Leicht und taumelnd wie Blätter im Wind

Sebastian Haffners autobiografischer Roman „Abschied“ fasziniert durch Leichtigkeit und jugendliche Melancholie

Von Annette van den BerghRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annette van den Bergh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verabredungen machten wir dauernd, obwohl wir böse waren. Teddy kam denn auch, aber sie brachte Fräulein Gault mit, und dann kam Franz, und plötzlich kam auch noch Horrwitz dazu, der bei Teddy vergeblich geklopft hatte, und dann war es auf einmal ganz voll und lustig in meinem kleinen Zimmer, und ich hatte alle Hände voll zu tun, herumzugehen und Obst anzubieten.

So viele Male ein „und“, eine Reihung im Text, eine plötzliche Planänderung, angezeigt durch einen unvorhersehbaren Gast, der dann doch kurzweilig zu sein verspricht und nichts davon stört die Leser, in diesem kleinen Bändchen (181 Seiten) namens Abschied, da es so prall ist vom Überschwang einer Jugend, die sich mit dem „Festlegen“ noch Zeit lässt und hetzt und hastet gleichermaßen. Das Leben erscheint diesen jungen Leuten noch als gut gefüllter Pool an Möglichkeiten und doch weiß der Protagonist Raimund, dass er an einer Weggabelung angekommen ist, die im Weiteren mehr als nur einen Abschied mit sich bringen wird. Es ist ein Februar im Paris des Jahres 1931, Raimund verbringt dort 14 Tage im Kreis von Teddy mitsamt deren Vielzahl an Verehrern, erhofft für sich selbst alles und nichts, das Ganze in ständigem Wechsel der Gefühle, die vor Verliebtheit gar nicht recht wissen, dass die Zeit vergeht, ohne Wiederkehr, ohne weitere Chance, die Geliebte erneut von sich überzeugen zu können. Und Teddy, die Raimund ein Jahr zuvor in Berlin kennen und küssen gelernt hat, ist durchgehend nicht wirklich von diesem jungen, aufstrebenden Juristen überzeugt, dem sie nach eigenen Worten – bei aller Anziehung und Sympathie – nicht ganz zu vertrauen wagt. Mit Recht vermutlich, wie sich an manchen Stellen zeigt, in denen Raimund seiner Eifersucht und seinem Besitzanspruch in Bezug auf die junge Frau ein recht egoistisches Antlitz gibt. Teddy verkörpert für den Erzähler und Protagonisten eine Lebenswelt, die er im Begriff ist – aus Vernunftgründen – zu verlassen, in ihr sieht er das Ideal, das für Freiheit, künstlerische Selbstentfaltung und Zwanglosigkeit steht. Aber er sieht nicht viel von Teddys tatsächlichem Innenleben, ihren Ängsten vor einem vorgezeichneten Frauenleben, ihrer inneren Einsamkeit und ihren Fluchtversuchen in übertriebene Geschäftigkeit und Ablenkung hinein. Sie weiß für sich zu diesem Zeitpunkt nicht, wie es für sie weitergehen kann, weit eher ist ihr klar geworden, was sie hinter sich lassen möchte und damit macht sie es sich wahrlich nicht leicht:

Ich wusste allerdings, dass in Berlin eine große Familie von Onkeln und Tanten herumsaß, die nichts taten als missbilligen, und sie schickten kein Geld mehr und warteten höhnisch auf die Rückkehr der verlorenen Tochter. Aber hier, wie sollte das hier weitergehen? „In Berlin“, sagte Teddy plötzlich brutal, „da gibt es zweierlei für mich: Verheiratet werden oder ganz kleines Tippfräulein.“

Raimund muss Teddy zu diesem Zeitpunkt als Gefährdung ihrer Wünsche, ihrer Sehnsüchte vorkommen. Er verkörpert für sie ein bürgerlich geplantes Leben in Berlin und tut durch lehrmeisterhafte Strenge ein Übriges dazu, dass sie in Paris bleiben wird, während er in seinem Zug am Ende wieder gen Berlin rollt. So sind die 14 Tage in Paris, von denen nur die letzten beiden Tage in der Gegenwartsform erzählt werden, auch Tage von halb unbewusst getroffenen Entscheidungen, die wiederum natürlich zum Verlust einer anderen Option führen. Doch bis der letzte Pfiff des Zugs ertönt, wird gestritten, geschmollt, geredet, getanzt und geküsst. Man trifft sich in viel zu engen Zimmern, raucht rote Gitanes, sinniert über Huxley, Rilke und Li-Tai-Po sowie den Unterschied von indischem und chinesischen Tee („Indischer Tee, das ist so wie ein Krieg von früher, wo man sich mit Morgensternen die Schädel einschlug oder mit Bajonetten piekte, und das Blut spritzte nur so in der Gegend herum. Chinesischer Tee, das ist wie der Zukunftskrieg“), teilt miteinander Obst, Gebäck sowie die letzten Münzen und dieses Wimmelbild bunter, junger Menschen diverser Herkunft, Sprache und künstlerischer Begabungen macht den Lesern unendlich viel Spaß.

Sebastian Haffner (der 1932 noch Raimund Pretzel hieß) beschreibt in diesem Roman, seinem zweiten, das unumkehrbare Auseinanderlaufen zweier Leben, einer Liebe vielleicht, die nur als Aneinanderreihung flüchtiger, köstlicher, quälender Augenblicke gelebt werden konnte. Teddy (im wahren Leben Gertrude Joseph), die Jüdin, war – vielleicht – die Hellsichtigere von Beiden. Intuitiv erspürt sie in Paris den Ort, an dem sie sicherer ist, obwohl dem schwerfälligeren Raimund diese Stadt als viel unzuverlässiger, unkontrollierbarer für ein Leben erscheint zu dieser Zeit. Dies alles lässt Abschied zu einem ungeheuer spannenden Zeitzeugnis werden, das zudem vor poetischer Kraft und Unmittelbarkeit nur so strotzt, das mitreißt und das –manchmal fiebrige – Schillern dieser (einmal muss es gesagt sein: ungeheuer gebildeten!) jungen Leute, dieser Generation zwischen zwei Weltkriegen, blendend vermittelt. Und es gibt so herrliche Worte darin, Worte wie: „das genießerische Schlürfen der Schritte“, „Barbarenfranzösisch“, „eine leise, ernst-spielerische Freundinnenzärtlichkeit, eine Nebenbei-Zärtlichkeit“, „der ganze Mann, wie er da saß, hatte etwas Häufchenhaftes.“ Und diesen einen Satz, der zweimal erscheint und der allein schon das ganze Buch lohnen würde: „… auf der Armlehne liegen unsere Arme beieinander wie zwei Eidechsen in der Sonne.“

Ja, die Rezensentin ist ebenso beglückt über diese Lektüre, wie fast alle anderen Rezensierenden es gewesen sind. Die Uhren „erwürgen“ die Zeit nirgends so schön wie hier. Abschied, hastig geschrieben im Herbst 1932, besitzt eine (gar nicht perfekte) Schönheit, leicht und taumelnd wie fliegende Blätter im Wind.

(Dem Roman ist lobenswerterweise ein einordnendes Nachwort von Volker Weidermann hinzugegeben.)

Titelbild

Sebastian Haffner: Abschied. Roman.
Mit einem Nachwort von Volker Weidermann.
Carl Hanser Verlag, München 2025.
192 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783446284821

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