Bastarde
Von einem fast vergessenen Begriff
Von Dirk Kaesler
und Stefanie von Wietersheim
Rätsel des Lebens. Wieso, um Himmels willen, ist das altmodische Wort Bastard zum Schimpfwort für Polizeibeamte mutiert? In diesen Tagen schmückt oder besser verunziert die Abkürzung „A.C.A.B“ Hauswände unserer Städte. Und beleidigt Beamte, die für unser aller Sicherheit sorgen sollen, auch unter Einsatz ihres Lebens. Menschen mit dieser auf Nacken und Arme eintätowierten Parole stehen vor uns an Supermarktkassen. A.C.A.B. steht für „All Cops Are Bastards“ und ist Schlachtruf einer radikalen Minderheit, die Hass auf Polizeibeamte schürt. Berühmt-berüchtigt wurde im Mai 2025 die Bundessprecherin der Grünen Jugend, die 26-jährige Jette Nietzard, als sie bei Instagram ein Bild von sich postete, auf dem sie einen türkisfarbenen Pullover mit eben dieser Aufschrift trug.
Aber: Was bedeutet das Wort Bastard eigentlich? Und warum ist es so negativ konnotiert, dass man damit Hassparolen formuliert?
„Bastard“ ist eine veraltete und herabsetzende Bezeichnung für Kinder von unverheirateten Müttern. Die Kinder wurden im deutschen Sprachraum lange als „Bankart“ oder „Bankert“ beschimpft, also als Kinder, die auf der Schlafbank der Magd gezeugt wurden und nicht im Ehebett des Hausherrn. Wie oft mag es sich dabei um Vergewaltigung gehandelt haben? Trotzdem wurden die Mägde und die Kinder damit gebrandmarkt.
Sollte das jenen Menschen bewusst sein, die derzeit auf viele Hauswände die Parole von den Bastarden sprühen? Ist ihnen wirklich wichtig, ob Polizistinnen oder Polizisten ehelich oder unehelich gezeugt wurden? Ist den Grünen die „Ehelichkeit“ von Menschen immer noch? wieder? so wichtig, dass sie damit Beamte beleidigen wollen? Denkt Frau Nietzard daran, dass sie damit auch deren uneheliche Mütter beleidigt und damit frauenfeindlich handelt? Hat man ihr das auf dem Nicolaus-Cusanus-Gymnasium in Bergisch Gladbach nicht beigebracht? Aber vielleicht ist es ja einfach auch nur Dummheit.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden unehelich geborene Menschen lebenslang stigmatisiert. Kinder, die nicht im Rahmen der Ehe geboren wurden, fanden auch neben dem Wort Bastard oder Bankart ihre Sonderbezeichnungen. Wenn Sie die Redeweise „Mit Kind und Kegel“ dafür verwenden, dass Sie nun mit allen Menschen, die zu Ihnen gehören, in die Ferien fahren, dann ahnen Sie nicht, was man dereinst damit bezeichnete. „Kind“ meinte die ehelich geborenen Kinder, „Kegel“ bezeichnete die unehelich geborenen Kinder. Heute scheint das immer weniger ein Problem zu sein: Die meisten Mitmenschen können auch Kinder aus früheren Ehen eines gegenwärtigen Ehegatten mit in den Urlaub nehmen. Es gibt sogar Postkarten und Bücher mit der Überschrift „Mit Kind und Kegel“. Wer denkt da heute an die Illegitimität der Kegel? Ist Unehelichkeit überhaupt noch eine Kategorie? War die sogenannte Illegitimität nicht nur früher ein Ehrenmakel?
In einer unserer Lieblingsserien, „Downton Abbey“, verfolgten auch wir das Schicksal von Lady Edith, der Marquise of Hexham. Von Anfang an hatte sie Pech in der Liebe, galt als die am wenigsten hübsche der drei Schwestern, wurde vor allem von Lady Mary ständig niedergemacht. Doch dann, endlich, nach einer im letzten Moment geplatzten Hochzeit, findet sie ihren „Mr. Right“: Der Zeitungsverleger Michael Gregson verehrt und liebt sie. Doch er hat einen Makel, er ist verheiratet, wenn auch mit einer Frau, die geistig verwirrt im Heim lebt und ihn nicht mehr erkennt. Um mit Edith wirklich zusammen sein zu können, reist er nach München, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Dort könnte er sich scheiden lassen. In der „Hauptstadt der Bewegung“ wird er von „Männern in braunen Hemden“ erschlagen. Edith ist schwanger, ihre Tante Rosamund hilft ihr, das Kind in der Schweiz zu gebären. Anstatt es jedoch dort zu lassen, nimmt sie es mit nach England und bringt das Töchterchen Marigold bei einem der Pächter ihres Vaters unter. Täglich schaut sie nach ihrem Kind, die Pflegemutter wird wütend, doch sie wagt nicht, sich zu ihrem Kind zu bekennen. Ehrenmakel!
Es gab viele solcher Geschichten von unehelich geborenen Kindern und dem Leid ihrer unverheirateten Mütter. Die Literatur ist voll dieser Dramen, berühmte Filme erzählen sie, im Kino und im Fernsehen. Noch 1968 trauerte Diana Ross und The Supremes im Lied „Love Child“ solchem Schicksal nach: „Love child, never meant to be. Love child scorned by society. Always second best, different from the rest. Afraid, ashamed, misunderstood“. Alles nur Geschichte? Sind die Zeiten von gesellschaftlicher Ächtung, von Scham und Vertuschung, von Abtreibungsversuchen und Selbstmorden vorbei? Endgültig vorbei?
Ein Riß geht durch Deutschland
Laut der amtlichen Statistik entwickelte sich der Anteil der nichtehelich geborenen Kinder an allen Geburten in Deutschland von 1950 bis 2024 wie Ebbe und Flut: Im Jahr 1950 betrug der Anteil noch 10,6 Prozent, im Jahr 1968 lag der Anteil nur bei 6,1 Prozent, im Jahr 2024 waren es rund 32,4 Prozent. Demnach waren bei etwa einem Drittel aller Geburten die Eltern des Neugeborenen nicht verheiratet.
Jedoch verdecken diese Zahlen, wie immer bei Durchschnitten, beachtliche regionale Unterschiede. In der „alten“ Bundesrepublik lag der Anteil wesentlich niedriger als in der DDR. Das ist auch heute noch so: In den „neuen“ Bundesländern ist der Anteil unehelicher Geburten höher als im Westen, er liegt bei etwa 60 Prozent. Darum ist es nicht so einfach, in Ostdeutschland heute erklären zu wollen, was daran „so schlimm“ gewesen sein soll: „Ja und? Deine Eltern waren nicht verheiratet, wo ist das Problem?“ Ein Blick in andere europäische Länder relativiert das Gesamtbild: In Island war bereits 1990 die Unehelichkeit wesentlich häufiger als die Ehelichkeit. Im Jahr 2012 lag das französische Département Aude an der europäischen Spitze bei nichtehelichen Geburten: 72,4 Prozent der dort geborenen Babys hatten nicht miteinander verheiratete Eltern. Vielleicht denken Sie nun: „Na ja, die Franzosen halt!“ Dabei verkennen Sie den katholischen Grundton mancher französischer Landstriche.
Bemerkenswert ist, dass der Begriff der „Unehelichkeit“ im Deutschen keineswegs vollkommen getilgt ist: In Artikel 4 unseres Grundgesetzes lebt er immer noch, wenn der Absatz 5 klarstellt: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern“. In allen anderen Bundesgesetzen hatte der Gesetzgeber durch das „Nichtehelichengesetz“ zum 1. Juli 1970 den Wortlaut von „uneheliche Kinder“ auf „nichteheliche“ Kinder abgeändert. Erst seitdem steht das nichteheliche Kind allein unter der elterlichen Sorge der Kindsmutter, zuvor war das jeweilige Jugendamt der „Amtsvormund“. In der DDR waren ähnliche Regelungen bereits im Jahr 1950 getroffen worden.
Mag zwar die Gesetzgebung zum Wegfall der rechtlichen Diskriminierung „nichtehelicher Kinder“ aufgefordert sein, an der immer noch geltenden Ächtung und Benachteiligung der Mütter und ihrer Kinder dürfte das nichts Grundsätzliches geändert haben, je nach kulturellem und sozialem Umfeld. Es kann immer noch als „Schande“ gelten, wenn die Braut mit hochschwangerem Bauch vor dem Standesamtsbeamten oder gar vor dem Traualtar steht. Immer noch könnte gemurmelt werden, dass das Paar wohl heiraten „musste“, gerade noch „rechtzeitig“. Immer noch soll es zu Abtreibungen oder gar Kindstötungen nach unehelichen Geburten kommen, aus Angst vor der gesellschaftlichen, nachbarschaftlichen oder innerfamilialen Ächtung. Bis 1983 galt die uneheliche Geburt eines Seminaristen als Weihehindernis für die Priesterweihe.
Erfolgreiche Bastarde
Was wurde aus den sechs Kindern, die Wilhelmine Enke, die Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. (1752-1820), ihrem aristokratischen Liebhaber gebar? Die Geschichte der Mätressen ist hinlänglich oft aufgearbeitet. Aber es scheint keine Arbeit zu geben, die sich mit dem Schicksal „unehelicher“ Kinder beschäftigt.
Das Thema wäre eines dicken und spannenden Buches wert, denn es würden darin beispielsweise behandelt werden: William der Eroberer (1028), Leonardo da Vinci (1452-1519), Erasmus von Rotterdam (1466-1536), Alexander Hamilton (1755-1804), Carl Benz (1844-1929), Jack Nicholson (geb. 1937), der im Glauben gelassen wurde, dass seine Großmutter seine Mutter sei, Herbert Achternbusch (geb. 1938), Oprah Winfrey (geb. 1954), Jakob Augstein (geb. 1967). Klar, das wären dann die „Erfolgreichen Bastarde“, Menschen also, die es trotz/wegen dieses Makels geschafft haben.
Wenigstens erinnert sei an den 4. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Willy Brandt, der im Dezember 1913 in Lübeck als Herbert Frahm geboren wurde, da seine Mutter, Martha Frahm, eine Verkäuferin im lokalen Konsumverein, nicht mit dem leiblichen Vater verheiratet war. Bei der amtlichen Registrierung der Geburt verleugnete sie den Namen des Erzeugers, des Hamburger Lehrers John Heinrich Möller, der vorübergehend an einer Realschule in Lübeck unterrichtete. Die zuständige evangelische Gemeindekirche verweigerte die Taufe unehelich geborener Kinder, weshalb auf eine Nachbargemeinde ausgewichen werden musste. Ab seinem sechsten Lebensjahr übernahm Willys Großvater, Ludwig Frahm, die Erziehung des Jungen. Der Rest ist Geschichte dieses Mannes, der sich noch als SPD-Spitzenpolitiker im Bundestagswahlkampf 1961 als Kanzlerkandidat seiner Partei von seinem CDU-Gegenkandidaten Konrad Adenauer als „Brandt alias Frahm“ titulieren lassen musste. Noch zu jener Zeit konnte Unehelichkeit als Makel politisch eingesetzt werden.
Es würde sich lohnen, den Lebensläufen auch weniger prominenter Menschen nachzugehen, wobei wir an dieser Stelle wenigstens daran erinnern wollen, dass es während der NS-Zeit eine Organisation gab, die bedrängten Schwangeren dabei half, ihre unehelich empfangenen Kinder unter optimalen medizinischen, hygienischen und ernährungstechnischen Bedingungen zur Welt zu bringen. Der SS-Verein „Lebensborn e.V.“ nannte als sein oberstes Betriebsziel, „rassisch wertvolle“ unehelich gezeugte Kinder und deren Mütter in seine „Sippengemeinschaft“ aufzunehmen. Abtreibung galt den Nationalsozialisten als ein besonders verdammenswertes Verbrechen. Sie sahen es nicht als „Sünde“ an wie die christlichen Kirchen, sondern vor allem als ein Verbrechen am deutschen Volk, wenn „arischer“ Nachwuchs getötet wurde. Dabei sei betont, dass das Leben „nichtarischer“ Kinder, unabhängig davon, ob ehelich oder unehelich entstanden, weiterhin diskriminiert, verfolgt und in vielen Fällen getötet wurde. Von den rund 8.000 Kindern, die in den Heimen des Lebensborn geboren wurden, sei wenigstens eines genannt: Anni-Frid Lyngstad, die Sängerin Frida, eine der ABBA-Sängerinnen.
Im November 1945 wurde sie als „Tyskerbarn“, als „Deutschenkind“ in einer norwegischen Bergbausiedlung als Tochter der 19-jährigen Synni Lyngstad geboren. Ihr Vater Alfred Haase (1919–2009) war ein deutscher Wehrmachtssoldat aus dem mittelfränkischen Gunzenhausen, der während der Besatzung Norwegens durch die Wehrmacht in Narvik stationiert war. Aufgrund der Diskriminierung als uneheliches, noch dazu von einem Deutschen gezeugtes Kind floh sie mit ihrer Mutter zu deren Mutter im schwedischen Torshälla. Nach dem Tod ihrer Mutter im September 1947 wuchs das Mädchen bei dieser Großmutter auf. Bereits im Alter von zwölf Jahren begann sie in einer Band zu singen. Nachdem die Jugendzeitschrift Bravo ihre Geschichte veröffentlichte, begab sich die 32-jährige auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater, nachdem sie bis dahin im Glauben aufgewachsen war, dass dieser als deutscher Soldat in den letzten Kriegstagen gefallen war. Sie fand ihn. Die heutige Prinzessin von Reuß, Gräfin von Plauen, wurde ein Weltstar, deren Lieder vermutlich die meisten Menschen unserer Leserschaft mitträllern können. Von den inneren Verwundungen durch die Hintergründe ihrer Geburt, Kindheit und Jugend erzählen die Lieder nichts.
Und was heißt das für den Umgang mit Sprache? Dass es wichtig ist, genau hinzuschauen, hinzuhören, welche Worte Menschen in den Mund nehmen. Und sie darauf aufmerksam zu machen, mit welchen sie andere Menschen diskriminieren, verletzen, herabsetzen. Ihnen Gewalt antun. Auch Buchstaben haben die Macht zu töten.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.













