Heroische Zeiten

Philipp Kerrs Berlin-Trilogie lässt sich jetzt auch als Graphic Novel lesen. Es bleiben aber Wünsche

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philipp Kerrs (1956–2018) Berlin-Trilogie hat in den 1990er Jahren Furore gemacht. Die Romane um den ehemaligen Kriminalkommissar Bernhard Gunther, der im Berlin des sich konsolidierenden Nazi-Regimes als Privatermittler unterwegs ist, zeigte eben nicht nur die Korruption und die Gewalt des Regimes, sondern konnte auch mit einer neuen Variante des hardboiled-Krimis in der Tradition Chandlers und Hammetts aufwarten. Dass die hartgesottenen Amerikaner der 1930er die Folie für seine Romane und den Protagonisten stellten, hat Kerr durch zahlreiche Verweise deutlich herausgestellt. Aber er ging noch darüber hinaus: Bernhard Gunther stellt seine immer gefährdete Selbst- und Eigenständigkeit in einer Diktatur, die die bedingungslose Unterordnung forderte, durch seine beständigen ironischen bis zynischen Kommentare, die sich nicht nur auf die Erzählstimme beschränken, sondern auch die NS-Repräsentanten provozieren, unter ständigen Beweis. Er positioniert sich dabei nicht als Antipode des Regimes etwa bei dessen antisemitischer Grundierung, sondern nimmt Haltungen ein, die sich von dem seinerzeit angesagten antagonistischen Spiel zu lösen versuchen. Es kommt halt nicht auf irgendeine Kategorie an, in die jemand gepresst wird, sondern auf das jeweilige Verhalten.

Im ersten Teil der Berliner Trilogie, Feuer in Berlin, ermittelt Gunther in einem Mordfall im Industriellen-Milieu. Die Tochter eines Stahlmagnaten ist mit ihrem Mann in ihrem Haus ausgeraubt und erschossen worden, die Leichen wurden in Brand gesteckt. Gunther wird beauftragt, nach einem Collier zu suchen, das bei dem Raub gestohlen worden sein soll.

Im Laufe der Ermittlung stellt sich heraus, dass es sich eigentlich um zwei Fälle handelt, die zufällig miteinander in Verbindung stehen, aber das sei der eigenen Lektüre vorbehalten. Bis jedenfalls Gunther die Fälle gelöst hat, müssen er und einige andere einiges einstecken; er kommt sogar zeitweise ins KZ, einige Leute verschwinden, inklusive seiner neuen Assistentin und Geliebten.

Im Verlag schreiber&leser ist nun eine Comic-Adaptation des Romans erschienen, der vom Szenaristen Pierre Boisserie, dem Zeichner François Warzala und der Koloristin Marie Galopin verantwortet wird. Die Comic-Adaptation bleibt dabei so nahe am Roman, dass sie vielleicht eher als zeichnerische Fassung des Textes zu sehen ist. Inhaltlich gibt es zwar Kürzungen, vor allem bei Themen und Wendungen, die heute eher als unpassend aufgefasst werden. Bei dem One-Night-Stand Gunthers mit dem UfA-Start und der Ehefrau seines Auftraggebers fehlt jene Wendung in Kerrs Roman, die auf eine Vergewaltigung hinweist (er „zwingt“ ungeduldig ihre Schenkel beim Akt auseinander, was irritierend ist, auch wenn sie ihn zum „Fick“ auffordert). Das ist insofern von Relevanz, weil kurze Zeit später bei Günther ein Liebhaber der Schauspielerin auftaucht, der ihn der Vergewaltigung bezichtigt. Die erste Szene fehlt im Comic, die zweite allerdings nicht.

Insgesamt bleibt der Comic aber sehr nah am Text, was allerdings eben nicht nur bedeutet, dass er dicht an der Erzählung des Romans entlanggezeichnet ist. Der Comic macht darüber hinaus einige Zugeständnisse, die seine Eigenständigkeit zu berühren scheinen.

Das lässt sich an der gestalterischen Trias des Comics erkennen, die hier stark zu Gunsten der Paratexte, die hier als überbrückende und erläuternde Erzählpassagen des Protagonisten gestaltet sind.

Comics und erst recht Graphic Novels leben vom Zusammenspiel von Zeichnung und Sprechtext, die man als Sprechblasen kennt. Die Paratexte, mit denen Überleitungen hergestellt werden, die Lücken füllen müssen oder erläutern, wo sich die Akteure gerade befinden und was sie warum auch immer tun, konkurrieren dabei mit den beiden Hauptkomponenten der Graphic Novel. Da die Handlung in Einzelbilder aufgelöst ist, sind die Produzenten von Graphic Novels gezwungen, entweder zeichnerische Lösungen zu finden oder erläuternde Texte zu kreieren. So weit wie möglich soll das in den Sprechblasen Platz finden, die aber immer eng mit den Figuren verbunden sind. Und wie im Film haben die erläuternden und resümierenden Anteile in Sprechteilen Grenzen. Der Rest muss dann eben in die Paratexte geschoben werden. Nehmen die aber überhand, dann verdrängen sie die zeichnerischen Teile und degradieren sie tendenziell zu Illustrationen.

Um das zu vermeiden, müssen Autoren von Graphic Novels aufwendige zeichnerische Lösungen finden, die aussagekräftig genug sind, dass sie auf weitergehende Erläuterungen verzichten können. Mithin gibt es eine zeichnerische Lösung für den Hinweis, dass in einer Kneipe, in der sich Gunther mit einem Informanten trifft, eine Goebbelsrede übertragen wird. Hier wird sie aber nicht gewählt: Stattdessen wird Gunther beim Betreten des Lokals gezeigt, an der Tür hängt ein unlesbarer Zettel, der Hinweis auf die Rede (die Gunther dann erst später bei seiner Episode mit der Schauspielerin zu hören bekommt) wird in den erzählenden Text verdrängt. Der Berliner Zeichner Flix etwa hat in seinem Marsipulami-Band die antisemitische Haltung einiger Nachbarinnen der Protagonistin in eine beiläufige Unterhaltung gepackt, die einem aufmerksamen Betrachter nicht entgeht. Boisserie et al. schreiben jedoch einen Hinweis in die Zeichnung, auf die aber auch hätte verzichtet werden können. Das Lokal ist deutlich genug als SA-Lokal ausgezeichnet. Aber das haben sie anscheinend als zu große Abweichung vom Original empfunden.

Insgesamt sind die Autoren der Graphic Novel, die auch noch zahlreiche Stellen-Kommentare enthält (etwa zu den sogenannten Märzgefallenen), bemüht, die Stimmung, die politische und gesellschaftliche Situation kurz vor den Olympischen Spielen 1936 angemessen und nachvollziehbar eben auch bildlich vorzustellen, was im übrigen auch Kerrs Roman charakterisiert hat. Das wirkt gelegentlich ein wenig beflissen, wie ja auch Gunthers ironische bis zynische Kommentare in der historischen Wirklichkeit fatale Folgen für den Betroffenen gehabt hätten. Aber das kann als Ermutigungsgestus hingenommen werden, wie ja auch ein bisschen mehr Kenntnis von der Korruptheit, Asozialität und Gewalttätigkeit des Regimes wohltuend ist.

Mit anderen Worten, dieser erste Teil der zeichnerischen Umsetzung der Berlin-Trilogie Kerrs mag nicht in allen Belangen überzeugen, sie entwickelt über den Plot aber einen hinreichend starken Sog, der die Lektüre lohnenswert macht. Und das, muss ausdrücklich betont werden, zeugt von ihrer Qualität.

Titelbild

Pierre Boisserie / François Warzala / Philip Kerr: Feuer in Berlin / Szenario. Pierre Boisserie ; Zeichnung.
Verlag Schreiber & Leser, München 2025.
134 Seiten , 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783965821941

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