Fiktionalität trifft (nicht) auf Lebenswirklichkeit?
Veronika Hassel untersucht „Das Werk Friedrichs von Hausen“ und geht dabei, so beschreibt sie es selbst, rigorose Wege
Von Jörg Füllgrabe
Kann es bei der Betrachtung von Artusstoffen oder Heldendichtung aus naheliegenden Gründen kaum darum gehen, Werk und Autor über biographische Details zu verbinden, was gerade bei der anonymen Heldenepik komplett unmöglich wäre, so verhält sich dies bei weiteren Sujets anders. Die im Kontext der Beschäftigung mit hochmittelalterlicher Literatur häufig in einen übergreifenden Zusammenhang gestellten Kategorien der Minnelyrik und der Kreuzzugsdichtung etwa sind Literaturgattungen, die im Rahmen der wissenschaftlichen Beschäftigung auch und explizit auf Verbindungen mit der Biographie ihrer Verfasser in den Blick genommen wurden und werden. Dies bietet sich, sofern die Datenbasis entsprechende Informationen hergibt, schließlich auch an.
Denn selbstverständlich ist es interessant, die Einbindungen eines mittelalterlichen Textes in ein Sozialgefüge zu untersuchen und einen auf biographischen Komponenten beruhenden Bezug zwischen Text und Verfasser herauszuarbeiten. Ein solcher Bezug eröffnet letztendlich eine Möglichkeit, literarische Texte auch als Zeitdokumente zu lesen und zu deuten.
Aber die Autorin Veronika Hassel und der Erich Schmidt Verlag wollen höher hinaus, und so werden die geneigten Leserinnen und Leser auf der Rückseite von Das Werk Friedrichs von Hausen über Wesentliches informiert:
Dieses Buch analysiert das Gesamtwerk Friedrichs von Hausen. Es unterzieht dadurch die oftmals vorgenommenen biographischen und realhistorischen Kontextualisierungen der Lieder Friedrichs einer kritischen Revision. Die Untersuchung geht von der Prämisse der Fiktionalität des Minnesangs aus wie auch von der Annahme, dass die Integration der Kreuzzugsmotivik einen Grad an Komplexität generiert, der sich über die in der Forschung meist angenommene sozialhistorische Anbindung der Lieder nicht erfassen lässt.
Was lässt sich angesichts der geballten Wucht der Darlegungen überhaupt noch anmerken? Nur vielleicht schon so viel: Ob ein hier deutlich zu lesendes „dadurch“ nicht besser durch ein ‚dabei‘ zu ersetzen wäre? Eine Gesamtanalyse führt nicht zwingend zu einer Position, in der die Fiktionalität der untersuchten Texte die einzig mögliche Schlussfolgerung darstellt. Das Ergebnis kann im Gegenteil ein ganz anderes sein. Zudem bleibt die Frage offen (und wird auch in der Publikation selbst nicht geklärt), warum der Grad der strukturellen Komplexität nicht mit einer „sozialhistorischen Anbindung der Lieder“ zu erfassen sein sollte. Oder, grundsätzlicher noch: Welchen Wert hat eine solche Aussage? Hier erscheinen Postulate, die, was zunächst legitim ist, als Konstrukte ohne tragfähige Basis formuliert sind und mit Wortgewalt Erkenntnisgewinne versprechen, die dann allerdings zu überprüfen wären.
Die vorgetragene Radikalität des Ganzen erscheint umso unangebrachter, als die vorliegende Publikation bereits aufgrund ihrer kompletten Vorstellung und Untersuchung des Gesamtwerks Friedrichs von Hausen lesenswert ist und es derlei apodiktischen Theaterdonners nicht bedürfte. Im Einzelnen werden nach der Einleitung, in der Intention und Arbeitsschritte vorgestellt werden, die achtzehn Lieder Friedrichs von Hausen betrachtet, beginnend mit Ich muoz von schulden sîn unfrô bis Wol ir, si ist ein saelic wîp.
Hassels Vorgehensweise ist dabei folgendermaßen standardisiert: Zunächst wird die Überlieferungssituation der Handschrift diskutiert, dann ein auf die handschriftlich überlieferte Basis bezogener Textabdruck geliefert, der auf Struktur und Form hin untersucht wird und an den sich eine inhaltliche Paraphrase anschließt. Der weitere Weg führt auf die Metaebene der inhaltlichen Einordnung, zu einer Bestimmung des Liedtypus sowie des Typusrahmens, um abschließend die Position des Einzeltextes im Friedrich’schen Œvre zu bestimmen.
Dieses strukturierte Vorgehen ist einem detaillierten Vergleich der einzelnen Lieder Friedrichs förderlich und hat – es handelt sich um die überarbeitete Dissertationsschrift Hassels – das Begutachten sicherlich erleichtert. Ob damit jedoch eine stringente Darstellung des Gedankenflusses der Autorin erfolgen kann, mag dahingestellt bleiben. Gleichwohl sind diese Darstellung und Untersuchung der Lieder Friedrichs in sich klar und lassen die Intentionen der Autorin erkennen. Dass hierbei trotz der Fokussierung auf die handschriftlichen Überlieferungen der Texte immer wieder die standardisierten Ausgaben herangezogen werden, wie Hassel in ihrer Einleitung auch ausführt, fällt dabei nicht allzu sehr ins Gewicht, wird doch für diejenigen, die sich mit diesem Aspekt näher befassen wollen, ein diplomatischer Abdruck der Lieder den Schlussbetrachtungen hintangestellt.
Laut Ausweis der umfangreichen Bibliographie wurde die umfängliche Forschung zu Friedrich von Hausen zumindest zur Kenntnis genommen, und selbstverständlich flossen die entsprechenden Positionen auch in das vorliegende Buch ein. Allerdings ist über weite Strecken eine dezidiertere und tiefer gehende Auseinandersetzung nur undeutlich erkennbar, was zu bedauern ist, da hierdurch eigentlich erst eine tragfähigere Ein- und Zuordnung der eigenen Position ermöglicht worden wäre.
Was bleibt hinsichtlich dieses als erkenntnisbezogen so revolutionär angepriesenen Bandes letztlich zu konstatieren? Die Lektüre hinterlässt zumindest eine gewisse Ratlosigkeit. Die Edition der Texte und ihre Untersuchung sind lesenswert und die dahinterstehende Arbeit ist unbedingt zu würdigen. Die Radikalität, mit der ein ‚ahistorischer‘ Deutungsansatz verfolgt wird, erscheint jedoch grundsätzlich fragwürdig und wird überdies kaum in einer über axiomatische Feststellungen und literaturästhetische Wendungen hinausgehenden Weise unterfüttert. In gewisser Hinsicht erscheint das Buch als Hybrid aus Paraphrase und Kommentar, wirklich Neues lässt sich somit nur schwer ausmachen.
Immer wieder werden ansprechend zu lesende Formulierungen für eher überschaubaren Erkenntnisgewinn eingetauscht. So erkennt die Autorin etwa die „Poetizität der Lieder Friedrichs von Hausen im Motivkomplex von Nähe und Ferne“ – das aber ist weder neu, noch schließt es die Einbeziehung eines biographischen Rahmens aus. Der von Hassel verfolgte Weg, so im Hinführungstext zu lesen, „verweist somit nicht schlicht auf sein realhistorisches, politisch oder religiös motiviertes Pendant, sondern wird in seinen unterschiedlichen Aussagemöglichkeiten eingesetzt und damit in Kombination mit der Minnethematik in seiner Vielschichtigkeit erfahrbar gemacht“. Schön ausgedrückt, aber was will uns das sagen?
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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