Die Geschichte des Buchhandels in den Westzonen (1945-1949) ist erschienen

Stephan Füssel legt einen klar strukturierten, archivbasierten Band vor

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eduard Brockhaus, der Enkel des großen Lexikonverlegers Friedrich Arnold Brockhaus, schlug 1875 anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (heute Börsenverein des Deutschen Buchhandels) vor, eine Geschichte des deutschen Buchhandels in Angriff zu nehmen. Ein Jahr später initiierte er die Historische Kommission des Börsenvereins. In ihrem Auftrag erschienen im Verlag des Börsenvereins zwischen 1886 und 1913 vier Bände unter dem Titel Geschichte des Deutschen Buchhandels, der sogenannte „Kapp/Goldfriedrich“. Das Werk reichte von der Erfindung des Buchdrucks bis zum Kaiserreich.  Der erste Band, der den Zeitraum bis in das 17. Jahrhundert abdeckte, wurde von Friedrich Kapp verfasst. Nach dessen Tod im Jahr 1884 übernahm nach einigen Verzögerungen und Umwegen Johann Goldfriedrich die folgenden Bände. Band 2 („bis zum Beginn der klassischen Literaturperiode“) erschien 1908, also mehr als zwanzig Jahre nach dem Ersten. Bereits ein Jahr danach wurde der dritte Band („bis zum Beginn der Fremdherrschaft [unter Napoleon]“ veröffentlicht und kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit dem vierten Band („bis zur Reform des Börsenvereins im neuen Deutschen Reiche“) 1913 abgeschlossen. Zehn Jahre später erschien der Registerband, so dass es fast vier Jahrzehnte brauchte, bis das Gesamtwerk vorlag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Historische Kommission wieder ins Leben gerufen. Doch erst 1984 bewilligte der Börsenverein entsprechende Mittel für die Vorarbeiten zu einer neuen Buchhandelsgeschichte. Diese Vorarbeiten erwiesen sich als so schwierig und langwierig, dass es bis zum Jahr 2001 dauerte, bis die erste Publikation vorgelegt werden konnte. Es war Teil 1 des ersten Bands, der das Kaiserreich 1870 bis 1918 behandelt. Derzeit liegen alle Bände dieser neuen Geschichte des deutschen Buchhandels bis 1945 vor, dazu aus der Nachkriegszeit drei Teile über den Buchhandel der DDR.

Und jetzt ist unter der Herausgeberschaft des   Doyen der Mainzer Buchwissenschaft Stephan Füssel, – in Zusammenarbeit mit Anke Vogel – der erste Band zur BRD erschienen. Auf über 500 Seiten werden hier „Westzonen, Politik, Institutionen“ behandelt. Im Unterschied zu früheren Bänden, die häufig durch eine arg zersplitterte Gliederung geprägt sind, ist es Füssel gelungen, den Band klar zu strukturieren. In mehr oder weniger gleich umfangreichen Kapiteln werden „Der Buchhandel in den Westzonen“ (Stephan Füssel) sowie die drei Besatzungszonen abgehandelt: Michele Troy beschreibt die amerikanische Zone, Judith Joos die britische sowie Vera Dumont mit Judith Joos die französische. Die drei Zonen-Kapitel werden monografisch erarbeitet; ihre Autorinnen sind durch einschlägige Arbeiten ausgewiesen.

Auch die Binnengliederung dieser drei Kapitel ist weitgehend stringent durchgehalten. Auf die jeweilige Besatzungspolitik im Hinblick auf den Buchhandel folgen dessen Steuerung und Lenkung, dessen Wiederaufbau sowie die Übergabe der Verantwortung an die Deutschen. Besondere Qualität erreichen diese Kapitel dadurch, dass die Verfasserinnen zum ersten Mal die jeweiligen Archive der Besatzungsmächte in Washington, London und Paris sowie die korrespondierenden Verbands- und Verlagsarchive detailliert ausgewertet haben. Das belegen die umfangreichen und ins Einzelne gehenden Verzeichnisse der Archivalien.

Diese Kapitel erschöpfen sich jedoch nicht in großflächigen Analysen, sondern gehen ins Detail. So etwa, wenn geschildert wird, wie die NS-Bestsellerautoren Hans Grimm (Volk ohne Raum) und Edwin Erich Dwinger (Zwischen Weiß und Rot) versuchten, nach dem Krieg wieder einen Verlag zu finden. Sie scheiterten jedoch daran, dass die Verleger befürchteten, durch die Publikation solcher Autoren ihre Lizensierung durch die Besatzungsmächte zu gefährden.

Füssel konzentriert sich in seinem einleitenden, chronologisch angelegten Kapitel auf die Lage des Buchhandels in Deutschland nach Kriegsende, auf den Aufbau der Börsenvereinsstrukturen in den Westzonen, auf öffentlichkeitswirksame Buchausstellungen und Verbandstagungen, die neue Frankfurter Buchmesse sowie die Etablierung des Frankfurter Börsenvereins. Er kann sich hier weitgehend auf vorliegende Einzelstudien stützen. Hilfreich zur Orientierung ist der Zeitstrahl vom 4. Dezember 1943 bis zum 3. Dezember 1949 mit vielen Detailinformationen.

Mit diesem ersten Band zur Buchhandelsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland liegt das im wahrsten Sinn des Worts grundlegende Werk für die Folgebände vor. Wann diese erscheinen werden, ist noch unklar. Wie aus Kreisen der Historischen Kommission zu hören ist, sind neue Herausgeber benannt worden.

Beeinträchtigt wird die Nutzung dieses so informativen Bands durch das fehlende Register. Aber das ist kein spezifisches Manko dieser Publikation, sondern es gehört zum Konzept der Buchhandelsgeschichte, dass nur ein Gesamtregister für die jeweiligen Epochenbände vorgelegt wird. Angesichts des nicht gerade geringen Ladenpreises hätte der Verlag jedoch nicht nur in diesem Fall ein Zwischenregister spendieren können.

Titelbild

Stephan Füssel: Westzonen, Politik, Institutionen.
De Gruyter, Berlin 2025.
IX, 516 Seiten , 159,95 EUR.
ISBN-13: 9783110350760

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