Kulturlagerhäuser
Candida Höfers Bibliotheksfotografien sind beeindruckend
Von Walter Delabar
Was ist eine Bibliothek? Ein ehrwürdiger Gegenstand, wie Umberto Eco gleich zu Anfang seines Essays schreibt, der dem Ende letzten Jahres erschienenen voluminösen Fotoband Candida Höfers vorangestellt ist, der nur einen Gegenstand hat: Bibliotheken. Aber was sind Bibliotheken? Wenn man nicht vor Ehrfurcht vor ihnen erstarrt, sind sie im Grund nichts anderes als mehr oder weniger zugleich funktional und repräsentativ eingerichtete Lager, in denen sich vor allem eines findet: Bücher. Sicher, Karten oder anderes sind auch in Bibliotheken gestapelt, aber das soll nicht ablenken.
Also weiter: Zweck der Bibliothek ist es, Bücher, die wahlweise Informationsmittel oder kulturelle Produkte sind, so aufzubewahren, dass sie immer dann umgehend zur Verfügung stehen, wenn sie benötigt werden oder wenn wenigstens nach ihnen verlangt wird. Das setzt in der Regel voraus, dass potentielle Leser wissen, was sie haben wollen, was allerdings nicht ganz der realen Praxis entspricht, denn nicht minder oft dienen die Regale und Register der Bibliothek eben auch dazu, überhaupt erst herauszubekommen, was man gesucht hat. Von den Ablenkungen, die eine Lektüre gelegentlich mit sich bringt, einmal abgesehen.
Was dann doch wieder zu Umberto Ecos Essay zur Bibliothek zurückweist. Der Essay ist, zum ersten, nicht für diesen Band geschrieben worden, sondern ist als Festvortrag zum 25jährigen Jubiläum der Mailänder Stadtbibliothek im März 1981 gehalten worden. Zum zweiten stammt der Satz, in dem von der Ehrwürdigkeit der Bibliothek die Rede ist, nicht von Eco selbst, sondern von Jorge Luis Borges aus der Erzählung von der Bibliothek von Babel (dringend noch mal lesen). Eco benutzt das lange Borges-Zitat quasi als Contrafaktur seiner weiteren Erörterungen über eine menschenwürdige Bibliothek, die sich vor allem durch ihre Offenheit und Nutzerfreundlichkeit auszeichnet. Und schließlich steht Ecos Text in einem sehr spezifischen Spannungsverhältnis zu den Fotografien Candida Höfers. Um nicht zu sagen, Fotografien und Text passen nicht zusammen.
Und das liegt nicht zuletzt an den Fotografien selbst. Keine Frage, sie sind technisch perfekt, in der Bildauswahl, im Ausschnitt, im Abzug resp. Druck und im Licht. Aber sie bilden im wesentlichen den Repräsentationsort Bibliothek ab. Also den Ort, der Bücher und Einrichtungen präsentiert, aber nicht deren Nutzung. Es sind eh nur wenige Fotografien, in denen moderne Bibliotheken zu sehen sind. Um den bornierten Lokalpatriotismus des Rezensenten nur hervorzukehren sind etwa die Philologische Bibliothek der FU Berlin (immerhin ein Norman Foster-Bau) oder der immerhin von Engeln bevölkerte Innenraum der Neuen Staatsbibliothek im Band nicht zu finden. Für die Moderne müssen dann die Rare Book and Manuscript Library New Haven, die Deutsche Bücherei in Leipzig, die Kunsthalle Düsseldorf (mit einem kalten Büchertisch), die Berlinische Galerie, das Van Abbemuseum Eindhoven und die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main einstehen. Um ein paar zu nennen. In den 137 Fotografien, die in diesem Band gesammelt sind und die buchschwer auf dem Beistelltisch lasten, bleiben sie unauffällig (auch wenn hier zahlreiche Fotografien zu nennen wären). Was kaum wundern kann, wenn selbst die Renommier-Bibliotheken der Neuen Welt, etwa die New York Public Library, mit antikisierendem Prunk daherkommen.
Immerhin wollen und sollen sie nicht hinter die repräsentativen Fürsten- und Stiftsbibliotheken zurückfallen, die Europa zu bieten hat, die Stiftsbibliothek zu St. Gallen, die Österreichische Nationalbibliothek, die Anna Amalia-Bibliothek Weimar, die Bibliothek der Strahov Abtei in Tschechien, die Bibliothek des Trinity College in Dublin, um nur recht wahllos einige zu nennen. Nun hatten diese Institute ja auch die Aufgabe, den Wohlstand und den Herrschaftsanspruch des jeweiligen Hauses vorzustellen. Das fällt mittlerweile weg, was aber nicht dazu führt, dass die Bibliotheken, wie sie in Höfers Fotografien auftauchen, einen freundlicheren Eindruck machen würden.
Ganz im Gegenteil, ganz egal ob sie neu oder alt, funktional oder repräsentativ auftreten, sie bleiben im Grundsatz abweisend. Das mag damit zusammenhängen, dass in den allermeisten der Fotografien Menschen nicht auftauchen, und wenn, dann gehen sie meist im Hintergrund recht sittsamen Tätigkeiten wie der Lektüre eines Buches nach oder recherchieren in einem Katalog.
Die Räume sind leer, unbenutzt, und zumeist extrem aufgeräumt. Ihre Geometrie ist in den Fotografien meist streng wieder aufgenommen worden. Gänge und Fluchten, Regale und Buchreihen, säuberlich geordnet, bilden das dominierende Element. So sehr, dass man froh ist, wenn gelegentlich halbwegs ungeordnete Bücherstapel (und das auch noch bei den Schweizern, tsts), leere Regale oder auch nur ein paar bequeme Sessel auftauchen.
Das mag Fragen aufwerfen danach, was Höfer mit ihren Fotografien will. Dass die Fotografien sich in ihr Werk nahtlos einfügen, sei dabei immerhin eingeräumt. Bleibt nur die Frage, warum sie sie gemacht hat, und warum gerade die historischen Bibliotheken in diesem Katalog so stark vertreten sind.
Candida Höfer, 1944 in Eberswalde geboren, ist ein großer Name in der Fotografie. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sie (neben anderem) Schülerin Bernd Bechers war, der im Zusammenspiel mit seiner Frau Hilla die dokumentarisch ausgerichtete Düsseldorfer Fotografenschule begründete. Die Becher-Fotografien industrieller Bauwerke haben Höfers Werk stark beeinflusst, was sich gerade bei den Arbeiten erkennen lässt, bei denen sie sich mit Innenräumen beschäftigte. Aber im Unterschied zu beiden Becher bevorzugt Höfer die Farbfotografie und Zentralperspektive, was zu einer strengen und konstruktiven Sicht auf ihre Sujets führt, deren Farblichkeit sich trotz aller Intensität in diese strenge Bildkonstruktion einfügt. Keine Frage also, dass Höfer eine der ganz Großen der Fotografie ist.
Bleibt immer noch die Frage warum diese Fotografien, warum dieser Band, gerade wenn man ihr sonstiges Werk miteinbezieht. Einfach nur ihre Sammlung von Bibliotheksfotografien zeigen, die sie über die Jahrzehnte aufgenommen hat? Dazu ist die Präsentation der Bibliotheksinterieurs dann doch zu erhebend – bei aller Sachlichkeit.
Immerhin – genug der Mäkelei – lassen sich die Fotografien mit großem Gefallen betrachten. Die modernen Störer verhindern, dass sich Betrachter zu behaglich in der formal so ansprechenden Vergangenheit bequem machen. Allerdings, um hier dem Klappentext zu widersprechen, der Band ist definitiv nichts für Leute, die Bibliotheken so nutzen, wie dies Umberto Eco in seinem Essay vorstellt (ein Fest sowieso nicht). Er bedient die Bibliophilen, denen Bücher Ausstellungsstücke sind, aber nicht die, die mit Büchern umgehen. Dabei stört er die erste Gruppe mit den Fotografien, in denen der repräsentative Gestus unterlaufen wird, kommt aber sicher bei der zweiten in seiner – wiederum der Klappentext – Sachlichkeit und Lakonie nicht an. Er verharrt zu sehr im Gestus der Anschauung leerer Räume, die sich dagegen zu wehren scheinen, dass man sie nutzt. Und dafür sind Bücher und auch Bibliotheken zu wichtig.
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