Also sprach …
Mit „Nietzsche Forever“ stellt sich Barbara Straka der Herausforderung, die Wirkung Friedrich Nietzsches in der Kunst nachzuzeichnen – ein Unterfangen, das bislang kaum zu bewältigen schien
Von Silvio Barta
Straka legt mit ihrem zweiteiligen Buch einen längst überfälligen Überblick zur künstlerischen Rezeption Friedrich Nietzsches nach 1945 vor – ein Thema, das bislang erstaunlich wenig Beachtung gefunden hat. Ihr Interesse gilt dabei nicht dem Philosophen selbst, seinen ästhetischen Theorien oder seinem Verhältnis zur Kunst, sondern dem Bild, das zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sich von Nietzsche machen. Aus kunsthistorischer Perspektive – nicht als Nietzscheforscherin, sondern als Kuratorin – beleuchtet sie künstlerische Werke, in denen Nietzsche als Figur, Denkbild oder Reflexionsfläche erscheint. Dabei gelingt es ihr, die komplexen Verflechtungen zwischen biografischer Deutung, philosophischem Diskurs und bildender Kunst aufzuspüren. Besonders aufschlussreich ist, wie Straka die Leerstellen im bisherigen Forschungsstand benennt und so ein faszinierendes Spannungsfeld zwischen Kunstgeschichte, Philosophie und Nietzsche-Rezeption unserer Gegenwart eröffnet.
Bevor auf Barbara Strakas Analyse eingegangen wird, ist es hilfreich, einige Begrifflichkeiten zu klären, die im Zusammenhang der künstlerischen Auseinandersetzungen mit Friedrich Nietzsche eine Rolle spielen. Die Autorin selbst differenziert nicht systematisch, doch lassen sich trotzdem unterschiedliche Zugänge erkennen: Kunst über Nietzsche meint Werke, in denen der Philosoph selbst – als historische Figur, als Denkbild oder als mythisch überhöhte Gestalt – dargestellt oder thematisiert wird. Kunst inspiriert von Nietzsche hingegen umfasst Arbeiten, die sich zwar nicht explizit auf seine Person beziehen, aber inhaltlich, formal oder symbolisch von seinem Denken angeregt sind.
Eine besondere Rolle spielt dabei der Begriff der Transfiguration, der bei Nietzsche eng mit der Idee einer ästhetischen Umwertung des Lebens verbunden ist. Kunst über die Transfiguration widmet sich diesem Motiv explizit, während Kunst inspiriert von der Transfiguration eher abstrakt mit Formen der Verwandlung, Sublimierung oder Sinngebung arbeitet. Strakas Auswahl zeigt, dass sich auch der weiter gefasste Begriff einer transfigurativen Kunst anbietet – für Werke, die Transformation zum ästhetischen Prinzip erheben und damit Nietzsches Denken nicht nur thematisch, sondern strukturell reflektieren.
Kunst als existentielle Umwertung
Kaum ein Begriff eignet sich besser zur Fehlinterpretation (zum „Verklären“) als Nietzsches Verklärung. Was Nietzsche als Transfiguration bezeichnet, ist keine naive Schönfärberei oder sentimentale Idealisierung, sondern ein radikaler Akt der Sinngebung: Die Welt, das Leben – auch in seinem Leid, seiner Hässlichkeit und Absurdität – wird durch die schöpferische Kraft des Menschen ästhetisch umgewertet. Transfiguration meint die bewusste Umwandlung des Gegebenen in etwas Bedeutsames, eine existentielle Form des künstlerischen Schaffens, in der der Mensch sich selbst und seine Wirklichkeit als gestaltbar erfährt. Es ist eine Verklärung trotz – nicht ohne – Tragik.
Diese Idee beeinflusste um die Jahrhundertwende um 1900 (Nietzsches Todesjahr) zahlreiche Künstler:innen, die in der existenziellen Krise der Moderne nach neuen Ausdrucksformen suchten. In der symbolistischen und expressionistischen Kunst wurde Nietzsches Transfiguration zum ästhetischen Programm – nicht mehr Schönheit, sondern Intensität, nicht mehr Harmonie, sondern Wahrheit und Ekstase bestimmten das künstlerische Ideal. Auch die frühe Avantgarde, von Klimt über Kokoschka bis hin zu den Futuristen, griff die Vorstellung auf, dass Kunst nicht Abbild, sondern Umdeutung und Überhöhung der Wirklichkeit sein müsse.
Diese historische Entwicklung in der Kunst ist gut dokumentiert – Straka aber setzt ihren Fokus anders. Und genau das ist neu und spannend.
Nietzsches Transfiguration versus die Transfiguration von Nietzsche
Ohne das Konzept der Transfiguration lässt sich unsere heutige ästhetische Welt kaum verstehen – insbesondere angesichts der digitalen Bilderflut in den sozialen Medien. Eine traurige, banalisierte Form von Transfiguration zeigt sich in beinahe jedem Post, der das Frühstücksmüsli zur existenziellen Selbstvergewisserung erhebt. Gerade in diesem Spannungsfeld zwischen Bedeutsamkeit und Belanglosigkeit wird der Prozess der Verschlampung des Heroischen besonders deutlich.
Vor diesem Hintergrund hätte das fünfte Kapitel, welches die Transfiguration in der Gegenwartskunst behandelt, einen zentralen Stellenwert einnehmen können. Der Titel bleibt jedoch vage und wirkt irreführend: Nicht das Konzept der Transfiguration steht zur Debatte, sondern die Verklärung der Figur Nietzsche. „Auch Tabus gegenüber einem freien künstlerischen Umgang mit den überlieferten Fakten zu Leben und Werk scheinen nicht mehr zu gelten“, beobachtet Straka. Nietzsche fungiert damit gleichermaßen als Methode und Sujet künstlerischer Auseinandersetzung – was Leserinnen und Leser mitunter zu kühner geistiger Akrobatik zwingt.
Das Unterkapitel „Nietzsches Reisen und der ‚Wanderschaft des Lebens‘“ hebt die Diskussion auf eine abstraktere Ebene. Dadurch wird eine nuanciertere Analyse jener Kunstwerke möglich, die sich – biografisch motiviert, aber gedanklich freier – weniger mit der Person als vielmehr mit den Ideen Nietzsches auseinandersetzen.
Das Nieankommen – oder die Leichtigkeit des Ubiquitären
Die kritische Lektüre des Kapitels „Nietzsche wird Pop“ offenbart – vielleicht auch dank meines persönlichen Interesses – zahlreiche Einsichten: nicht nur in die Wirkung des Philosophen auf die omnipräsente Popkultur, sondern auch in das Verhältnis von Pop und Kunst. Nietzsche bildet gewissermaßen die Schnittmenge im kulturellen Venn-Diagramm.
Barbara Straka zitiert dazu Andreas Urs Sommers lapidaren Befund „Nietzsche sells“ und verortet so die Mechanismen, mit denen der Philosoph als Meme, als semantisch aufgeladene Figur, popularisiert wird. Der Mensch Friedrich Nietzsche und seine Werke erscheinen – wenigstens oberflächlich – verführerisch zugänglich, selbst für die breite Community der Hobby-Künstler:innen in den sozialen Medien. Besonders aufschlussreich sind die Fehlinterpretationen des Begriffs „Übermensch“ – eines Konzepts, das zugleich zutiefst menschlich, postmodern und postfaktisch ist. Seine suggestive Kraft speist sich aus der hoffnungsvollen Verheißung, das Großartige in uns selbst freizulegen.
Nietzsches Einfluss in einer postmodernen Welt auszumessen, gleicht dem Versuch, die Welt selbst zu vermessen. Straka kann folglich nur einen Anfang anbieten: einen Appell, Kunst anders wahrzunehmen. Allein das ist bereits eine bemerkenswerte Leistung.
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