Leerstelle im Erzählen bleiben müssen.
Dey ordnet akademische Ansätze, verknüpft Theorie mit alptraumartigen Sequenzen eines IKEA-Trips, mit der Profilerstellung auf Grindr und mit künstlerischem Schaffen. Mal erzählt Kay aus der eigenen Perspektive, mal schreibt Kay von sich aus der dritten Person und aus der zweiten Person Singular, um sich besser anderen erklären (und das Scheitern daran festhalten) zu können. Definitionen und fortführende Lektüre werden in Fußnoten notiert. Kay macht sich zur Figur in einem Roadmovie, die Therapie macht und darauf beharrt, diese als Training zu bezeichnen. Kay ist verzweifelt, weil dey den eigenen Schmerz deren Lover Aron, nicht mitteilen kann.
Mit Aron teilt Kay allerdings das trans* Sein. Manchmal ermöglicht der politische Diskurs rundum das trans und queer Sein Kay das Finden einer stolpernden Sprache für die Erkrankungen – der Gaydar wird zum Cripdar und die Performance von Gender auf die Performance von Symptomen übertragen, als ein sichtbar-machen für andere. Die Frage nach einem sprachlichen Ausdruck für Schmerzen ist deshalb zentral, weil es ein sich Mitteilen und ein Teilen ermöglichen könnte, von dem, womit man meistens strukturell allein gelassen wird. Kay zeigt auf, wie vielschichtig Emotionen von Wut, Traurigkeit und Neid in der Begegnung mit Gesundheits- und Behördensystemen sind. Und wie diese behinderten und trans* Menschen auf systematische Weise den Zugang zum Erfüllen fundamentaler menschlicher Bedürfnisse versperren.
Die theoretischen Überlegungen wechseln sich ab, mit szenischen Beschreibungen von sexuellen und platonischen Beziehungen, in denen Kay die Wut gegenüber Institutionen in die Personen projiziert, die demm nahestehen, die sich um Kay sorgen und für die Kay sorgt. Das geschieht in einem fortwährenden Aushandeln der eigenen physischen und emotionalen Grenzen. Ebenso präsent wie die Suche nach Sprache ist das Verstummen, das Schweigen, die Sperrigkeit akademischer und politischer Diskurse und der soziale Rückzug.
In Interviews hinterfragt Matter die Zuordnung von Muskeln als Plastik zur Prosa: Der Text entzieht sich Gattungszuweisungen, die Bezeichnung als Prosadebüt scheint rein formal. Vielmehr ist er ein Geflecht aus Versatzstücken, eine teils poetisch, teils viszeral gestaltete Sprache für Unaussprechliches in einem sozialen Zwischenraum, zwischen Autor:in und Lesenden. Er ist fransig und durchlöchert, hat lose Enden und sorgt damit für eine herausfordernde Lektüre.
In Anlehnung an Hannah Baers Trans Girl Suicide Museum erschreibt sich Kay den Text als „Museum of Pain“, in das man erst eintreten muss, um wieder hinauszukommen und dessen Grundriss man sich nicht vollständig erschließen kann. Durch dessen Wände die Kommunikation mit der Außenwelt immer wieder scheitert. Den Text treibt die innere und äußere Dringlichkeit von Kay, das Sehnen nach Fürsorge, begrenzt durch die physische Belastbarkeit, deren Grenzen pauschal nie absehbar sind.
Sowohl auf der fiktiven als auch auf der fiktionalen Ebene ist eines der Hindernisse, dass Kay und Matter nicht voraussetzen können, wie viel Wissen bei Lesenden vorhanden ist. Stellenweise werden Begriffe erläutert, als schrieben sie für Menschen, die mit den beschriebenen Erfahrungen noch nie in Berührung gekommen sind. Gleichzeitig haftet anderen Passagen eine Selbstverständlichkeit an, die nicht um das Verständnis von „außen“ Stehenden bemüht ist. Zitate auf Englisch werden in Fußnoten ins Deutsche übersetzt, auch wenn der Fließtext auf Denglisch ist. Ob das eine literarische Widerstandsgeste ist, ähnlich wie Kay die Attraktivität einer chronisch erkrankten Person als Voraussetzung für deren Zugang zu Fürsorge kritisiert – als ein Text über Behinderungen, der sich einem zugänglichen, gar vergnüglichen Lesen verwehrt?
Muskeln aus Plastik sucht nach Lösungen, nach den Bedingungen einer Gemeinschaft geteilter Schmerzen, nach Ansätzen zur Disability Justice. Es diskutiert, wie bei der Konfrontation mit fremden Schmerzen die bei sich selbst und der den Schmerzen ausgesetzten Person hochkommenden Gefühle und Bedürfnisse navigiert werden. Der Text, der bei dieser Suchbewegung entstanden ist, kann als Grundlage für weiteres Suchen dienen – unabhängig davon, ob man sich bei der Lektüre einen Zugang dazu erarbeitet hat oder nicht. Denn die losen Enden kann man bei Interesse im Literaturverzeichnis weiter verfolgen.
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