Der fahle Dunst eines ‚Feel-good-Romans‘

Yuta Takahashis Roman „Das Restaurant am Rande der Zeit“ weist Mängel auf

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer einen geliebten Menschen verliert, verfällt in bleierne Trauer. Ein Schatten legt sich über das Leben. Es wird nach Gründen gesucht, häufig wünschen sich die Zurückgelassenen, sie könnten noch einmal mit dem Verstorbenen reden, etwas richtigstellen oder erfragen, einige Worte mitgeben oder ihre Gefühle erklären. In Yuta Takahashis Roman Das Restaurant am Rande der Zeit wird genau das ermöglicht. Das Chibis Kitchen, ein nach einer Katze benanntes „Bistro am Strand mit Tagesgerichten und so“ – wie es im Roman heißt –, bietet seinen Gästen die Zubereitung eines sogenannten Kagezens an. In der japanischen Tradition bezeichnet man ein Gericht, das für einen lange abwesenden Liebsten oder ein verstorbenes Familienmitglied zubereitet und angerichtet wird, als Schattengericht. In Chibis Kitchen wird das Kagezen „Gericht von damals“ genannt, weil es sich nicht nur um das Lieblingsgericht des Abwesenden handelt, sondern weil es eine Verbindung zu einer verloren geglaubten Vergangenheit herstellt: Während ein Gast in Chibis Kitchen seine Portion isst und den leeren Platz mit dem zweiten Teller ihm gegenüber ansieht, versinkt er in Erinnerungen und der Verstorbene erscheint ihm. Er tritt als Lichtgestalt aus einem hellen Nebel und bleibt, bis das für den Geist angerichtete Mahl erkaltet.

Auch die zwanzigjährige Kotoko Niki besucht das Restaurant. Um sie vor einem heranrasenden Auto zu schützen, stieß ihr Bruder Yuito sie von der Straße und wurde dabei selbst erfasst. Er starb und rettete sie. In Chibis Kitchen erscheint der verstorbene Bruder. Kotoko kann mit ihm über ihre Schuldgefühle sprechen. Yuito versichert, alles sei gut, er bleibe in ihrem Herzen – und begibt sich hernach „zurück in jene andere Welt“. Die Begegnungen anderer Gäste verlaufen ähnlich: Sie beginnen mit Zweifel, Reue und Schuldgefühlen, die Begegnung mit einem Verstorbenen bringt eine Erkenntnis und neue Zuversicht für das eigene Leben. Die Vorstellung einer letzten Begegnung mit einem Toten soll „ein warmes Gefühl“ und „ein Gefühl der Verbundenheit“ auslösen, wie es Kotoko für sich beschreibt. Für den Lesenden ist dies herausfordernd. Es ist, als läge die Szenerie wie der Koch in Chibis Kitchen in fahlem Dunst. Konstruiert surreal wirken die Beschreibungen eines „hübsch beleuchteten“ Weges, eines „bezaubernden Wolkenmeeres“ und eines maunzenden Kätzchens. Der Eindruck einer künstlichen, kitschigen Kulisse entsteht. Emotionale Entwicklungen der Charaktere bleiben nebulös: „irgendetwas gab Kotoko das Gefühl […]“. Und: „Sie hatte es geahnt, irgendwo tief in sich drin“. Vieles ist „irgendetwas“ und „irgendwo“ in Takahashis Roman. Die Protagonisten bleiben unnahbar, scheinen sich vor dem Lesenden zu verstecken. Der Roman weist erzählerische Mängel auf. Weshalb dürfen die Toten eigentlich nur ein einziges Mal zurück zu den Lebenden und danach nie wieder? Was oder wer verschließt die offene Tür? Beobachten uns die Toten oder sehen sie uns nicht? Schwache Dialoge und überflüssige Wiederholungen verlangsamen die schmale Handlung. Hinzu kommen hölzerne, holprige Übergänge wie beispielweise: „[…] am kommenden Sonntag würde er zum Chibis Kitchen fahren./ Und dann kam der besagte Tag.“

Nebensächliche Beschreibungen belasten mehrere Szenen bis zur Zerfahrenheit. Als Kotoko beispielsweise erstmals dem Kochvorgang eines Kagezen – in diesem Fall Erdnussreis – selbst beiwohnt, erklärt sie sowohl ausschweifend als auch nüchtern die Eigenschaften der Bestandteile: „Die Erdnuss gehörte zu den Hülsenfrüchten und war eine einjährige Pflanze.“ Ihre lexikalischen Ausführungen unterbrechen die Handlung mehrfach. Alle gegebenen Informationen über die Ernte und den „Tag der Erdnuss“ sind überflüssig und halten den Lesenden nur auf Distanz. Eine kürzere Szene wäre intensiver gewesen. Der Lesende hätte gerne mit Kotoko in den Topf geblickt. In der Küche geschieht etwas Magisches, das sich jedoch nicht überträgt; es kann nicht nachempfunden werden. Der Erdnussreis wird aufgesetzt, der Deckel geschlossen: „Das schien bereits alles gewesen zu sein“, wundert sich Kotoko. Und dieser Satz trifft das zurückbleibende Gefühl, welches nachhallt, nachdem Das Restaurant am Rande der Zeit gelesen wurde.

Um die Leere zu füllen, sind vier japanische Rezepte in das Buch gestreut: Namero auf Reis, Sandwich mit dickem Omelett, Erdnussreis und Pflaumen-Marmelade sowie Sukiyaki-Don, ein Rindfleisch-Gericht. Es sind keine komplizierten Rezepte, die „Gerichte von damals“. Laut Klappentext sollen sie „zum Nachkochen und Eintauchen in die magische Welt des Chibis Kitchen“ anregen. Es wäre sicherlich einen Versuch wert. Vielleicht können Gerüche und Atmosphäre des Buches am Kochtopf besser nachvollzogen werden.

Die Lehren aus dem Buch sind flach und leicht verständlich. Man sollte seinen Traum verfolgen. Denn das Leben ist kurz. Es gibt „im Leben Dinge“, die man nicht rückgängig machen kann. Die Welt dreht sich weiter, „auch dann, wenn jemand aus dem Leben verschwindet“. Vieles erinnert an die Oberflächlichkeit von Shōjo-Manga, die sogar im Buch erwähnt werden. Das Restaurant am Rande der Zeit beinhaltet sanfte Denkanstöße vornehmlich für heranwachsende Menschen, die sich in einer hektischen und unübersichtlichen Zeit überfordert, einsam und orientierungslos fühlen. Und weil diese Gefühle viele teilen, liegen ähnliche Romane aus Südkorea und Japan im Trend. Verlage sprechen von Bestsellern aus „Trendländern“ und loben die „Feel-good-Romane“. Womöglich hat die Auszeichnung der Südkoreanerin Han Kang mit dem Literaturnobelpreis dem Trend einen weiteren Schub gegeben. Auffällig ist, dass es seit der Preisverleihung Sondertische in großen Buchhandlungen gibt, auf denen zahlreiche asiatische Sinnsuche-Werke zum Kauf angeboten werden. Dabei liegen Wohlfühlromane von sehr unterschiedlicher Qualität nur wegen ihrer Herkunft aus Nordostasien beieinander. Yuta Takahashis oberflächlicher und fehlerhafter Roman liegt sodann neben tatsächlich außergewöhnlichen Büchern – und auch neben Han Kangs meisterhaften, erschütternden und aufwühlenden poetischen Texten, die mit Takahashis Roman nicht verglichen werden können. Welten trennen sie.

Titelbild

Yuta Takahashi: Das Restaurant am Rande der Zeit. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2025.
192 Seiten, 23 EUR.
ISBN-13: 9783455019308

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