Inseln der Erinnerung

Barbara Honigmann über das "Damals, dann und danach" eines jüdischen Lebens

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Barbara Honigmanns Vergangenheit ist ein "Meer des Exils". Inseln ragen aus seinen Fluten, die den Erinnerungen Zuflucht gewähren. Sie sind Ziele langer Reisen, Stationen von "Wanderungen, Vertreibungen, Entdeckerlust oder einfach Geschäftsinteressen". Orte, die einmal im Ozean versinken werden oder die Gegenwart überdauern, wo das Gewesene lebendig bleibt - das Damals, das Dann und das Danach.

In neun Kapiteln porträtiert Barbara Honigmann sich selbst, ihre Arbeit als Schriftstellerin und ihre Ahnen. Sie berichtet vom Alltag in Straßburg, wo sie ein bewußt religiöses Leben führt und zusammen mit den sefardischen Freundinnen ihr Judentum praktiziert. "Koscher light" nennt sie es, da sie die Tora studiert, sich aber von denen abgrenzen möchte, die ins Gelobte Land oder nach Auschwitz pilgern, "um sich als Jude zu fühlen". Behutsam schildert die Erzählerin den heiklen Umgang mit der deutsch-jüdischen Geschichte, ihr Verhältnis zu Deutschland und das Schweigen ihrer Mutter. Im "Bannkreis der Mythen" habe sie gelebt, weil ihre Mutter nie von der Shoa gesprochen habe, so als ob sie gar nicht geschehen sei. Jede Erinnerung, jeden Brief, jedes Detail habe sie vor ihr versteckt, es gab kein Früher, nur das Jetzt.

Im Titel - "Damals, dann und danach" - klingt das Leitmotiv des Buches an. Das Damals ist die Biographie des jüdischen Großvaters, der sich vollständig in Deutschland assimilierte, das Dann die Vita des Vaters, bei dem vom Judentum "gar nichts mehr übrig ist, nicht mal ein zweiter oder dritter Vorname". Ein anderes Damals bildet die Geschichte der sefardischen Freundin, die in Algerien geboren und dann nach Frankreich vertrieben wurde. Das Danach ist die Moschee in London, "die früher eine Synagoge war und davor eine Kirche".

Auf der Suche nach ihrer eigenen Geschichte bereist Barbara Honigmann die Inseln des Exils ihrer Vorfahren. Sie besucht die Gräber ihrer Großeltern in London, dann die Stadt Wien, wo ihre Mutter aufwuchs und starb. Erinnerungen nehmen so Gestalt an, und aus "Namen, Orten und Jahreszahlen" entstehen Lebensläufe.

Die Fahrt zu den Inseln ist mehr als nur Gedächtnisarbeit. Immer stellt sich dort auch die Frage nach der Heimat. Honigmanns Eltern überlebten den Krieg in England, kehrten nach dem Krieg als überzeugte Kommunisten nach Ost-Berlin zurück. Sie aber wird in Deutschland nicht heimisch und bleibt stets die Außenseiterin - im Freundeskreis die intelligente Begleiterin, die "Gertrude Stein vom Prenzlauer Berg", im Beruf die erfolglose Malerin, Dramaturgin und Theaterregisseurin. Erst der Umzug nach Straßburg befreit sie.

Nach ihrem Fortgang aus der DDR führt die Erzählerin ein jüdisches Dasein zwischen zwei Kulturen, der französischen und der deutschen, das sie zuweilen bereichert, bisweilen aber auch wurzellos macht. Nur in der Sprache scheint sie eine Heimat gefunden zu haben: Sie dichtet deutsch. "Als Jude bin ich aus Deutschland weggegangen, aber in meiner Arbeit, in einer sehr starken Bindung an die deutsche Sprache, kehre ich immer wieder zurück."

Das Leben in der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin ist Barbara Honigmann immer zu eng gewesen, unerträglich "der Konflikt zwischen den Deutschen und den Juden. Die Deutschen wissen gar nicht mehr, was Juden sind, wissen nur, daß da eine schreckliche Geschichte zwischen ihnen liegt, und jeder Jude, der auftauchte, erinnerte sie an diese Geschichte, die immer noch weh tut und auf die Nerven geht". Diese Kluft hat sie nach Frankreich getrieben. Als Zaungast hat sie nun zwar Blickkontakt mit "drüben", aber nicht die Nähe zum Konflikt. "Es kommt mir manchmal vor, als wäre erst das jetzt die so oft beschworene deutsch-jüdische Symbiose, dieses Nicht-voneinander-loskommen-Können, weil die Deutschen und Juden in Auschwitz ein Paar geworden sind, das auch der Tod nicht mehr trennt."

Kein Bild

Barbara Honigmann: Damals, dann und danach.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
136 Seiten, 15,20 EUR.

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch