Hart, aber zart
Urs Faesʼ Roman „Sommerschatten“ ist ein kunstvolles Plädoyer für eine Zweisamkeit in Einsamkeit
Von Peter Mohr
Zum dritten Mal hat sich der inzwischen 78-jährige Schweizer Schriftsteller Urs Faes literarisch mit dem Sujet Krebs auseinander gesetzt – zum ersten Mal 2010 in seinem Roman Paarbildung. Zuvor hatte der Autor auf einer onkologischen Station hospitiert. Zwei Jahre später erkrankte Faes selbst an Prostatakrebs: „Mit einem Mal erfuhr ich an meinem eigenen Leib, was ich vorher nur geschildert hatte.“ 2017 ist aus seinen eigenen Erfahrungen der Band Halt auf Verlangen entstanden.
Nun erzählt Faes wieder aus einer Sphäre zwischen Leben und Tod. Der Ich-Erzähler, ein in die Jahre gekommener Feuilleton-Journalist, hat eine Krebserkrankung samt Bestrahlungen und Chemotherapie hinter sich. Er befindet sich in einem physisch labilen Zustand, ist aber psychisch wieder aufgeblüht. Die späte Liebe zur Cellistin Ina wirkt wie ein Jungbrunnen. Sie ist leidenschaftliche Taucherin und wird von einem „Daseinsüberdruss“ gequält. Zumindest latent besteht bei ihr augenscheinlich der Wunsch, abzutauchen in den Tod.
Nach einem zu langen Tauchgang fällt sie ins Koma. Der Protagonist sitzt an ihrem Bett, spricht zu ihr, liest ihr vor und ist selbst gefangen in einer Gefühlsmelange zwischen Hoffen und Bangen. Bei Urs Faes dominieren die ungeordneten Erinnerungen der männlichen Hauptfigur, die keiner Chronologie folgen, sondern sich assoziativ aneinander reihen. Die Figur der Ina erleben wir somit „nur“ aus zweiter Hand, aus den Erinnerungen ihres Partners und Deutungen einiger Nebenfiguren. Wochenlang harrt der Protagonist am Krankenbett aus, niemand kann voraus sagen, kein Mediziner kann voraus sagen, ob sie je wieder aufwacht und ob in diesem Fall Schäden am Gehirn zurück bleiben würden.
Faes erzählt auf eine kunstvoll altmodische Weise, hat seinem Roman ein kurzes Vademecum als eine Art Lektüreanleitung voraus gestellt – gespeist von der Hoffnung auf „überirdische“ Einflüsse. Der Protagonist berichtet darin von einem Ausflug mit Ina zu einem Kloster der heiligen Odilia, eine Heilige, die blind geboren wurde, aber nach der Taufe ihr Augenlicht geschenkt bekam. „Ich schreibe über unsere Wege, über das, was wir gelebt haben, mir selber zu sagen, dass es wirklich gewesen ist.“
Urs Faes, der abwechselnd in Zürich und San Feliciano in Umbrien lebt („Ich schätze die Spontaneität der dort lebenden Menschen und das Licht.“) hat seiner Wahlheimat schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert in seinem eindrucksvollen Künstlerroman „Ombra“ eine literarische Liebeserklärung gewidmet. Und darin steht ein Satz, der sein künstlerisches Schaffen perfekt auf den Punkt bringt: „Nicht, was wir sehen, bewegt uns, sondern das, was in unserer Phantasie sich entwickelt.“
Sommerschatten glänzt durch seine einfache, aber dennoch musikalische Sprache, durch Faesʼ Liebe zum Wort. Der Roman ist ein kunstvolles Plädoyer für eine Zweisamkeit in Einsamkeit, für das uneingeschränkte „Füreinander-Dasein“ bis an den Rand der Selbstaufgabe.
Ein behutsames Abtasten von Grenzzonen, irgendwo zwischen Leben und Tod, Traum und Albtraum, Liebe und Schmerz und zwischen Erinnerung und Abschied angesiedelt. Am Ende heißt es: „Das Augenlid, die Lippen und etwas wie ein Keuchen. Ganz deutlich. Auch Corinne hat es gesehen.“
Ein Buch das inhaltlich hart daher kommt, aber von einer zarten Sprache getragen wird.
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