Gefährliche Bügeleisen und sexistische Schauspieler

Elaine Garveys Debütroman „Die Frau hinter der Bühne“ bleibt unter seinen Möglichkeiten

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Donnerstagvormittag des 28. März 2002, einen Tag vor Karfreitag, geht Mairéad durch die Straßen Londons zum Theater, wo sie hinter den Kulissen als Assistentin einer Kostümbildnerin arbeitet. Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin gibt direkt zu Beginn Aufschluss über ihre Herkunft und Ziele. Sie bedient das Klischee einer unbeholfenen, jungen Frau vom Land, die mit dem hektischen Leben einer Weltstadt hadert – beruflich wie privat. Obendrein beschreibt sie sich selbst als „übergewichtige Außenseiterin“, einer Rolle, der sie offenbar nicht entfliehen kann.  

Mairéad leidet unter dem harten Regiment ihrer Chefin Margareth und findet lediglich in den Kolleginnen Zeit für einen oberflächlichen Small Talk. Und das ist in ihrer Welt schon viel, denn intensive Freundschaften oder gar Romanzen scheinen nicht in Sicht zu sein. So tritt die selbsterfüllende Prophezeiung ein, dass Mairéad eine Außenseiterin bleibt, sowohl im familiären Kreis des irischen Dorfs als auch in London. Selbst ihre WG-Mitbewohnerin Samira geht ihr aus dem Weg.

Die irische Schriftstellerin Elaine Garvey erschafft in ihrem Debüt Die Frau hinter der Bühne mit Mairéad eine stereotype Figur, die zu Beginn Entwicklungspotenzial aufweist: Aus einem irischen Dorf stammend, versucht sie, an einem Großstadttheater ihre Karriere aufzubauen. Manchmal ist es schmerzhaft, ihr dabei zuzusehen, wie sie immer wieder an den Kostümarbeiten scheitert. Ihre Arbeiten sind dabei nicht sonderlich spannend, sie wäscht, näht und bügelt. Bei all diesen Tätigkeiten steht sie unter enormem Druck, und so misslingt ihr vieles. Sie scheint der harten Welt hinter den Kulissen nicht gewachsen. Das macht sie einerseits menschlich, andererseits fehlt es der Figur an Entwicklungspotenzial, was auch der gut zehn Tage umfassenden erzählten Zeit geschuldet ist.

In der Theatergarderobe unterlaufen Mairéad einige Pannen: Sie verbrennt ihre Ellenbeuge am Bügeleisen oder vergisst, Schuhe für eine Schauspielerin aus der Reparatur zu holen. Zudem reißt ihre Hose während der Arbeit und Mairéad fühlt sich zusehends blamiert. Scham ist ohnehin eines der zentralen Themen des Romans. Und so blickt Mairéad auf dieses für sie fast schon traumatische Ereignis zurück: „Wie meine Nähte geplatzt waren. Vor allen Leuten. Wie ich versuchte, den Riss mit der Hand zu verdecken.“ Ihre Ambition, Theaterregisseurin zu werden, scheint zusehends in weite Ferne gerückt.

Mairéad leidet überdies am Chauvinismus der Männer, die sich hinter den Kulissen tummeln. Dabei handelt es sich nicht nur um Schauspieler, die sexistische Bemerkungen machen, sondern auch um den Personalbeauftragten: „Mir gefror das Blut in den Adern, sobald er irgendwo auftauchte. Ich schwöre, er lauerte in Gängen und Nischen, um junge Frauen zu zwingen, sich an ihm vorbeizudrängeln.“ Dass Elaine Garvey offensichtlich die MeToo-Debatte literarisch verarbeitet, ist dem Roman zugutezuhalten: „In Wahrheit war ich geflohen, weil ich seinem Körper zu nahe war, als er meine Schulter berührte. Ganz kurz. Und es fühlte sich an, als würde ich gebrandmarkt. Ich ließ den Kopf hängen.“ Grenzüberschreitungen scheinen hinter den Kulissen des Theaters, insbesondere im Bereich der hierarchisch strukturierten Kostümabteilung, an der Tagesordnung zu sein. Um ihren Job zu behalten, muss sich Mairéad immer wieder auf die Zunge beißen. Auch seitens ihrer weiblichen Kolleginnen kann sie keine Unterstützung erwarten. Dieses Thema zieht sich wie Mairéads Schamgefühl durch die gesamte Handlung. Gleichwohl bleibt die Hauptfigur trotz teils bissigen Humors passiv, eine Charakterentwicklung bleibt weitgehend aus.

Mit scheinbar längst überholten Geschlechtervorstellungen wird Mairéad im Mittelteil des Romans innerhalb ihrer Familie konfrontiert. Als ihre Großmutter stirbt, begibt sie sich zurück in ihr irisches Dorf. Sie fühlt sich mittlerweile auch dort so fremd wie in London. Sämtliche Verwandte versammeln sich, um sich von der Verstorbenen zu verabschieden. Schnell entstehen Wortgefechte, Mairéad geht auf Konfrontationskurs. Sie beweist Mut, den sie hinter den Kulissen des Theaters nicht zeigt. Besonders stark erweist sich die Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung. In einer sehr persönlichen Unterhaltung spricht ihre Mutter über ihre Vergangenheit und die Probleme ihrer Ehe. 

Dem Roman kann zumindest ansatzweise bescheinigt werden, dass er emanzipativen Charakter hat. Die Frauenfiguren erweisen sich als stark, obgleich die durchaus sympathisch gezeichnete Mairéad als grenzwertige Klischeefigur betrachtet werden kann. Dies geht einher mit der stereotypen Darstellung der Unterschiede von Stadt und Land. Die männlichen Figuren hingegen werden allesamt holzschnittartig in Szene gesetzt: Gescheiterte Patriarchen – allen voran Mairéads Vater – in Form von sexistischen Theaterschauspielern. Sowohl aus der Hauptfigur als auch aus dem Setting der Kostümabteilung eines Großstadttheaters hätte Garvey wesentlich mehr Potenzial schöpfen können.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Elaine Garvey: Die Frau hinter der Bühne. Roman.
Aus dem Englischen von Juliane Zaubitzer.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2025.
224 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783426448144

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