Rhythmen und Transformationen
Hemley Boum schildert die Suche nach Identität und Zugehörigkeit im postkolonialen Kamerun
Von Julia Augart
Wind, der uns heimträgt ist bereits der dritte Roman der aus Kamerun stammenden und in Frankreich lebenden Schriftstellerin Hemley Boum, der vom Peter Hammer Verlag in Wuppertal ins Deutsche übersetzt die Reihe „Literatur aus Afrika und der afrikanischen Diaspora“ erweitert. Der Roman ist auf zwei Erzählebenen angelegt und verhandelt große Themen wie Liebe und Verlust, Vergebung und Versöhnung, sozialen Wandel und Exil sowie die Suche nach Identität und Heimat. Bereits 2024 in Frankreich veröffentlicht, wurde er als große Bereicherung gefeiert, für Preise nominiert und u.a. mit dem Grand Prix Afrique ausgezeichnet.
Der Roman erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und Kontinente und wechselt zwischen den Perspektiven der beiden männlichen Hauptfiguren – dem Fischer Zacharias im Kamerun der 1960er–1980er Jahre und dem Psychologen Zack im gegenwärtigen Paris. Zacharias lebt in einem kleinen Küstendorf; sein Leben ist fest in den Rhythmus des Meeres, der Gezeiten und der Gemeinschaft eingebettet, bis der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel die Dorfgemeinschaft wie auch sein eigenes Leben nachhaltig verändert bzw. zerstört. Sein Leben ist, nach einem kurzen Glück mit Frau und Töchtern, von Verlusten geprägt. Seine Geschichte spiegelt die Veränderungen und die damit einhergehenden Herausforderungen in der postkolonialen kamerunischen und kapitalistischen Gesellschaft. Seine Geschichte zeigt aber auch, was passiert, wenn man sich von sich selbst entfernt und sich immer wieder als Opfer sieht. Als Gegenbeispiel fungiert hier seine Frau, die versucht, mit den Gegebenheiten zurechtzukommen. Aber auch sie hat ihre Kämpfe und Verluste auszuhalten.
Im zweiten Handlungsstrang wird aus der Perspektive von Zachary oder Zack, wie er sich später nennt, erzählt. Er wächst viele Jahre später in den Armutsvierteln von Duala mit seiner Mutter auf, die sich prostituiert, um Geld für den Lebensunterhalt für sie beide und für ihren Alkohol zu verdienen. Nach seinem erfolgreichen Abitur verlässt Zack Kamerun und beginnt in Frankreich ein neues Leben. Trotz beruflichem Erfolg als Psychologe, scheinbarer Integration und schließlich einer eigenen Familie scheint er stets auf der Suche nach sich selbst und letztendlich auch nach seinen Wurzeln und seiner Familie zu sein. Das Fehlen dieser macht ihn schon in seiner Kindheit zum Außenseiter, ist aber auch kein Thema, mit dem er sich weiter auseinandersetzt: „Ich fand mich damit ab, dass ich keinen Vater, keine Großeltern, keinen Onkel und keine Tante hatte. Ich hatte nicht einmal ein Dorf, wo ich die Ferien verbringen konnte. Dorothee und ich waren allein auf der Welt, und wir brauchten nichts und niemanden sonst. Ich würde ihr keine Fragen mehr stellen, die sie zum Weinen brachten. Da ich nicht wusste, welche ich vermeiden sollte, stellte ich überhaupt keine Fragen mehr“.
Nach und nach wird im Verlauf des Romans deutlich, dass die beiden Handlungsstränge in einem Zusammenhang stehen und beide Männer mehr als nur den Namen und die Erfahrung von Verlust und Entbehrung teilen. Beide Biografien entfalten sich sukzessive und nehmen globale Themen wie Veränderungen, Migration und Exil, Identitätssuche, (Un-)Zugehörigkeit, Rolle und Familie in der postkolonialen Gesellschaft auf. Es ist eine Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Veränderung und lässt sich als Familiensaga lesen und interpretieren.
Der Roman ist ein Beispiel moderner afrikanischer Literatur und ihrer Narrative und Erzählstrukturen. Beide Biografien werden spannend und überzeugend, auf unterschiedlichen Ebenen und in ihren eigenen kulturellen, gesellschaftlichen und persönlichen Kontexten dargestellt, durch die unterbrochenen Erzählungen miteinander verbunden und wieder gebrochen. Eine Wellenbewegung, die an das Meer, an dem Zacharias lebt und das Dorf der Familie liegt, erinnert. Am Ende, mit der Rückkehr Zacks nach Kamerun, werden viele Unklarheiten und Missverständnisse gelöst und das Dorf und die Familie, die jeder hat, gefunden. Dieses Ende ist mir allerdings zu glatt und zu „happy“ – vielleicht kann es als Sehnsucht oder Traum nach einer Versöhnung oder Aussöhnung gelesen werden, was auch dem französischen Titel Le rêve du pêcheur („Der Traum des Fischers“) eher entspräche. Und dennoch: Als wichtige Perspektive aus und auf Kamerun liefert der Roman eine bedeutsame Auseinandersetzung mit der postkolonialen Identität und Zugehörigkeit sowie der Frage, wie diese sich durch Generationen und einzelne Schicksale zieht.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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