Handwerk, Mundwerk, Kopfwerk
Andreas F. Kelletats Biographie „Schweigen wär’ Gold“ informiert nicht nur über seine Vorlesungen
Von Gabriele Wix
Das Spannungsfeld zwischen universitärer Lehre und translatorischer Praxis ist eines der zentralen Themen in der Lehr- und Forschungstätigkeit des Literatur- und Übersetzungswissenschaftlers Andreas F. Kelletat. Der Sammelband Schweigen wär‘ Gold vereint eine Auswahl seiner Reden über einen Zeitraum von 30 Jahren.
Nach einem literaturwissenschaftlichen und historischen Studium wandte sich Andreas F. Kelletat,1954 in Hamburg geboren, mit seiner 1983 abgeschlossenen Dissertation über Herder und die Weltliteratur. Zur Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert Fragen des Übersetzens zu. Er lehrte von 1984 bis 1993 am Institut für Deutsche Sprache und Literatur in Vaasa, Finnland, von 1993 bis 2020 vertrat er das Fach Interkulturelle Germanistik in den Studiengängen Übersetzen und Dolmetschen am Germersheimer Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dort war er er 12 Jahre lang als Leiter der internationalen Doktorandengruppe für die Fächer Interkulturelle Germanistik/ Übersetzungswissenschaft tätig.
Das Konzept des Bandes ergibt sich aus dem Reihenformat, das Hartwig Kalverkämper, zuletzt Professor an der HU Berlin im Fachbereich Romanistik, 2016 unter dem Titel „ZeitZeugnis“ begründet hatte. Die Reihe versteht sich als „vitale Historiographie aus den Wissenschaften“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird die Möglichkeit geboten, „aus ihrem erfüllten Leben in Forschung, Lehre und Bildungsinstitutionen auf je ihre Weise und aus ihrer persönlichen Sicht zu berichten, zu analysieren, zu erzählen“, so der Verlagstext. Entsprechend sollte das Interesse des Lesepublikums über die Translationswissenschaft hinaus auch dem persönlichen Rückblick eines Wissenschaftlers auf seine vielfältigen Kontakte und Interessengebiete gelten.
Der Titel Schweigen wär‘ Gold nimmt Bezug auf einen zwanzig Jahre zuvor in Vaasa erschienenen Band, Reden ist Silber. Zur Ausbildung im Übersetzen und Dolmetschen. Er enthält Universitätsreden aus 20 Jahren, darunter auch Kelletats Germersheimer Antrittsrede „Wie deutsch ist die deutsche Literatur?“ aus dem Jahre 1994, die in dem vorliegenden Band als Eingangstext wiederabgedruckt wird. Bis auf wenige Ausnahmen ist den in der neuen Publikation abgedruckten Texten von Kelletat die Kürze gemeinsam, die dem Medium der Rede geschuldet ist. Es handelt sich bei diesen Gelegenheitstexten um Würdigungen von Kolleginnen oder Kollegen, Grußadressen, Fest-, Dankes- und Antrittsreden, die er für Überlegungen zum Stand der Translationsforschung sowie für eine Diskussion der Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern nutzt. Der Anlass der Reden ist teils vorne im Inhaltsverzeichnis vermerkt, teils aber nur aus einer Fußnote im Abdruck des Textes ersichtlich. Ein Namens- und Sachregister liegt nicht vor.
Kelletat verkündet keine akademischen Lehrmeinungen über die Köpfe der Zuhörerschaft hinweg. Sein Blick gilt der Praxis, er bleibt dem Publikum zugewandt, schreibt lebendig und engagiert. Mit Kritik hält er sich, seinem Temperament und seiner Direktheit entsprechend, nicht zurück – insbesondere was die schleichende Reduzierung der Mittel für die Ausbildung in Germersheim anbetrifft. Und er macht dabei in einer Rede aus dem Jahr 2005 eine einfache Rechnung auf: Wenn jeder Studierende nur 2 Stunden in der Woche freiwillige Arbeit für das Institut geleistet hätte, von der Bibliotheksaufsicht bis hin zu Tutorien, hätte dies dem Institut mehr geholfen als beispielsweise die Studiengebühren, die nicht unbedingt im eigenen Fachbereich angekommen seien. Im Kontext des Redeanlasses, einer Feier mit Überreichung der Abschlussdiplome und -zeugnisse, wird Kelletat nicht nur auf Zustimmung gestoßen sein und eine lebhafte Diskussion angestoßen haben. Der Erkenntnisertrag, der sich in den Reden der Leserschaft vermittelt, ist unterschiedlich, bedingt durch die jeweiligen Anlässe. Teils sind es spannende Auseinandersetzung über die vermeintliche Unvereinbarkeit von Handwerk, Mundwerk und Kopfwerk, teils bleibt im Wesentlichen das Faktum der Präferenz, welchen Kolleginnen und Kollegen eine Begrüßung, Würdigung oder Verabschiedung gegolten hat: so Kelletats Kollegin Dörte Andres, seinen Kollegen Klaus von Schilling, Hans J. Vermeer, David Díaz Prieto, Bernd Meyer oder seinem Doktorvater Walter Hinck.
Die mit dem Reihenkonzept einhergehende Darstellung persönlicher Erfahrungen wird durch die Formulierung einer Reihe von Titeln betont, etwa: „Meine Wege in die Übersetzungswissenschaft“. Eine Rede, die Kelletat 2004 im Stufenhörsaal des Germersheimer Fachbereichs der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz vor einem Empfang zu seinem 50. Geburtstag gehalten hat und in der er grundlegende Fragen zur Leistungsfähigkeit der Translationsforschung erörtert: „Ob es Wege in die Wissenschaft waren, weiß ich immer noch nicht.“ Oder: „Mein zerlesenstes Buch“ – es ist der von Hilde Domin in den 1960er Jahren herausgegebene Kultband Doppelinterpretationen. Das zeitgenössische Gedicht zwischen Autor und Leser. Er habe ihn als 17jähriger Schüler 1972 erworben und mehrfach mit großem Gewinn gelesen, ja: zerlesen, erfährt man in seinem Grußwort zu einer Lyrik-Lesung von Hilde Domin im Germersheimer Kulturzentrum Hufeisen 2004. Das Buch habe ihn gelehrt, auf wie unterschiedliche Art und Weise man Lyrik lesen und verstehen könne.
Das „leicht Autohagiographische“ des Formats ist Kelletat bewusst. Er zitiert am Schluss des Bandes einen Satz aus dem Roman von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus:
Ich entfärbte mich / daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeiten in die Hände kommen sollten / sonderlich weil man davor hält / daß einer am besten aus seinen Schriften erkennet werde.
Diesen Satz hatte Kelletat dem Band Reden ist Silber als Motto beigegeben, und so schließt sich der Kreis.
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