Hitlers fröhliches Lachen

Wie interviewt man einen Diktator? In seinem letzten Buch untersucht der im vergangenen Jahr verstorbene Medienexperte Lutz Hachmeister Gespräche von Auslandsjournalisten mit Adolf Hitler

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Hitler will Arbeit für alle Deutsche“, titelte die „New York Times“ am 10. Juli 1933 nach einem Treffen ihrer Reporterin Anne O’Hare McCormick mit dem damals frischgebackenen deutschen Reichskanzler. Ausführlich ließ die spätere Pulitzerpreisträgerin Hitler über seine Autobahnprojekte und seine vorgebliche Bewunderung für den US-Präsidenten schwafeln und schwärmte vom „entwaffnenden Lächeln“ ihres Gegenübers, das „nirgendwo gekünstelt, unermüdlich und unbeschwert“ sei und sogar „die sensible Hand eines Künstlers“ habe. Sicher, manchmal rede dieser deutsche Politiker „wie ein Besessener“, aber doch „zweifellos ehrlich“.

Was die beginnende Judenverfolgung durch die Nazis anging, so kam diese – keine Selbstverständlichkeit in Hitler-Interviews – durchaus zur Sprache. Die denkwürdige Frage der Journalistin lautete: „Wie beurteilen Sie die Vor- und Nachteile Ihrer antisemitischen Politik?“ Für Hitler bot diese Frage die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, die angeblich verfolgten Juden würden weiterhin in den besten Berliner Café dinieren. Und Nationen, die sich um ihr Schicksal sorgten, könnten sie ja gerne bei sich aufnehmen.

Welche Wirkung hatten die etwa 100 Interviews, die schon seit 1922, also noch vor dem Putschversuch vom 9. November 1923, Journalistinnen und Journalisten aus den USA, Großbritannien, Frankreich oder Italien mit Adolf Hitler führten? Eine enorme, behauptete 2021 der deutsche Historiker Norman Domeier, ohne sie sei Hitlers Aufstieg vom „bavarian Mussolini“ zum „Führer“ im anbrechenden Zeitalter der Massenmedien schlichtweg nicht vorstellbar.

Lutz Hachmeister, der im August 2024 kurz vor seinem 65. Geburtstag verstorbene Medienexperte und ehemalige Leiter des Grimme-Instituts, war da anderer Meinung. In seinem posthum erschienenen, sorgfältig recherchierten und großartig erzählten Buch „Hitlers Interviews“ findet sich gleich zu Beginn die Vermutung, Hitler wäre wohl auch dann an die Macht gekommen, hätte er nie ein Exklusivinterview für Auslandskorrespondenten gegeben. Warum also sich dann überhaupt mit ihnen beschäftigen?

Weil, so Hachmeister, diese Interviews für den heutigen Journalismus ungemein lehrreich sind – und aktueller denn je, denkt man an die anhaltende Faszinationskraft von Populisten und Autokraten für Medienvertreter. Und, wie man hinzufügen darf, an die gravierenden Umbrüche im Mediensystem, mit einer Legitimitätskrise der „legacy media“ und dem Aufstieg von Interview-Podcastern wie Joe Rogan. Heute wie damals, resümiert Hachmeister, seien journalistische Scoops, persönliche Eitelkeit und die Nähe zur Macht wichtiger als die Frage, welche Narrative man zu verbreiten hilft und ob man sich am Ende nicht zum Sprachrohr von Propaganda macht.

Beispiele, wie man es eher nicht machen sollte, finden sich in den von Hachmeister untersuchten Hitler-Interviews jedenfalls zuhauf. Viele der ausländischen Pressevertreter, die meisten aus dem angelsächsischen Raum, waren schlecht vorbereitet, hoffnungslos naiv oder ließen es an der gebotenen Distanz mangeln – wie heute ein Tucker Carlson im Angesicht von Vladimir Putin. Erstaunlich oft zeigte sich auch eine ideologischen Nähe zwischen Journalist und Befragtem. Erstaunlich freilich nur so lange, bis man von Lutz Hachmeister erfährt, wie sorgfältig Hitlers Medienberater wie Ernst Sedgwick „Putzi“ Hanfstaengl oder Karl „Charlie“ Böhmer die Interviewer im Vorfeld auswählten. Die Fragen waren ohnehin meist abgesprochen, die Gespräche mussten vor Abdruck autorisiert werden.

George Ward Price zum Beispiel, Korrespondent der damals profaschistischen „Daily Mail“, gerierte sich 1936 als eine Art britischer Abgesandter („Ich habe nicht nur als Journalist, sondern als inoffizieller Bote Englands um diese Audienz gebeten“) und rühmte sein Gegenüber prompt „mit aller Ehrerbietung“ als größten Mann Europas. Der so Geschmeichelte hatte keine Mühe, in seiner üblichen Dauersuada seine Vorstellungen von einer Partnerschaft Deutschlands mit Großbritannien unterzubringen und dabei seine friedlichen Absichten zu beteuern.

Ähnlich bizarr mutet heute das Gespräch an, das fünf Jahre später, also bereits mitten im Krieg, der ehemalige US-Diplomat John Cudahy, ein Vertreter der isolationistischen „America-First“-Bewegung, für die Illustrierte „Life“ mit Hitler führte (und mit dem sich der Amerikaner in seinem Heimatland den Ruf, ein „Nazi Megaphone“ zu sein, einhandelte) – ein letzter Versuch des NS-Regimes, die USA vom Kriegseintritt abzubringen.

Denn für Hitler, dessen Kommunikationsstil sich laut Hachmeister in Interviews kaum von dem seiner Reden vor Massenpublikum unterschieden habe („Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede“, klagte ein US-Reporter), waren solche Formate von rein strategischem Interesse, so Hachmeister: Französischen Reportern versicherte der neue Reichskanzler zum Beispiel treuherzig, die von Frankreich-Hass triefenden Passagen in „Mein Kampf“ seien allein den Umständen seiner Festungshaft beim Schreiben geschuldet; was er heute wolle, sei Frieden und Aussöhnung. Und weil das wiederum alle glauben wollten, so Hachmeister, strahlten Hitlers Augen denn auch in „unschuldigem Blau“, wie 1938 für Robert Chenevier.

Neben Hitlers Augen ließen sich die Medienverteter noch von anderen atmosphärischen Details faszinieren: von Hitlers Lektüre eines Edgar-Wallace-Krimis im Flugzeug auf Wahlkampftour zum Beispiel, seiner Treffsicherheit beim Schießen auf Schneebälle beim Spaziergang auf dem Obersalzberg und immer wieder seinem fröhlichen Lächeln („Er lacht offen“, berichtete etwa der französische Philosoph Bertrand de Jouvenel 1936 für „Paris-Midi“. „Sein Gesicht nähert sich meinem. Ich fühle mich überhaupt nicht mehr eingeschüchtert. Ich lache auch.“).

Nicht jeder aber ließ sich blenden – nur um sich dann noch gründlicher zu irren. Die US-Journalistin Dorothy Thompson, die Hitler 1932 im Berliner Hotel Kaiserhof traf, spottete in ihrer „Cosmopolitan“-Reportage ausführlich über die „verblüffende Bedeutungslosigkeit“ dieses Politikers. Keine fünfzig Sekunden, so Thompson, und sie sei sich sicher gewesen, dass es diese „Verkörperung des kleinen Mannes“ nie zum Diktator Deutschlands bringen werde.

Titelbild

Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024.
378 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783462002409

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