Eine Dissertation nur für Experten?

Bianca Genglers „The American Dream and the City of Angels“ untersucht intensiv und aufschlussreich die amerikanische Prosa der Jahrtausendwende

Von Mechthild HesseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthild Hesse

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Mythos des amerikanischen Traums hat immer noch einen großen Anteil an der Bildung einer amerikanischen Identität, auch wenn er sich im Lauf der Zeit gewandelt hat. Gerade die Traumfabrik Los Angeles hatte einen großen Einfluss auf diese Mythologie. Die Frage ist, ob und wie auch marginalisierte Gruppen sich eine gemeinsame wie auch individuelle Identität aufbauen können, zumal in einer sich immer weiter ausbreitenden Metropole. Gengler untersucht am Bespiel von ausgewählter Prosa, die in Los Angeles um die Jahrtausendwende angesiedelt ist, die unterschiedlichen Erfahrungen von marginalisierten Protagonisten in Bezug auf den amerikanischen Traum. Sie will herausfinden, wie sich mit diesen Erfahrungen auch die Stadt als Stadt des ‚American dream‘ geändert hat. Letztlich will sie schauen, ob und wie sich die Vorstellung des Traums durch diese in der Prosa geschilderten Erfahrungen verändert hat, oder ob solche Erzählungen gar eine Alternative zu diesem unerreichbaren Mythos anbieten:

Ultimately the goal is to arrive at a conception of national ideals and narratives that is applicable to the diverse and changing urban space in order to define a shift in American self-perception and offer alternative narratives that dismantle the unattainable idealism of an exclusive mythology.

Die näher untersuchte Prosa (Romane und Serien, die als Detektivserien auch teilweise verfilmt wurden) sind wohl einem nicht-akademischen Publikum eher unbekannt. Dennoch scheint es lohnend zu sein, sich mit dieser Literatur zu beschäftigen, zumal sie auch größtenteils auf Deutsch erschienen ist.

Exemplarisch soll hier näher Genglers Analyse des Romans von Frey Bright Shiny Morning (2008) dargestellt werden. Er erzählt auf mehr als 500 Seiten in voneinander getrennten Kapiteln die Geschichten von jeweils fünf „Angelenos“ (Bewohner von Los Angeles), die –bis auf eine Person – alle der migrantischen, einfacheren oder armen Bevölkerungsschicht zugerechnet werden.

Die Protagonisten des einen Erzählstrangs, die 19-jährigen Teenager Maddie und Dylan, fliehen vor den Eltern, und ohne ein Ziel zu kennen driften die beiden von Ohio immer weiter nach Westen, getrieben durch das Bild des traumhaften, ewig sonnigen Kalifornien der Reichen und Schönen. Von diesem optimistischen, jugendlichen Glauben an den amerikanischen Traum geprägt, sind sie bei ihrer Ankunft in Los Angeles (LA) zunächst schockiert, dass für sie nur ein gefährliches, billiges Hotel erschwinglich ist, für das sie sogar ihr Auto verkaufen müssen. Sie finden nach langer Suche zwei Jobs, in denen sie noch nicht einmal den Mindestlohn bekommen. Sie leben in dauernder Gefahr, ausgenutzt, beschädigt und ausgeraubt zu werden. Dylan arbeitet für einen gefährlichen Kriminellen in der Motoradreparaturbranche, gerät mit Maddie durch eine Motorradgang in Geiselhaft, aus der nur Maddie freikommt, weil sie schwanger ist. Die ungewollt schwangere Maddie gebärt ihr Kind allein. Am Ende erlebt sie die Umkehrung ihres Traums, nämlich die Wiederholung ihres eigenen Lebens als Kind einer alleinerziehenden Mutter.

Zwei weitere Protagonisten, der reiche Amberton und der Wohnsitzlose Joe, stellen noch einmal extremere Gegenpole dar. Amberton, gehört– auch aus dem Mittleren Westen kommend- als erfolgreicher Schauspieler zu den Schönen und Reichen in Hollywood. Von ihm sollte man meinen, er habe sein Glück dort gefunden, aber er ist trotzdem nicht glücklich. Nach außen hin ist er der gemachte Mann, den alle Welt beneidet, aber das ist nur eine Facade. Er leidet darunter, dass er seine Homosexualität nicht ausleben kann, denn er will ja den Schein wahren als glücklicher Ehemann und Vater mit zwei Kindern und einem großen Anwesen in Malibu. Ambertons Ruhm ist für Gengler ein hervorragendes Beispiel der Verlogenheit des Traums. Die Geschichte des Wohnsitzlosen Joe – auch ein „transplant“, der zuvor durch ganz Amerika gezogen ist – zeigt seine Desillusionierung am Beispiel des Verlusts der Religion.

As religious belief and American nationality are closely intertwined, his loss of faith encompasses both a personal disappointment and a systematic failure with respect to the homeless community as creeds of altruism and equity are often neclected in a society that claims both characteristsics as bedrocks of its collective self-preception.

Die Geschichten der beiden migrantischen Protagonisten, Esperanza und Emeka, repräsentieren die Hoffnungen von Millionen Migranten. Sie erleben eine jeweils andere Form der Desillusionierung. Die in USA geborene, junge und übergewichtige Mexikanerin Esperanza erlebt Rassismus im Haushalt ihrer Chefin. Der schwarze Emeka, ein aus Nigeria stammender selbstständiger Unternehmer, der durch seine anfänglichen Erfolge fest an den amerikanischen Traum glaubt, muss zusehen, wie sein kleines, von ihm allein aufgebautes Minigolf-Imperium durch die Macht eines größeren Konzerns ruiniert wird.

Die Geschichten dieser fünf getrennt dargestellten Charaktere, werden aber am Ende des Romans durch ein Quäntchen Hoffnung wieder vereint, wie es in einer Hollywood-typischen Manier üblich ist. Frey fasst das so zusammen:

While each of the characters has needed to reframe or even anbandon their Dream, none of the stories are without the possibility of salvation. In this sense, the author does employ, in a small way, the tendency of hopefulness in popular Hollywood narratives…

Der Roman ist aufgrund des einfachen Stils durchaus auch von Laien zu lesen, sogar auf Englisch. Er ist zwar über 500 Seiten lang, aber ist in sehr einfachen, teils ohne Punkt und Komma aneinandergereihten Kurzsätzen- unterbrochen von Gesprächsfetzen, Dialogen und Listen – sehr gut zu verstehen. Gengler interpretiert die strenge Trennung der Kapitel als kennzeichnend für die multikulturelle Trennung der Viertel in LA, die sich immer weiter ausbreitet („sprawling metropolis“). Der Stil repräsentiert das für Hollywood typische, staccato-hafte Schreiben von schnelllebigen Drehbüchern („the clipped and to-the-point format of scriptwriting“). Damit werden die Brüche in der Stadt selbst miteinander verwoben.

Die Auseinandersetzung mit Freys Roman steht hier für die gesamte urbane Literatur, die Gengler untersucht. Der Satz, dass LA eben immer noch gerade für Migranten eine starke Anziehungskraft hat, gilt besonders für den zuletzt untersuchten Roman von Hector Tobar „The Barbarian Nurseries“ (in diesem Fall speziell für Mexikaner).

Obwohl die von Gengler untersuchte Literatur eher das Scheitern des Traums zeigt, kommt Gengler doch zu dem Schluss, dass immer noch Hoffnung auf Wandel besteht. Anlass für diese doch recht optimistische Interpretation sind vor allem die Detektive in den Kriminalromanen, die – wie die einsamen Helden im Westen – ihren Instinkt und inneren Kompass benutzen, um im kriminellen Sumpf der „big city“ zu bestehen und für das Gute zu kämpfen.

Genglers Fazit aus der Analyse der Romane ist, dass der Traum trotz aller widriger Erfahrungen lebendig bleibt für den einzelnen, weniger für die Lösung von allgemeinen sozialen Problemen:

In the novels presented… this quest towards self-fulfillment and self-betterment is palpable in many of the characters, even despite their disenchantment with a uniquely Southern Californian notion of the myth connected to fame and wealth.

Genglers Arbeit ist definitiv an eine akademische Leserschaft gerichtet, aber die Mehrheit der Romane selbst, die Gengler untersucht, können durchaus von Laien gelesen werden, denn sie repräsentieren nicht akademische, sondern eher populäre und spannende Literatur. Ob die Leser aber dieselben Schlüsse ziehen, sei dahingestellt, vor allem, da sich das amerikanische Klima seit der zweiten Präsidentschaft von Trump noch einmal stark verändert (hat), wo Altruismus und Gleichheit („altruism und equity“) als Eckpfeiler der Gesellschaft zu zerbröseln drohen.

Titelbild

Bianka Gengler: The American dream and the city of angels. America’s prevailing national myth in contemporary Los Angeles fiction.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2025.
213 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783826091728

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