Kein Wort, das eine Richtung vorgibt

Wolfgang Rüger und David Ploog haben ein beeindruckendes Lesebuch zu dem Underground-Pionier Jürgen Ploog veröffentlicht

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter Cut-up versteht man das willkürliche Zusammenfügen mehrerer Textseiten, entweder durch Kleben oder durch Falten, die daraufhin einen ganz neuen Text ergeben. Einer der bekanntesten Hauptvertreter dieser Methode war der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs, der besonders durch Romane wie Naked Lunch berühmt wurde und in bestimmten Kreisen der sogenannten Undergroundszene bis heute auch in Deutschland einen Kultstatus besitzt.

Cut-up selbst fand in Deutschland jedoch nicht viele Nachahmer. Dennoch gab es auch hier vereinzelt Autoren, die diese neue Literatur euphorisch propagierten. Einer davon war Jürgen Ploog. Von Beruf Pilot war er zunächst nebenberuflich schriftstellerisch aktiv, publizierte seit Anfang der Sechziger und war ab 1993 das, was man einen freien Schriftsteller nannte. Bis heute wurden über 30 Bücher von ihm veröffentlicht. Aktuell sind einige noch über den Molokoprint Verlag zu beziehen.

Egal, wie man zur Cut-up Technik steht, ob man sie ernst nimmt oder nicht – die hier versammelten Beiträge überzeugen. Es ist ein beeindruckendes Lesebuch mit seltenem Bildmaterial (darunter auch Abbildungen zu den Gemälden von Jürgen Ploog) geworden. Lobende wie kritische Eindrücke, Erinnerungen und Interviews finden hier ein Forum. Fast immer von Weggefährten und Kollegen, darunter sind unter anderem: Ralf-Rainer Rygulla, Wolf Wondratschek, Frank Witzel und Udo Breger. Ergänzend kommt ein ausführlicher Briefteil mit Texten von Carl Weissner, Jörg Fauser, Walter Hartmann, Allen Ginsberg,William S. Burroughs und weiteren hinzu.

Dass Jürgen Ploog eine sehr eigenwillige Definition von neuer Literatur hatte, diese auch hartnäckig nach außen hin vertrat und überhaupt kein einfacher und auch nicht immer umgänglicher Geist gewesen sein muss, belegen Freunde wie der Herausgeber Wolfgang Rüger selbst. Seine Wertschätzung für den Schriftsteller Bodo Kirchhoff stieß auf Ablehnung und Unverständnis. Und Rüger selbst schreibt, er habe das Gefühl gehabt, deshalb nicht für ernst genommen worden zu sein.

Seine Gedanken zu Raum und Zeit und ihrer Wechselbeziehung zur Literatur hingegen werden in einem Gespräch mit dem Schriftsteller Hadayatullah Hübsch dokumentiert. Hier vertritt Ploog geradezu eine elitäre und schwer nachvollziehbare Sichtweise, die sich bereits im Titel („Ein Publikum habe ich nicht, bestenfalls Leser“) eines Interviews aus dem hier besprochenen Sammelband ankündigt. So richtig glauben mag man dies nicht. Es dürfte keinem Autor egal sein, ob er 2 oder 2000 Leser hat. Das klingt vielmehr erschreckend nach „Elfenbeinturm“ und ausgerechnet diesen hatte Ploog immer für eine Erfindung von Ignoranten gehalten.

Wolf Wondratschek hat all dies früh erkannt und in einem Brief aus dem Jahr 2000 bereits bemerkt, dass Form nicht horizontal zu denken sei, sondern vertikal. Mit Ausdehnung habe dies aber nichts zu tun.

Zuletzt: Die Herausgeber haben entschieden, dem Band einige Kurzprosa hinzuzufügen. Das war ein kluger Schachzug. Denn das Buch gewinnt dadurch zusätzlich: Darunter befindet sich der Text „Todesschatten“. Kein Cut-up, vielmehr eine faszinierende Prosa, in der Ploog überzeugend zeigt, was Literatur auch sein kann. Kein Zufall, sondern melancholisches Denken über Leben und Tod, in klarer Sprache schön erzählt.

Titelbild

Wolfgang Rüger / David Ploog: Ploog, West End. Texte von und über Jürgen Ploog.
Westend Verlag, Frankfurt a. M. 2025.
345 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783949671197

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