Geigenklänge von der Cheopspyramide

Jürgen Alberts' Roman "Der Violinkönig"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist kein Zufall, dass Jürgen Alberts' Roman "Der Violinkönig" an einige Werke von Peter Härtling und Dieter Kühn erinnert, die sich in jüngerer Vergangenheit in ihren Künstlerromanbiographien mit Franz Schubert und Clara Schumann auseinandergesetzt haben. Alberts (Jahrgang 1946) widmet sich in einer ähnlichen Form - einer Synthese aus Fakten und Fiktion - nun dem weitgehend in Vergessenheit geratenen norwegischen Geiger Ole Bornemann Bull (1810 - 1880), der als "Paganini des Nordens" bezeichnet wurde.

Dieser Bull wird bei Jürgen Alberts, der schon 1987 mit seinem Roman über den Frauenmörder Landru große Beachtung fand, zu einem norwegischen Volkshelden und Schöpfer einer Nationalkultur. Er gründet ein Theater, in dem Henrik Ibsen seine ersten Bühnengehversuche unternimmt, fördert den Komponisten Edvard Grieg und ist darüber hinaus ein liebenswerter Phantast, ein Mensch mit großen, auch außermusikalischen Visionen. Bull ist ein äußerst wohlhabender Mensch, der sich ausgedehnte Reisen leisten kann und diese (heute würde man sagen "medienwirksam") zur Verbreitung seines künstlerischen Werks nutzt. Alberts lässt den "Violinkönig" auf der Spitze der Cheopspyramide nordisches Liedgut anstimmen.

Doch trotz der künstlerischen Erfolge muss der Visionär Bull auch empfindliche Niederlagen einstecken. Zur Mitte seines Lebens bricht der Violinkönig auf, um in Pennsylvania zusammen mit 300 Familien eine norwegische Kolonie namens "Oleana" zu gründen - eine Art Künstlerparadies, in dem Toleranz, Freiheit und christliche Nächstenliebe die Leitmotive des menschlichen Zusammenlebens bilden sollen. Bull beutet sich selbst aus, um sich seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Er gibt Konzerte en masse, geht an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, doch das eingespielte Geld reicht dennoch nicht. Nach etwas mehr als einem Jahr kehrt der "Violinkönig" völlig verarmt und unter schweren Depressionen leidend in die Heimat zurück. Dort hat man den "Paganini des Nordens" nicht vergessen, und Bull startet eine zweite, äußerst erfolgreiche Karriere.

Ein fantastischer Stoff, der sich ohne Zweifel auch für eine Verfilmung eignet; ein wirklich spannend zu lesender Roman; und doch ist man am Ende als Leser nicht rundherum glücklich. Autor Jürgen Alberts scheint seinem Protagonisten selbst nicht ganz über den Weg zu trauen. Er bleibt zu sehr auf Distanz und bewahrt sich die Position des sachlichen, manchmal kühlen Beobachters. Der künstlerische Pulsschlag des "Violinkönigs" Bull findet nur selten ein adäquates literarisches Echo.

Titelbild

Jürgen Alberts: Der Violinkönig. Aus dem Leben eines Abenteurers.
Steidl Verlag, Göttingen 2000.
299 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3882437340

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